Stefan Bachmann, Burgdirektor seit September, brachte ihn als Chefdramaturg aus Köln mit. „Wir kennen uns ja schon seit Ewigkeiten“, sagt Thomas Jonigk, geboren 1966 in Eckernförde, einer Hafenstadt an der Ostsee. „Stefan hat immer wieder Stücke von mir inszeniert, ich habe Dramaturgie bei ihm gemacht, auch im Bereich Oper, wo ich ursprünglich herkomme.“ Eigentlich wollte er nicht fest an ein Haus, aber in der Pandemie folgte er Bachmanns Ruf. „Ich wollte auch aus Berlin weg, ich kam mir zu alt vor für die Stadt – als Einziger ohne Tattoos und Piercings. Es war die richtige Entscheidung. Als Stefan dann das Angebot bekam, das Burgtheater zu übernehmen, hat er mich gefragt, und ich habe sofort ja gesagt.“
KURIER:Sie haben ja schon einmal in Wien gelebt ...
Thomas Jonigk: Von etwa 1996 bis 2000. Ich hatte viele Aufführungen als Autor am Schauspielhaus, und irgendwann fragte mich Direktor Hans Gratzer, ob ich nicht sein Chefdramaturg werden wolle. Ich habe gern in Wien gelebt. Und bin daher sehr froh, wieder hier zu sein.
Was hat sich seit damals geändert?
Manches überhaupt nicht. Das schätze ich sehr. In Berlin werden alle drei Tage neue Cafés eröffnet, und weil so viel gleichzeitig stattfindet, wird eigentlich nichts mehr wahrgenommen. Hier bin ich in mein Lieblingscafé, ins Sperl, gegangen und wurde von einer Kellnerin, die es damals schon gab, begrüßt – mit dem Vorwurf: „Wo waren Sie all die Jahre?“ Also, ich fand das großartig. Was mir auch auffällt: Vor 25 Jahren wurde man als Deutscher mitunter als Piefke attackiert. Das gibt es heute nicht mehr in diesem Ausmaß.
Da Sie die Theaterszene in Wien kennen, habe ich mich gefragt, warum die eine oder andere Produktion auf den Spielplan kam.
Welche meinen Sie?
Zum Beispiel „Johann Holtrop“.
Die Inszenierung, die wir aus Köln mitgebracht haben, ist preisgekrönt, man sieht an ihr sehr gut die Handschrift von Stefan, der längere Zeit nicht mehr in Wien präsent war. Aber es stimmt natürlich: Der Schriftsteller Rainald Goetz hat hier nicht den Nimbus wie in Deutschland. Und in Österreich geht das Publikum viel mehr wegen der Schauspieler ins Theater als wegen bestimmter Autoren. Wir hatten trotzdem gehofft, dass der Stoff eine stärkere Zugkraft haben könnte. Aber ich hätte eigentlich gedacht, dass Sie „Toto“ von Sibylle Berg nennen würden.
Hätte ich noch. Eine Geschichte über das Aufwachsen in der DDR ist jetzt nicht so spannend für Wien – und daher, wie „Johann Holtrop“, nicht besonders gut besucht.
Die alte Weisheit hat sich bewahrheitet: Man muss sich die Stoffe und die Inspiration von dem Ort holen, an dem man arbeitet. Aber Sie müssen bedenken, dass wir, weil Stefan sehr spät zum Direktor ernannt wurde, gefühlt nur ein paar Wochen Zeit hatten, um die Spielzeit zu konzipieren.
Ihnen ist ohnedies viel gelungen.
Es gibt keine Produktion, die richtig schief gegangen ist. Das passiert ja oft, gerade am Anfang einer Direktion, unter diesem Druck, der auf einem lastet, und weil man die internen Strukturen noch nicht kennt, darunter die budgetären Vorgaben, die sehr streng sind. Ich bin also zufrieden – mit dem künstlerischen Ergebnis wie auch der gestiegenen Auslastung. Wir werden nicht nur mit Neugierde, sondern mit Interesse wahrgenommen.
Sie selbst haben sich als Musterschüler in Sachen Sparwillen vorgestellt – und zwei Produktionen im gleichen Bühnenbild inszeniert.
Das fiel auch sehr positiv auf im Zuge der Nachhaltigkeitszertifizierung. Aber das war nicht mein Ansatz. Ich wollte ursprünglich nur die Komödie „Egal“ machen – mit Caroline Peters und Michael Wächter. Aber dann dachte ich mir, dass Marius von Mayenburg, der Autor, in Wien vielleicht nicht so bekannt ist.
Sein Stück „Nachtland“ ist in den Kammerspielen zu sehen …
Trotzdem. Ich befürchtete, man könnte „Egal“ als Petitesse abtun. Und so kam ich auf die Idee, das Stück mit „Ellen Babić“ zu kombinieren, um eine weitere Facette des Autors vorzustellen. Es gelang, bei der Premiere beide Stücke hintereinander zu zeigen. Auch im Mai und Juni wird es Doppelvorstellungen geben.
