Itay Tiran: "In einer solchen Situation blüht der Rechtspopulismus"

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Der Burg-Schauspieler und Regisseur über sein Interesse an der österreichisch-jüdischen Kultur, den Nahostkonflikt und seine Inszenierung von „Richard III.“.

Itay Tiran, geboren 1980 in Petach Tikva (Israel), studierte ab 1999 an der Beit Zvi Acting School und war bereits während seiner Ausbildung am Cameri Theater in Tel Aviv als Schauspieler und Regisseur tätig. 2018 ging er nach Stuttgart ans Schauspielhaus, ein Jahr später wechselte er ans Burgtheater.

Bei den Wiener Festwochen zeigt er von 21. bis 23. Mai im Theater Akzent seine Inszenierung von „Richard III.“, die im September 2023 – einen Monat vor dem Massaker der Hamas – in Jaffa Premiere hatte. Der englische König, der über Leichen geht, wird von Evgenia Dodina gespielt, das Ensemble singt Lieder, die mit Schlüsselmomenten in der Geschichte Israels verknüpft sind: Sie handeln von Befreiung, Frieden und Heimatliebe.

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KURIER: Sie haben eine sehr klare Artikulation. Woher kommt das?

Itay Tiran: Ich versuche, meinen Text so gut wie möglich zu lernen. Aber im Gespräch ist es noch ein Kampf. Ich habe erst vor sechs Jahren angefangen, Deutsch zu lernen. Und es geht ziemlich langsam voran. Ich bin einerseits Musiker, spiele Klavier, kann also meinen Ohren vertrauen, andererseits aber Legastheniker. Alles, was mit Grammatik zu tun hat, ist für mich die Hölle.

Das glaube ich Ihnen nicht.

Sie werden es noch merken in unserem Interview!

Sie kamen 2018 als Ensemblemitglied ans Schauspiel Stuttgart. Und erst da haben Sie zum ersten Mal Deutsch gesprochen?

Ja. Meine erste Rolle war in „Vögel“ von Wajdi Mouawad (in diesem Stück erfährt David, ein arabophober Jude, dass er eigentlich das Kind palästinensischer Eltern ist, Anm.), ich habe den Vater gespielt. Mein Text war teilweise auf Englisch, teilweise auf Hebräisch – und ein bisschen auf Deutsch. Danach kam der Othello, das war schon eine ganz andere Herausforderung. Aber erst in Wien hatte ich das Gefühl, dass ich mich mit der Sprache an sich mehr auseinandersetzen kann.

Haben Sie eigentlich Wurzeln in Österreich oder Deutschland?

Meine Familie väterlicherseits stammt aus dem Grenzgebiet zwischen Ungarn und Rumänien, meine Wurzeln liegen also in der Monarchie, mein Großonkel, einst ein berühmter Arzt, hat für Kaiser Franz Joseph gekämpft – und eine Kugel in seinen Kopf bekommen. Er saß dann im Rollstuhl. Meine Großmutter hat Auschwitz überlebt, sie kam mit dem Roten Kreuz nach Schweden. Dort hat sie meinen Opa – er war kein Jude – kennengelernt. Meine Mutter ist daher in Schweden geboren. Meinen Vater kennengelernt hat sie 1968 in Israel.

Schon in Israel haben Sie sich viel mit Stoffen aus Deutschland und Österreich beschäftigt, Sie spielten den Eilif in „Mutter Courage“ von Bertolt Brecht und den Mozart in „Amadeus“, Sie inszenierten dessen Oper „Hochzeit des Figaro“ …

Meine Liebe zur deutschen Kultur hat angefangen, als ich zum ersten Mal Robert Schumans „Dichterliebe“ von Dietrich Fischer-Dieskau gehört habe. Das hat mich fasziniert. Daher habe ich mich immer mehr der jüdisch-deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Und dann, in der Schauspielschule, sah ich Klaus Maria Brandauer in „Mephisto“. Ich dachte mir: Genau so will auch ich spielen können.

Am Burgtheater haben Sie ihn dann kennengelernt?

Ja, hab’ ich. Wir haben sogar zusammen gekocht. Sonst höre ich ihm immer zu, wenn er eine Lesung gibt.

Demnächst, am 13. Mai, liest er im Burgtheater Thomas Mann.

Genau. Ich kann mich gut erinnern: Gerade, als der Krieg zwischen Russland und der Ukraine angefangen hat, hat er „Die Welt von gestern“ gelesen. Durch die Augen von Stefan Zweig habe ich Wien kennengelernt – und mich in die Stadt verliebt. Es ist eines meiner Lieblingsbücher.

Sie hatten kein Problem, von Israel in ein Täter-Land zu gehen?

Natürlich gibt es neuralgische Punkte, die sich auch in meine DNA eingeschrieben haben, aber Geschichte ist für mich nie schwarz-weiß, Geschichte ist kompliziert. Ich sehe Österreich nicht nur als Täter-Land. 2004 spielte ich den Franz Jägerstätter in einem Stück von Joshua Sobol, Paulus Manker führte damals Regie. Es gab also nicht nur das Nazi-Geschrei, es gab auch andere Stimmen. Es war mir sehr wichtig, auch dieser Stimme Raum zu geben. Und als ich im Akademietheater Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ geprobt habe, wurde mir bewusst, dass dieses Stück eine wunderschöne Mischung der österreichisch-jüdischen Kultur ist. Ich versuche als Künstler und als Mensch, genau in diese Sprache hineinzuhören, um dort meine verschiedenen Ichs zu finden. Darüber geht es für mich auch ein wenig in der „Burgtheater“-Produktion, die Intendant Milo Rau im Rahmen der Wiener Festwochen inszeniert.

