Am Samstag beendete Philippe Jordan nicht nur seinen zweiten „Ring des Nibelungen“ innerhalb weniger Wochen – die „Götterdämmerung“ war auch sein letzter Auftritt als Musikdirektor der Wiener Staatsoper. Fortan bleibt diese Position vakant. Jordan selbst hatte schon im KURIER-Interview 2022 angekündigt, nach vielen Jahren in verantwortlichen Positionen keine fixe Verpflichtung an einem Opernhaus mehr annehmen zu wollen. Ab 2027 wird er Chef des Orchestre National des Paris – wie man hört, hatte sich jedes einzelne Pariser Orchester um ihn bemüht.
Im großen Abschiedsinterview nach fünf Jahren als Musikdirektor in Wien erklärt er
- Wie wichtig ein Musikdirektor für ein derartiges Haus ist
- Warum er vorerst nicht mehr an der Wiener Staatsoper dirigieren wird und
- Was er für strukturell für falsch hält: "Wenn der Musikdirektor die Nummer 2 ist, also dem Intendanten nachgeordnet – dann ist ein möglicher Konflikt vorprogrammiert".
Und er sagt zur RSO-Debatte: "Ich würde mir wünschen, dass im Musikland Österreich der ORF ebenso stolz auf sein einziges Orchester ist und es nicht regelmäßig in schändlichster Weise in Frage stellt."
Das Interview mit Philippe Jordan
KURIER: Herr Jordan, mit welchen Gefühlen scheiden Sie aus diesem Amt aus?
Philippe Jordan: Naturgemäß mit sehr gemischten, aber vor allem mit Dankbarkeit für fünf unglaublich intensive, spannende und auch künstlerisch erfreuliche Jahre. Wir haben doch eine Menge von dem erreicht, was wir uns vorgenommen haben.
Was konkret aus Ihrer Sicht?
Als Wichtigstes die Pflege der Mozart-Werke – das war mir besonders wichtig. Dass mit dem Ensemble über die Jahre wieder eine Einheitlichkeit in die Aufführungen kommt. Das haben wir mit dem Da Ponte-Zyklus, denke ich, im Laufe der Jahre geschafft. Dann: Die erneute Auseinandersetzung mit dem Werk Wagners – es gab ja in den fünf Jahren fünf Wagner-Premieren. Es war aber auch eine sehr bewegte Zeit. Wir haben 2020 im ersten Corona-Jahr begonnen, teilweise ohne Besucher, und ich bin beglückt, dass wir mit dem Orchester und auch mit dem Publikum immer mehr zusammen gewachsen sind. Dieses wichtige Vertrauen, das Geben und Nehmen, das in einem Opernhaus so wichtig ist, hat sich in diesen fünf Jahren verfestigt.
Was ist nicht gelungen?
All das, wofür man mehr Zeit gebraucht hätte. Oper ist ja fast immer ein Kompromiss, da gelingt selten alles. Ich selbst empfinde die „Meistersinger“ mit Regisseur Keith Warner als Höhepunkt, wo musikalisch, szenisch und sängerisch alles gestimmt hat. Ich finde auch, dass „Tannhäuser“ in die Nähe kommt und ebenso der „Figaro“. Ich würde mir wünschen, dass eine Einheitlichkeit des Musizierens, eine gewisse Stilistik weiter gepflegt wird. Die Basis dafür ist jedenfalls gelegt.
Sie haben insgesamt 13 Premieren dirigiert – vier Mal Wagner, drei Mal Mozart, zwei Mal Puccini, zwei Mal Verdi, einmal Strauss und dazu „Wozzeck“ von Alban Berg, lauter Kernstücke. Warum nicht mehr Raritäten?
Ich wollte mich in diesen fünf Jahren vor allem auf die Säulen des Repertoires konzentrieren, das schien mir als Musikdirektor wesentlich. Aber ich hätte auch sehr gerne eine Uraufführung dirigiert – das hat sich leider nicht mehr ergeben.
Sie werden in den kommenden Jahren nicht mehr in der Staatsoper dirigieren, fliegen aber im Oktober doch nach Tokio für ein Gastspiel des „Rosenkavalier“. Bleibt es dabei?
Ja, sicher – warum auch nicht? Ich wollte von vornherein, dass der „Rosenkavalier“ in Wien in den ersten Saisonen in meiner Hand bleibt – ich finde es nicht ideal, wenn jede Serie von jemand anderem geleitet wird. Was das Gastspiel betrifft, war es angeblich auch ein Wunsch der japanischen Veranstalter, dass ich das noch mache.
Eine Rückkehr an die Staatsoper ist für Sie kein Thema?
In einigen Jahren – warum nicht? Aber ich brauche jetzt nach den fünf Jahren eine Pause, und das Haus braucht eine Pause von mir.
Warum?
Für meine Seite gesprochen: Das war jetzt meine 31. Saison als Dirigent. Ich möchte gerne auch in der Zukunft Oper dirigieren – aber nur noch in Ausnahmefällen, unter den bestmöglichen Umständen. Wenn der Regisseur nach meinem Gefühl richtig für das Stück und die Zusammenarbeit ist, wenn die Besetzung stimmt – dann gerne ein, oder in Ausnahmefällen auch zwei Produktionen pro Jahr. Aber auf keinen Fall mehr in der Verantwortung eines Musikdirektors.
