1981 hatte Elfriede Jelinek, wie die Festwochen gerne zitieren, über ihr neues Stück behauptet: „Wenn man’s in Wien aufführt, wird’s sicher der größte Theaterskandal der Zweiten Republik!“ Die „Posse mit Gesang“ erschien wenig später, 1982, in Heft 76 der Literaturzeitschrift „manuskripte“, die Uraufführung fand am 10. November 1985 in Bonn statt. Aufgrund Nestbeschmutzer-Vorwürfen ließ Jelinek das Stück sperren. Die österreichische Erstaufführung fand erst 2005 in Graz statt. Und wieder 20 Jahre später verkündeten die Wiener Festwochen stolz die „Weltpremiere“ des „Skandalstücks“ als „eine der außergewöhnlichsten Inszenierungen der jüngeren Theatergeschichte“ und überdies „am Ort des Verbrechens selbst“, also in der Burg. Wie das geht?
Milo Rau dürfte beim Studium erkannt haben, dass „Burgtheater“ zwar das Potenzial zum Skandal hat (wenn man all das Ungeheuerliche, mit großer Lust zusammengereimt, auf die Bühne bringt), aber einfach kein gutes Stück ist. Elfriede Jelinek arbeitet sich eben daran ab, dass Paula Wessely und ihr Mann Attila Hörbiger vor dem Führer enthusiasmiert in die Knie gegangen waren, zu den bestbezahlten Schauspielern der NS-Zeit zählten und den Film „Heimkehr“ drehten, der nach Ansicht der Schriftstellerin „der schlimmste Propagandafilm des Dritten Reichs“ gewesen sei (sie dürfte alle üblen Machwerke gesehen haben). Interessanterweise fand der Regisseur des Films, Gustav Ucicky, überhaupt keine Beachtung, wiewohl auch er (wie die Hörbigers) in der Nachkriegszeit weitermachen durfte: 1950 zum Beispiel drehte er, der uneheliche Sohn von Gustav Klimt, mit Paula Wessely „Cordula“.
Permanente Gewalt im Hause Hörbiger
Ja, Jelinek hatte sich an der Schauspielerdynastie geradezu festgebissen. Auch wenn sie für die realen Personen andere Namen erfand (Paula heißt Käthe, Attila Istvan und Schwager Paul schlicht Schorsch): Die permanente Gewalt im Hause Hörbiger wie auch die sexuellen Vorlieben samt ungustiösem Vokabular können durchaus als rufschädigend empfunden werden. Und die von Jelinek verwendete Dialekt-Kunstsprache geht einem schon bald furchtbar auf die Nerven.
Rau, ein strategisch kluger Kopf, musste sich daher freispielen: Er veranstaltete mit dem Ensemble eine „Urlesung“. Für seine Inszenierung mit dem Titel „Burgtheater“ (vier Akte und Epilog statt zweier Teile) konnte er daher getrost auf den Großteil des Jelinek-Stücks verzichten. Auf dem Plakat der Wiener Festwochen steht denn auch der Name Milo Rau in einer größeren Schrift als jener der Literaturnobelpreisträgerin.
Er hatte im Übrigen vollkommen recht, sein Ego zu betonen: Die paar echten Jelinek-Szenen sind, abgesehen von den Slapstick-Einlagen, die Schwachstellen des vielschichtigen Rau-Abends, der sich in erster Linie um Begleiterscheinungen bei den Probenarbeiten dreht. Im Zentrum der Aufführung steht daher das „mega“-naive Podcast-Team (Safira Robens und Tilman Tuppy), das ein Video über das „Making of“ dreht. Daher dürfen auch die Ensemblemitglieder ihre Zugänge zum Stück und persönliche Gedanken darlegen, ihre Monologe frontal zum Publikum in den Saal sprechen.
Den Anfang macht der groß gewachsene Itay Tiran, der den jüdischen „Burgtheaterzwerg“ verkörpert (wiewohl sich Jelinek im Originaltext einen kleinwüchsigen Schauspieler gewünscht hatte, der die Mitzi, die älteste Wessely-Tochter, „gierig“ abtappt). Seine Sätze stellen sich, am Ende von Annamária Lang wiederholt, als Klammer des Abends heraus: Wie beim Schachautomaten, der von einem kleinen Mann im Inneren bedient wird, sei auch er quasi eine Marionette – geführt von jemandem anderen. Im konkreten Fall, könnte man interpretieren, von Milo Rau.
Es geht also um Manipulation, um Gesinnungsterror, um Antisemitismus, um überkommene Zuschreibungen in links und rechts, um Kapitalismus und Kolonialismus – und natürlich um Liebe. Denn die Liebe ist das Thema der Festwochen: Milo Rau zeigt in seinem Potpourri auch ein Video von der Eröffnung am Freitag auf dem Rathausplatz, wie er, verkleidet als Mini-Che-Guevara, eine Fahne schwenkt.
Birgit Minichmayr, eine bis zur Hysterie outrierende Wessely, verzichtet darauf, sich selbst einzubringen. Aber sie glänzt mit abgefilmten Monologen aus „Heimkehr“ und „Der Engel mit der Posaune“ in Schwarzweiß: Wie kann, so fragt man sich, die gleiche Darstellerin derart konträre Figuren verkörpern – und beide mit einer derartigen Glaubwürdigkeit? Diese Gegenüberstellung zählt zu den Höhepunkten der Dekonstruktionsrevue mit Subtextexzessen.
Caroline Peters ergänzt neben der eigenen Geschichte (sie war als Mädchen bei der Uraufführung von „Burgtheater“) mit bösem Witz und Seitenhieben. Sie brilliert nicht so sehr als Attila Hörbiger, sondern als fiese Nazisse in der Lederjacke.
Für den mit Abstand packendsten Moment aber sorgt Mavie Hörbiger, wenn sie über den von ihr gespielten Großvater Paul spricht. Sie kann dessen Anbiedern an das NS-Regime nicht verstehen, auch wenn er damals „nur“ Komödien drehte: Die Wesselys seien für das Volk das Aufputschmittel gewesen, der Hörbiger das Valium. Und dann ergänzt die Schauspielerin etwas Entscheidendes: Ihr Großvater half Juden, er wandte sich dem Widerstand zu, 1945 wurde er von der Gestapo verhaftet und zum Tode verurteilt. Nach dem Krieg bejubelte ihn das Publikum. Weil er ein NS-Sympathisant gewesen oder weil er ein Geläuterter war?
Und so entzieht sich der Abend – im Gegensatz zu Jelineks Stück – einer klaren Aussage, einer definitiven Schuldzuweisung. Auf der Metaebene wird allerdings zu oft die FPÖ geprügelt. Dass die ultrarechten Recken die siebte Million schaffen wollten: Das wurde ja bereits zur Genüge durchgekaut. Und es ist einfach falsch, wenn Itay Tiran behauptet, dass Walter Rosenkranz in seinem Büro „Nazi-Kunst“ zeige. Ja, der Künstler war ein Nazi und von Hitler (wie die Wessely) höchst geschätzt. Aber das völlig unverfängliche Fresko im Parlament schuf er erst in den 1950ern – im Auftrag von ÖVP-Politikern.
Was der Abend aber durchaus schaffte: Das immer wieder intonierte Paul-Hörbiger-Lied „Stell dir vor es geht das Licht aus“ geht einem nicht mehr aus dem Kopf.
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