Mike Shinoda von Linkin Park: Auf den Spuren von Tschaikowsky
„Die Klänge aus dem Computerspiel Assassin’s Creed, gepaart mit dem ,Herr der Ringe’-Soundtrack und Sega-Musik aus Mauritius, die mit dem tamburin-artigen Instrument Ravanne gespielt wird.“
Mike Shinoda sitzt zu Hause und demonstriert während des Telefon-Interviews mit dem KURIER, wie er zu den Songs seiner Alben-Serie „Dropped Frames“ gekommen ist. Neben sich hat er eine Schale mit kleinen Zetteln stehen, auf die er Vorschläge von Fans für Sounds für einen möglichen neuen Song geschrieben hat. Daraus hat er gerade drei Zettel mit den obigen Angaben gezogen und will später in der Woche in einem Live-Stream auf seinem Twitch-Kanal einen Song entwickeln, der diese Stile verbindet.
So erarbeitet er seit dem Lockdown Instrumental-Stücke, die er jetzt mit der Alben-Serie „Dropped Frames“ veröffentlich hat. Die ersten beiden Werke sind schon erschienen und weitere könnten bald folgen. Denn immer noch streamt Shinoda verlässlich jeden Tag von 10.00 bis 13.00 Uhr Ortszeit vom Heimstudio in seinem Haus in Los Angeles.
„Angefangen hat das mit dem Song ,Open Door’, den ich in einer Zeit geschrieben hatte, wo ich noch gar nicht auf Twitch gestreamt habe“, erzählt er. „Ich habe dafür auf anderen Kanälen ein paar Gesangsbeiträge von den Fans gesucht, dachte ich könnte so vielleicht eine Gesangsstimme entdecken. Auf diesen Aufruf hin habe ich so viele gute Einsendungen bekommen, dass ich sechs von ihnen in den Song eingebaut habe. Dann kam die Quarantäne, und ich habe etwas gesucht, um diese Art zu arbeiten und diesen Sinn für Gemeinschaft weiterzutreiben.“
Twitch schien dem 43-Jährigen dafür ideal, weil es eine Gaming-Plattform ist, und jeder Betreiber mit interaktiven Modulen aus der Gaming-Welt seinen Kanal individuell gestalten kann. „Ich habe die ,Shinoda-Bucks’ erfunden. Damit kann man sich Punkte erspielen und verschiedene Level erreichen. Die Punkte kann man gegen das Einschicken von Sound-Vorschlägen und Fragen oder gegen Geschenke aus dem Linkin-Park-Shop tauschen.“
Doch viele Fans tauschen ihre Shinoda-Bucks nur dafür ein, dem Musiker danke für den Kanal zu sagen: „Dreiviertel der Fragen, die sie einschicken, sagen, bei dir dabei zu sein, hat mich in der Corona-Zeit gerettet. Anfangs wollte ich in diesen Fällen die Shinoda-Bucks refundieren. Aber die Leute sagten: ,Nein, behalte sie, ich will die dafür ausgeben, Danke zu sagen, denn es macht so viel Spaß mit dir!’ Wir haben ja tatsächlich viel Spaß zusammen. Speziell, wenn mir manchmal ein Song nicht gelingt.“
Oft muss Shinoda auch recherchieren, im Netz nachhören, was Fans mit ihren Stilangaben meinen. Etwa für das für den KURIER gezogene Beispiel mit der Sega-Musik aus Mauritius und der Ravanne. Oder auch, als jemand den „Blumenwalzer“ von Tschaikowsky verlangte: „Wir haben ein paar glühende Klassikfans in unserer Gemeinschaft. Aber die Forderung nach Tschaikowsky kann auch daher kommen, dass ich um viele Ecken mit ihm verwandt bin. Ich selbst bin nicht in seiner Blutlinie, aber mein Cousin ist ein direkter Nachfahre. Und das wissen die Linkin-Park-Fans.“
Dass Shinoda während seines Live-Streams nur Instrumental-Stücke ohne Text und Gesang erarbeitet, liegt aber nicht daran, dass er Linkin-Park-Sänger Chester Bennington vermisst, der – seit jeher depressiv – im Juli 2017 Selbstmord beging. „Schon alleine der Gedanke, wie ich ohne Chester einen neuen, tollen Song zustande bringen sollte, deprimiert mich“, erzählte er im KURIER-Interview gleich nach dieser Tragödie. „Er war ein so großartiger, legendärer Sänger und Performer. Ich war gewohnt, ihn als diese machtvolle Waffe zu haben, einen Song zu schreiben, den ich ihm geben konnte, und er würde ihn unglaublich machen. Das war die Definition unserer Band.“
Auch jetzt, sagt Shinoda, vermisse er Bennington immer noch sehr. Der Grund für die Instrumentals ist aber, dass er für Gesang lange braucht. „Da würde ich einen Tag lang nur vor mich hinbrabbeln, um Melodien und Worte zu finden. Das wäre in einem Stream langweilig.“
Wenn Shinoda zu Mittag fertig gestreamt hat, arbeitet er am Nachmittag an anderen Projekten. Bei der Frage, ob da auch neue Songs für Linkin Park darunter sind, bleibt er vage: „Ich habe viele verschiedene Ideen für Projekte, die aber noch zu unausgegoren sind, um darüber zu sprechen. Mit Linkin Park arbeiten wir aber gerade an einer Jubiläumsausgabe von ,Hybrid Theory’.“
Vor 20 Jahren kam dieses so einflussreiche Linkin-Park-Debüt-Album auf den Markt, das bis heute 27 Millionen Mal verkauft wurde. Neben unveröffentlichten Demos gibt es in dem Set der Jubiläumsedition auch eine DVD mit 95 Minuten Filmmaterial über die Entstehung von „Hybrid Theory“. Darauf müssen die Fans aber noch warten: Der Erscheinungstermin ist der 9. Oktober.
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