Elfriede Jelineks Stück handelt über die Schauspielerfamilie Hörbiger samt Paula Wessely und die Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus. Welche Aufgabe haben Sie in der Inszenierung?

Ich spiele verschiedene Rollen, aber meine Hauptrolle ist der „Burgtheaterzwerg“. Es ist ein besonders Stück, es klingt für mich stellenweise wie ein Gedicht, es ist absurd, gleichzeitig sehr klug und sehr böse. Wir folgen zum Teil der Uraufführungsinszenierung 1985 in Bonn, gleichzeitig gibt es eine Meta-Ebene, in der wir Schauspieler über uns selbst reden. Und da erzähle ich eben über meine Herkunft.

Sie stehen der israelischen Regierung kritisch gegenüber – und haben zum Beispiel beschlossen, nicht in den besetzten Siedlungsgebieten aufzutreten.

Das stimmt. Diese Entscheidung habe ich schon 2010 getroffen. Für mich ist ganz klar: Diese Gebiete gehören per Gesetz nicht Israel. Ich kann diese Aneignung von Gebieten nicht tolerieren. Und deshalb habe ich zusammen mit anderen klar gesagt: Ich werde dort nicht auftreten.

Kennen Sie den David Großman?

Natürlich. Er ist im Wortsinn ein großer Mann.

Er hat sich immer wieder, auch in seinen Romanen, für die Verständigung und den Frieden eingesetzt.

Es geht ihm um Humanismus. Und ein solcher Mann, der seinen eigenen Sohn im Krieg verloren hat, wird nun in gewissen Kreisen als Verräter denunziert. Das ist für mich unfassbar.

2012, zwei Jahre nach Ihrer Entscheidung, spielten Sie in „Richard III.“ den Titelhelden. War die Inszenierung der Grund, warum Sie die Shakespeare-Tragödie 2023 selber inszenieren wollten?

Damals war das eine Kombination mit „Richard II.“ – in mehr oder weniger der gleichen Dekoration. Ich hingegen habe mich auf „Richard III.“ beschränkt und auf ein paar Richard-Monologe aus „Heinrich VI.“ zurückgegriffen. „Richard II.“ ist hoch poetisch, tief philosophisch, aber „Richard III.“ hat eine großartige Dramatik. Und es ist wirklich politisch klug. Es war meine erste Inszenierung in Israel – nach fünf Jahren in Europa. Und so fragte ich mich, was das beste Stück wäre, um den Zeitgeist einzufangen. So kam ich auf „Richard III. “, denn in dem Stück wird eine kranke, eine gespaltene Gesellschaft beschrieben.

Sie hatten aber nicht die Pandemie im Auge …

Genau, es ging mir um die Justizreform, die zu einer Spaltung in Israel führte. Es herrschte die Angst vor, dass die Demokratie in Gefahr ist, wenn die Regierung von Bibi Netanjahu diese Reform durchsetzt. Israel hatte sich in diesen fünf Jahren meiner Abwesenheit derart verändert. Alles war extrem polarisiert. Ich dachte mir, in einer solchen Situation blüht der Rechtspopulismus. Es ging mir aber nicht nur um Netanjahu, es gibt eine ganze Galerie von diesen Typen wie ihn. Und dann kam mir die Idee, das Stück mit berühmten Schlagern, Friedensliedern und auch der Hymne zu kombinieren. Das war wie bei Brecht: Die Musik verfremdet das Stück, macht aber gleichzeitig etwas klar. Und das Publikum hat das zum Glück richtig verstanden.

Ihre Inszenierung soll zudem etwas Prophetisches gehabt haben.

Die Menschen, die das Stück nach dem Massaker am 7. Oktober 2023 gesehen haben, konnten gar nicht glauben, dass die Premiere bereits drei Wochen davor stattgefunden hatte. Denn in der Inszenierung gibt es zum Beispiel eine Techno-Party, und es gibt schwarze Asche, in der Königin Elizabeth nach ihren Kindern sucht. Die Bilder korrespondierten derart krass mit der Wirklichkeit. Die Inszenierung war wie ein Schatten, der vorausfällt. Das Stück ist weiterhin im Repertoire, wir zeigen es nun erstmals außerhalb von Israel.

Martin Kušej hat Sie nach Wien geholt – und Sie bleiben auch unter seinem Nachfolger Stefan Bachmann am Burgtheater?

Ja, ich liebe das Burgtheater. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Möglichkeit habe, hier zu spielen. Und natürlich freue ich mich auch, zum ersten Mal so etwas wie ein Stück Heimat hierherbringen, also meine Liebe zu Wien und meine Liebe zu meiner Kultur zusammenbringen zu können. Das ist ein besonderer Moment für mich.