Über die Hintergründe ließ Rektor Andreas Mailath-Pokorny, der vormalige Kulturstadtrat (SPÖ), recherchieren: Es entstand der sehr lesenswerte Band „Die Musikschule der Stadt Wien im Nationalsozialismus“, von Susana Zapke, Oliver Rathkolb, Julia Teresa Fuchs, Michael Wladika und der bereits zitierten Kathrin Raminger im Verlag Hollitzer herausgegeben. Der unmittelbare Konnex zur MUK erschließt sich sonderbarerweise nicht von außen: Auch im „Klappentext“ (auf der Rückseite) wird mit keinem Wort erwähnt, dass aus der Musikschule der Stadt Wien das Konservatorium bzw. die MUK wurde.
Die Beiträge selbst aber legen die Fakten schonungslos offen. Wolfgang Dosch zum Beispiel, Leiter des MUK-Lehrgangs Klassische Operette, begab sich „auf die Suche nach den Anfängen der Operettenausbildung der Vorgängerinstitution im Jahr 1940“. Er stellt nun fest, dass Ernst Tautenhayn, der bereits seit 1934 Mitglied der NSDAP war, „zweifellos hocherfreut“ zugegriffen hätte, als ihm „die Leitung der neu installierten Fachklasse Operette“ an der Musikschule angeboten wurde.
"Klare Kontinuitäten"
Nach 1945 gab es im Lehrbereich, wie auch Oliver Rathkolb schreibt, „klare Kontinuitäten“. Er beschäftigt sich in seinem Beitrag aber in erster Linie mit der Gründung der Musikschule. Die Nationalsozialisten lösten zunächst, gleich nach dem „Anschluss“, drei private Vereine auf: das Neue Wiener Konservatorium (im Musikvereinsgebäude), das Wiener Volkskonservatorium und das Konservatorium für volkstümliche Musikpflege (es handelt sich dabei um das ehemalige Arbeiterkonservatorium, das 1934 verständestaatlicht worden war). Im nächsten Schritt kam es auf Anordnung des temporären NS-Gauleiters Odilo Globocnik zur Gründung der „Musikschule der Gaustadt Wien“: Übernommen wurden die Vermögenswerte der drei Vereine, teilweise das Inventar wie auch das Lehrpersonal.
Zentrales Ziel, so Rathkolb, sei „die Stärkung der Volksgemeinschaft“ gewesen, „was aber bedeutete, dass Juden und Jüdinnen vom Unterricht ausgeschlossen wurden und auch nicht lehren durften“.
Als Hauptgebäude diente das zwischenzeitliche Funkhaus der RAVAG („Radio Wien“) in der Johnnesgasse: Es wurde am 3. November 1938 eröffnet und während des Sommers 1939 durch Einbeziehung eines Nachbargebäudes erweitert. Man richtete unter anderem eine eigene Schulbibliothek und ein Instrumentenarchiv ein, so Michael Wladika, der den Ball von Rathkolb quasi Volley übernimmt: „Den Grundstock an Büchern und Noten bildeten dabei zunächst die Bestände des Neuen Wiener Konservatoriums und des Wiener Volkskonservatoriums.“
Der Provenienzforscher des Wien Museums (u.a. auch für das Leopold Museum tätig) sichtete die Bestände. Unter den „Erwerbungen“ aus der Zeit zwischen 1938 und 1945 fand er „rund 500 Bücher, 10.000 Notenblätter und 40 Instrumente“.
Man kann davon ausgehen, dass es sich zumeist um „Entziehungen“ handelt. Hinweise auf vormalige Eigentümer fehlen in der Regel, in zwei Fällen aber wurde Wladika fündig: Mehrere Richard-Wagner-Notenblätter gehörten einst dem Arzt Rudolf Wittmann, dem 1939 zusammen mit seiner Frau die Flucht in die USA geglückt war.
Ermordet in Maly Trostinec
Tragischer ist die Geschichte der Elsa Bienenfeld: Die Musikkritikerin und Pianistin, die u. a. bei Arnold Schönberg Privatunterricht erhalten hatte, wurde am 20. Mai 1942 mit dem Transport Nr. 22 in das Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk deportiert (Wladika bezeichnet es fälschlicherweise als „Konzentrationslager“), wo sie gleich nach ihrer Ankunft ermordet wurde. Deren Fachbibliothek, Ende September 1939 von der Gestapo beschlagnahmt, landete zum Teil in der Wienbibliothek. Bereits 2008 kam es zur Rückstellung der Bücher an die in London lebende Rechtsnachfolgerin.
In der MUK ließ man sich mit der Provenienzforschung länger Zeit – bis zum Jahr 2020. Und Wladika stieß auf ein Elsa Bienenfeld gewidmetes Buch, den zweiten Band „Ratschläge für Aufführungen klassischer Symphonien“ von Felix Weingartner. Er empfahl in beiden Fällen die Restitution. Bis dato konnte allerdings kein Rechtsnachfolger von Rudolf Wittmann ausfindig gemacht werden.
Die Erbin nach Elsa Bienenfeld hingegen, Susie Deyong, kennt man ja bereits seit 2008: Rektor Mailath-Pokorny lud sie und ihre Familie nach Wien ein. Im Rahmen einer kleinen Feier wurde ihr das Buch am Dienstagvormittag von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) überreicht.
Zudem wurde am Standort Johannesgasse eine Gedenktafel zur Erinnerung an die NS-Vergangenheit der Institution enthüllt:
„An dieser Stelle wurde 1938 nach der Zwangsauflösung von drei privaten Konservatorien die Musikschule der Stadt Wien gegründet, die der inhumanen Ideologie des Nationalsozialismus willfährig folgte und diese unterstützte. Als Nachfolgeinstitution sieht es die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien als ihre Verpflichtung und Aufgabe, sich für die Rechte und Würde aller Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Sprache, sozialer Stellung, sexueller Orientierung, Staatsbürgerschaft, politischen und sonstigen Anschauungen einzusetzen und menschenverachtenden Ideologien nachhaltig entgegenzuwirken. Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Zur Mahnung an die Lebenden, gegen Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Verächtlichmachung von anderen aufzutreten. Zur Stärkung des Kunst- und Kulturschaffens im Geiste der Freiheit, der Unabhängigkeit und der Toleranz.“
Der Text ist auch in Englisch, Koreanisch, Japanisch und Russisch zu lesen – also in den an der MUK meistgesprochenen Sprachen.
Kommentare