Sie haben in einem vielbeachteten Interview mit mir Ihren Rückzug von dieser Position bekanntgegeben. Sie haben Ihre Amtszeit sehr erfolgreich beendet, die meisten Vorgänger sind aber, wenn sie nicht selbst Direktor waren, gescheitert. Ist diese Konstruktion grundsätzlich falsch?
Es besteht immer die Gefahr des Scheiterns, vor allem wenn der Musikdirektor die Nummer 2 ist, also dem Intendanten nachgeordnet – dann ist ein möglicher Konflikt vorprogrammiert. Selbst dann, wenn beide Seiten mit den besten Absichten in eine solche Konstellation gehen. Ein Kunstinstitut gehört ja eigentlich von einem Künstler geleitet, wenn es wirklich ein Kunstinstitut bleiben will. Nur in Zeiten wie diesen ist das aber leider kaum noch möglich. Ich als Künstler würde mir das zumindest nicht zutrauen, weil es heutzutage andere Managementqualitäten erfordert als früher.
Braucht ein Opernhaus überhaupt einen Musikdirektor?
Auf alle Fälle. Das Orchester und sein Chef sind die absolute Basis eines Hauses. Sie können selbst eine mittelmäßige Produktion zu einem großen Abend werden lassen. Andererseits leidet selbst die großartigste Produktion, wenn das Orchester und der Dirigent nur mittelmäßig sind. Natürlich kann man sagen, dass die Wiener Staatsoper einmal ein paar Jahre ohne Musikdirektor leben kann, einfach weil die musikalische Qualität grundsätzlich sehr hoch ist. Aber auf die Länge ist das nicht gesund. Und wenn man sich mit der Geschichte der Oper der letzten 150 Jahre beschäftigt, findet man das in jeder Hinsicht reichlich belegt.
Wo steht Oper heute generell? Machen Sie sich auch Sorgen um das Genre?
Ich bin nicht sehr zuversichtlich. Die Oper hat immer so viel Bedeutung, wie ihr die Gesellschaft einräumt. Da sind wir in Wien und in Österreich vergleichsweise noch im Elfenbeinturm. Aber wenn es in den Schulen keine Musikausbildung mehr gibt, auch nicht in den Elternhäusern der jungen Menschen, dann sinkt die Relevanz der Oper in der Gesellschaft ganz rasch. In Amerika sieht man das jetzt schon ganz dramatisch. Ich mache mir aber auch um Europa Sorgen. Es ist lebensnotwendig, dass in den Schulen mehr passiert, sonst wird Oper etwas für eine sehr kleine Randgruppe. Da helfen dann auch die zahlreichen Jugendprogramme und Kinderopern nichts mehr. Die sind höchstens ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn es weiterhin keine musikalische Bildung mehr gibt.
Wird Ihnen das Opernfach nicht fehlen?
Ich werde die Oper ja nicht völlig aufgeben. Dazu ist sie mir als Kunstform viel zu wichtig. Sie ist ein Teil meines Lebens und meines Berufes. Aber bei vielen Dirigenten war es immer schon so, dass sie sich zwischen 50 und 60 mehr und mehr auf das symphonische Fach konzentrieren, auf die Musik an sich. Da gibt es für mich auch noch so vieles zu entdecken. Deshalb freue ich mich auch so sehr auf meine Tätigkeit in Paris.
Sie sind ab 2027 Chefdirigent des Orchestre National de France, eines Orchesters von Radio France. Das ORF-Orchester steht dauernd vor dem Aus. Ist das in Paris anders? Wie kam es zu dem Engagement?
Das war wie eine Liebe auf den ersten Blick. Ich durfte in meiner Zeit als Chefdirigent der Pariser Oper keine anderen französischen Orchester dirigieren. Dann habe ist das Orchestre National de France zum ersten Mal dirigiert, und wir haben uns sofort sehr gut verstanden. Dieses Orchester ist ein Instrument, das mir wirklich liegt. Ich glaube auch, dass Radio France immer noch unglaubliche Möglichkeiten hat. Die können sich auch einmal extravagante oder größere Dinge leisten. Man gönnt sich in Frankreich beim Radio noch mit Stolz zwei hervorragende Orchester. Ich würde mir wünschen, dass im Musikland Österreich der ORF ebenso stolz auf sein einziges Orchester ist und es nicht regelmäßig in schändlichster Weise in Frage stellt.
Davor gibt es diesen Sommer die Wiederaufnahme des „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen. Sie wurden bei der Premiere 2023 am Pult der Philharmoniker gefeiert.
Das war eine sehr glückliche Konstellation, zumal ich dieses Stück schon in Wien mit dem Orchester gemacht hatte. Darauf konnten wir dann aufbauen. Jetzt freue ich mich sehr auf die Festspiele, dort habe ich ja noch nicht allzu viel gemacht, nur gerade mal alle zehn Jahre eine Produktion.
Ist Bayreuth für Sie derzeit ein Thema? Dort hatten Sie vergangenen Sommer den „Ring“ abgesagt.
Derzeit nicht. Die Absage war die richtige Entscheidung, weil es – abgesehen von Terminproblemen mit der Staatsoper – Besetzungsfragen gab, die man im Gespräch nicht lösen konnte. Das sind genau diese Kompromisse, die ich in Zukunft in der Oper nicht mehr eingehen will.
Werden Sie Wien weiterhin verbunden bleiben?
Auf alle Fälle! Mein Hauptwohnsitz bleibt Wien.
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