Das Trio setzte sich intensiv mit dem damaligen Lebensgefühl in Berlin auseinander. Es war ein sehr musikalisches Jahrzehnt: Die Charleston-Welle aus den USA hatte dank Josephine Baker auch in Europa keinen Stein auf dem anderen gelassen. Jazz und Swing revolutionierten die Musik. Ausgehend davon wurden Lieder für eine Big Band geschrieben, die dann Teil der Serie wurde.
„Es ging von Anfang an darum, die Musik für Szenen zu komponieren, in denen Musiker zu sehen sind. Die Big Band im Moka Efti, dem Berghain der 1920er-Jahre, der Pianist in der verrauchten Kneipe ums Eck, oder die Combo in der Transvestiten-Bar“, sagt Mario Kamien, der sich als Teil des Wiener Downbeat-Duos dZihan & Kamien in den 1990er-Jahren einen Namen machte, im KURIER-Interview.
Nach der Erstausstrahlung der ersten beiden Staffeln war aber erst einmal Schluss. Tom Tykwer und seine Regie-Kollegen verzichteten nämlich bei der aktuell exklusiv auf Sky zu sehenden dritten Staffel, die im Stummfilm-Milieu der Zwanzigerjahre angesiedelt ist, auf die Dienste des Moka Efti Orchestra. „Als wir dann eine Anfrage bekommen haben, ob wir in Frankfurt bei einer Art Kunstbiennale spielen wollen, haben wir das Projekt reaktiviert, um zu sehen, ob das live überhaupt umsetzbar ist. Da es super funktioniert hat, war uns klar, dass wir weitermachen möchten“, sagt Kamien.
Der enorme Erfolg der Serie wirkte dabei natürlich wie ein Dosenöffner. Bevor es aber richtig losgehen konnte, musste die zu einem 14-köpfigen Ensemble angeschwollene Combo erstmal das Rechtliche mit der Produktionsfirma klären.
„Wir haben uns das Einverständnis geholt und einen Deal ausgemacht, der für alle fair ist. Es profitieren ja beide Seiten voneinander: Wir vom Hype rund um die Serie und die Serie von unserer Musik, unseren Auftritten.“
In den vergangenen zwei Jahren spielte man zirka 30 Konzerte in Deutschland. Glaubt man den Kritiken, dampfte der Saal: Es wurde geschwitzt und gefeiert, herrschte eine ähnliche Stimmung wie bei den großen Tanzszenen der Serie. Dazwischen wurden neue Lieder komponiert, die nun gemeinsam mit teils neu arrangierten, teils originalen und auf dem „Babylon Berlin“-Soundtrack veröffentlichten Stücken auf das Debütalbum gepresst wurden. „Erstausgabe“ nennt sich dieser Tonträger, der einen furiosen wie gelungenen Stilmix bereitstellt.
„Wir wollten mit den neu komponierten Songs den nächsten Schritt machen“, sagt Kamien. In „Süße Lügen“ mit Gastsänger Moritz Krämer geht es etwa mehr in Richtung Pop. Der Song „Wannseeweise“ ist hingegen an jene Marschmusik angelehnt, die nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich und Deutschland omnipräsent war. So etwas wie der Hit auf der Platte ist „Zu Asche, zu Staub“, gesungen von Severija Janusauskaite, die bereits in der Serie die Frontfrau des Orchesters gab. Es gibt aber auch ruhigere, fast schon Chanson-artige Nummern. Man hört Swing, Schlagervariationen, 50er-Jahre Bebop und ein Sammelsurium aus unterschiedlichen Jazz-Epochen.
„Wir wollten ein großes Soundspektrum reinbringen, dabei aber auf keinen Fall in Richtung Elektro-Swing abdriften“, betont Kamien, der einerseits das Banjo spielt – „ein Rhythmus-Instrument, das man mit den 20er-Jahren konnotiert“. Und andererseits erhebt der in der Schweiz geborene und in Freiburg aufgewachsene Musiker, der auch ein Vierteljahrhundert in Wien lebte, seine Stimme: In den Songs „Tschuldigensemal“ und „Lange Beene“ berlinert er, so gut es halt geht. „Da mogle ich mich ein bisschen durch“, gesteht Kamien.
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