Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

Auf jeden Streit folgt die Versöhnung: Gerhard Ernst als Tevje und Stephan Paryla-Raky als Metzger Wolf
Kritik: "Anatevka" bei den Seefestspielen in Mörbisch – leichte Sommerkost sieht ganz anders aus.

Das Wichtigste vorweg: Harald Serafin ist zurück in Mörbisch. Nein, nicht als Intendant, aber als Besucher. Und Harald Serafin sah im zweiten Jahr der Intendanz von Dagmar Schellenberger eine Produktion, die man nicht unbedingt mit der Bühne am Neusiedler See in Zusammenhang bringen würde: Das Musical " Anatevka" von Jerry Bock (Musik) und Joseph Stein (Buch).

"Anatevka" also, jenes Stück über das bunte Treiben im gleichnamigen jiddischen Schtetl im Jahr 1905. Da leben, streiten und feiern seine Bewohner; da sind große Massenszenen oder große Show-Einlagen Mangelware. Denn "Anatevka" lebt von vielen intimen Momenten, von geschliffenen Dialogen und kleinen Gesten, nicht von Pomp und Gloria.

Liebenswertes Schtetl

Umso erfreulicher, dass "Anatevka" (in der deutschen Fassung von Rolf Merz und Gerhard Hagen) in Mörbisch erstaunlich gut funktioniert. Wenn man bereit ist, sich auf den Milchmann Tevje, seine Frau Golde, die heiratswilligen Töchter und die Schtetl-Bewohner mit all ihren liebenswerten Marotten einzulassen. Ein paar Längen – die Pause gibt es erst nach etwa zwei Stunden – sind dennoch unvermeidbar.

Aber: Regisseur Karl Absenger liefert eine sehr feine, ja feinsinnige Inszenierung ab, zeichnet jeden einzelnen Charakter höchst präzise, mit viel Liebe zum Detail. Gleiches gilt für das Bühnenbild und die Kostüme von Walter Vogelweider. Tevjes armseliges Haus, kleine Geschäfte, eine Kneipe und die Mauern des Schtetl – alles ist ungemein zärtlich ausmodelliert. Einziger Action-Höhepunkt: Eine Eisenbahn, die über eine Brücke fährt und eine von Tevjes Töchtern letztlich zu ihrem Mann bringt. Und in "Tevjes Traum" gibt es in der sehr sparsamen, aber guten Choreografie von Vladimír Snížek eine kurze, flotte Reminiszenz an die "Rocky Horror Show". Mehr aber nicht.

Zarte Poesie

Dafür kann man, wenn man will, unendlich poetische, ja fast zärtliche Szenen genießen. Das Duett Tevje – Golde ("Ist es Liebe?") etwa berührt in seiner fragenden Schlichtheit ungemein. Und Sozialkritik kommt auch vor. Immerhin werden die Juden zuletzt aus Anatevka von den Russen vertrieben. Deren bedrohliche Präsenz ist allgegenwärtig spürbar. Das Schtetl als Getto mit Ablaufdatum – man nimmt es mit jiddischer Gelassenheit.

Auf die setzt auch Dirigent David Levi, der am Pult des Festivalorchesters Mörbisch die (eher wenigen) Musiknummern sanft, aber stilgerecht zum Klingen bringt, der gänzlich ohne Kraftmeierei auskommt.

Und die Singschauspieler? Sie bilden ein homogenes Ensemble. So gibt Gerhard Ernst den Tevje als manchmal brummigen, aber liebenswerten Teddybär, der niemandem lange bös sein kann, und dem man nie lange bös sein kann. Intendantin Dagmar Schellenberger ist seine Golde, sie hat in der Ehe die Hosen an und bildet mit Ernst ein ideales Paar.

Bele Kumberger als älteste Tochter Zeitel, Elisabeth Ebner als zweite Tochter Hodel, Iris Graf als dritte Tochter Chava finden in Erwin Belakowitsch (Mottel), Georg Leskovich (stark als Sozialrevolutionär Perchik) und Andreas Sauerzapf (Fjodor) ihre passenden Partner. Stephan Paryla-Raky als reicher Metzger Wolf, Maria Mallé als Jente, Franziska Stanner als untote Oma Zeitel und Alexandra Joel ragen aus den Schtetl-Bewohnern heraus.

KURIER-Wertung:

Bilder: Szenenfotos aus "Anatevka"

Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

Gerhard Ernst (2. v. li.) in Anatevka …
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

FOTOPROBE SEEFESTSPIELE MÖRBISCH: "ANATEVKA"
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

FOTOPROBE SEEFESTSPIELE MÖRBISCH: "ANATEVKA"
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

FOTOPROBE SEEFESTSPIELE MÖRBISCH: "ANATEVKA"
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

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Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

FOTOPROBE SEEFESTSPIELE MÖRBISCH: "ANATEVKA"
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

FOTOPROBE SEEFESTSPIELE MÖRBISCH: "ANATEVKA"
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

Gerhard Ernst, Dagmar Schellenberger …
Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

Mörbischer "Anatevka" ohne große Bühnenshow

Anatevka - Ein Dorf am See

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