In „Ellen Babić“ geht es um Lebenslügen, das Stück ist ernster, aber der Gegenspieler von Dörte Lyssewski, Jörg Ratjen, hat ein unglaublich komödiantisches Talent.
Das war bereits die siebte Arbeit, die wir zusammen machen. Er ist mein Leib- und Magenschauspieler.
Sie haben sich also schon als Regisseur vorgestellt. Und wann folgt der Dramatiker Jonigk?
Zunächst mal gar nicht. Ich will nicht, dass es so wirkt, ich würde alles an mich reißen, nur weil ich es kann. Jonigk schreibt, inszeniert und bestimmt den Spielplan mit: Das käme mir übergriffig vor. Zudem haben wir derzeit so viel zu tun, dass ich gar nicht zum Schreiben komme. Ich habe sogar einen Auftrag absagen müssen.
Aber Sie werden auch in der nächsten Saison inszenieren?
Im Akademietheater wird es eine weitere Übernahme geben, „Gespenster“ von Henrik Ibsen, aber mit einem neuen Bühnenbild und Umbesetzungen, fast eine Neuinszenierung. Wieder mit Jörg Ratjen. Es ist eines meiner Lieblingsstücke.
Stimmt der Eindruck, dass die Zeit der Dekonstruktion vorbei ist? Es gibt eine Rückkehr zum Erzähltheater und, wenn man an „Der Fall McNeal“ mit Joachim Meyerhoff denkt, zum Well-made-Play.
Das würde man direkt als Überschrift nehmen können. Auch das Stück, das ich abgesagt habe, wäre ein Well-made-Play gewesen. Es ist sehr schwer, solche Stücke zu schreiben, weil wir so verkopft sind, dass wir immer die Verkomplizierung mitdenken. Aber einfach einen Plot klar aufzurollen und mit charaktervollen Figuren zu erzählen: Das will das Publikum. Vor 20 Jahren gab es die Attitüde, sich über diese Wünsche hinwegzusetzen: Es ist uns egal, ob Leute kommen oder nicht. Aber das geht heute nicht mehr. Wir haben als Theater nur eine Chance, uns zu behaupten, wenn wir Stücke spielen. Ich habe nichts gegen Prosa-Adaptionen, aber auch die müssen so erzählt sein wie …
... „Die Schachnovelle“ in der grandiosen Umsetzung von Nils Strunk.
Zum Beispiel. Diese Produktion zeigt sehr gut, wie man einen Stoff erzählen kann, ohne sich verbiegen zu müssen. Aber so etwas entsteht nicht von heute auf morgen, das braucht eine lange Vorbereitungszeit. Auch mit Mareike Fallwickl gab es für die Uraufführung von „Elisabeth!“ viele Gespräche. Man kann nicht einfach Stücke in Auftrag geben und dann hoffen, dass irgendwas Gutes entsteht. So funktioniert das nicht. Zum Glück haben wir für solche Projekte in der kommenden Spielzeit mehr Zeit und Raum.
Die Saison geht zu Ende. Am 9. Mai folgt im Akademietheater „Die Vegetarierin“ nach dem Roman von Han Kang. Als Bachmann die Produktion ankündigte, kannte kaum jemand die Autorin. Und dann erhielt sie den Literaturnobelpreis …
Das hätte man nicht besser planen können! Wir waren alle überrascht – und ich habe geradezu gejubelt. Denn ich habe – zusammen mit Regisseurin Marie Schleef, die ein Faible für koreanische Literatur hat – so um die Rechte gekämpft, aber sie nicht für Köln gekriegt. Das Burgtheater hat da schon geholfen.
Am 13. Mai stellen Sie mit Bachmann die nächste Spielzeit vor. Wollen Sie schon etwas verraten?
Sie werden es ohnedies wissen: Am 18. Juli bringt Stefan bei den Bregenzer Festspielen „bumm tschak oder der letzte henker“ von Ferdinand Schmalz zur Uraufführung. Mit der Produktion starten wir im Akademietheater in die nächste Saison. Und im Burgtheater mit „Die letzten Tage der Menschheit“, die als Koproduktion mit den Salzburger Festspielen am 25. Juli auf der Perner-Insel Premiere haben wird.
Und in der Folge?
Wird es zum Beispiel einen Nestroy geben, was mir wichtig ist.
Wirklich?
Ich habe eine Vorliebe für Johann Nestroy, aber unzählige Abende gesehen, die ich grauenhaft fand. Nestroy ist heute nicht leicht umzusetzen. Was macht man zum Beispiel mit den musikalischen Einlagen? Aber wir haben jemanden gefunden, der große Lust auf Nestroy hat.
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