Nachruf auf Ruth Klüger: Eine Kindheit in Einsamkeit

Nachruf auf Ruth Klüger: Eine Kindheit in Einsamkeit
Das antisemitische Wien der NS-Zeit blieb allgegenwärtig. Nun starb die streitbare Literaturwissenschafterin und Autorin 88-jährig.

Ruth Klüger, geboren 30. Oktober 1931 in Wien, war eine „Wald- und Wiesengermanistin“. Jedenfalls bezeichnete sie sich so. Und sie verkörperte einen Widerspruch in sich: Sie war Jüdin, hatte den Holocaust überlebt – und beschäftigte sich mit der deutschen Literatur und Lyrik, mit der Sprache der Mörder.

2011 erzählte sie im Interview, deswegen jüdische Freunde verloren zu haben. Denn man kaufe doch keine deutschen Produkte – und studiere nicht Deutsch. Auch ihre Mutter hätte die Literaturwissenschaft nie für einen ordentlichen Beruf gehalten. „Aber was soll man machen? Der Mutter kann man nicht alles recht machen.“

1947 war Ruth Klüger in die USA gegangen. Sie wurde zunächst in New York Bibliothekarin – und studierte danach Germanistik in Berkeley. Nach der Scheidung vom Historiker Werner Angress begann sie mit ihrer Dissertation – über das barocke Epigramm. Von 1980 bis 1986 war sie Professorin in Princeton, danach an der University of California in Irvine. Sie publizierte über Kleist, Heine und Schnitzler, über Thomas Mann und Marie von Ebner-Eschenbach, sie beschäftigte sich früh mit Feminismus. Sie konnte harsch sein, war kompromisslos, eine streitbare Intellektuelle. Eben alles andere als eine „Wald- und Wiesengermanistin“.

In Wien, im Feindesland

Von ihrer Geburtsstadt wollte sie lange Zeit nichts wissen: „In meiner Erinnerung ist Wien die antisemitische Stadt. Wenn ich an der Hofburg vorbeigehe, erinnere ich mich, wie ich damals an der Hofburg vorbeigegangen bin – und auf den Steinen Antisemitisches stand.“

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1938 setzte Klüger einen ersten Akt der Selbstermächtigung: Sie war nicht länger die Susi, sondern fortan die Ruth. Ihre Mutter erwartete ein Kind; der Vater, ein Gynäkologe, trieb es ab. Ihm gelang die Flucht nach Italien, Mutter und Tochter blieben in Wien. Die NS-Zeit war für das Mädchen bedrückend und dunkel: „Man trat auf die Straße und war in Feindesland.“

Ältere Emigranten hätten Wien noch als Heimatstadt erlebt. „Für mich ist sie einfach Geburtsstadt. Was nicht ganz stimmt: Ich habe hier sprechen gelernt. Sie bleibt also ein Stück von einem selbst. Aber die unangenehmen Erinnerungen kommen halt immer wieder hoch. Die Stadt bedrückt mich, sogar wenn sie leuchtet.“

Kommentare