Operndisput um Philippe Jordan: Für wen macht man heute noch Musiktheater?

Der Musikdirektor der Wiener Staatsoper hat in einem Interview mit dem KURIER am Sonntag den „fatalen Irrweg“, den das Opernfach seit Langem eingeschlagen habe, kritisiert. Es gehe nicht mehr um ein Miteinander von Bühne und Orchester, die meisten Regisseure wüssten zunächst gar nicht, was sie erzählen wollen, und von Seiten der Intendanten gebe es zu wenig Unterstützung. Deshalb wolle er nicht mehr so weitermachen und seinen Vertrag über 2025 hinaus nicht verlängern – er habe nicht mehr die Illusion, dass er seinen Traum von einem neuen Musiktheater verwirklichen könne.
Mehr hat es nicht gebraucht, um die Opernszene weit über Österreich hinaus in Erregung zu versetzen. Staatsoperndirektor Bogdan Roščić entgegnete, dass Jordan seinen Vertrag eigentlich gerne verlängern wollte, was ihm, Roščić, jedoch aus anderen Gründen nicht möglich gewesen wäre, von szenischen Differenzen wäre nicht die Rede gewesen.
Aufteilung in Teams
Prompt schlugen sich manche (eigentlich die meisten) auf die Seite von Jordan, weil aus ihrer Sicht endlich jemand etwas gegen das sogenannte Regietheater gesagt habe. Andere wiederum solidarisierten sich mit dem „Team Roščić“ – und schon waren wir mitten im beliebten Spiel des Gegeneinanders, bei dem, wie früher in der Sandkiste, wichtiger ist, wer wen zuerst beleidigt hat als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Inhalten.
Aber was wäre inhaltlich zu sagen statt nur zu rätseln, wie es miteinander drei Saisonen weitergehen solle?
Dass Jordan nicht die Staatsoper attackiert hat, sondern den allgemeinen Zustand des Musiktheaters. Dass er natürlich völlig recht hat, dass über Jahre hinweg ein paar (und immer dieselben) vazierenden Regisseure das Genre prägten – sie waren anfangs wichtig für Innovation, drehen sich aber seit Langem im Kreis.
Dass die musikalische Gestaltung allzu oft auf der Strecke bleibt bzw. Inszenierungen viel zu selten aus der Partitur entwickelt werden.
Aber auch, dass gerade die Wiener Staatsoper unter der aktuellen Intendanz vieles von dem aufholen muss, was Dominique Meyer davor völlig verabsäumt hat. Zurück in diese Steinzeit – das wäre das Schlimmste.
Jordan ist kein Konservativer – man muss nur seine Biografie betrachten. Ihm geht es um eine wirkliche Erneuerung, um eine Synthese aus Zeffirelli und Castellucci, wenn man so will, um den nächsten Schritt in der Entwicklung des Musiktheaters, um eine Überwindung der Klischees. Denn unterm Strich kommt es immer nur auf eines an: Qualität.
Der Autor dieser Zeilen ist ein großer Verfechter zeitgemäßen Theaters. Aber die Basis kann immer nur die Musik sein. Darauf wollte wohl auch Jordan hinaus. Wer sind nun die Erneuerer, die gleichermaßen nach vorne und zurück zum Ursprung, zur Musik, gehen? Welche Rolle spielt Musiktheater überhaupt in unserer Zeit? Wie kann man es in der heutigen Gesellschaft verankern? Und für wen macht man es außer für sich selbst?
Es wäre jammerschade, wenn die Debatte – und Jordan hat sie präzise, sensibel und mit jahrzehntelanger Kenntnis angestoßen – in einem Ringkampf endet und nicht zu einer konstruktiven Diskussion über die Zukunft des Musiktheaters führt. Denn die ist aufgrund äußerer Umstände – Corona, Krieg, Inflation – so wichtig wie selten zuvor. Offenbar aber auch aufgrund innerer Umstände. Und das ist kein Plädoyer gegen, sondern ein leidenschaftliches für Oper und deren dringend benötigte Relevanz.
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