Michel Attia im Gespräch über FM4: "Wir versuchen, am Puls der Zeit zu bleiben"

Michel Attia (44) ist seit mehr als 20 Jahren Teil der FM4-Familie und ein Kenner des Musikgeschehens
Bei jungen Menschen sei FM4 nicht mehr so weit oben im Traumjob-Ranking angesiedelt, sagt Michel Attia, der seit 20 Jahren für den Radiosender arbeitet. Ein Gespräch über Flauten, Quoten und eine mögliche Zukunft.

Michel Attia ist ein genauer Beobachter der österreichischen Musikszene, als Organisator des Branchentreffs „Michels Musikstammtisch“, ein wichtiger Netzwerker und wer es auf seine jährliche veröffentlichte Liste „Michels Sound of Music“ schafft, hat durchaus einen Startvorteil.

Der zwischen Wien und Berlin pendelnde 44-Jährige kennt die neuesten Bands, die größten Talente und Gott und die Welt, wie man so schön sagt. Hauptberuflich ist er seit über 20 Jahren für FM4 unterwegs. „Wie ich dazu gekommen bin, weiß ich bis heute nicht ganz genau“, sagt er dem KURIER. Und fügt hinzu: „Der leider kürzlich verstorbene Martin Blumenau (Mitbegründer von FM4, Anm. der Red.) dürfte dabei aber eine wichtige Rolle gespielt haben.“

Anfangs noch fürs Marketing beim Radiosender zuständig, ist Attia nun im Bereich Veranstaltungen und Kooperationen zuständig.

KURIER: Was hat sich bei FM4 über die Jahre verändert?
Michel Attia:
Damals waren wir ein Radiosender mit einer Website. Mittlerweile sind wir zwar in erster Linie immer noch ein Radiosender mit einer Website, aber wir sind nun auch sehr aktiv in den sozialen Medien. Außerdem erzeugen wir immer mehr bewegtes Bild. Ob das jetzt Streams sind von Konzerten oder Kabarett-Performances. Wir haben ein Studio umgebaut, haben Kameraleute, ein Video-Team. Lustig finde ich: Was früher als Sendung bezeichnet wurde, wird jetzt halt Podcast genannt.

FM4 wollte immer Teil der Szene, jugendlich und hip sein. Hat man über die Jahre ein bisschen den Anschluss verpasst?
Das sind wir immer noch. Wir haben die Redaktion stark verjüngt. Wir beobachten ganz genau die Mitbewerber und entwickeln ständig neue Konzepte. Wir versuchen immer noch, am Puls der Zeit zu bleiben, was uns glaube ich im Großen und Ganzen in Bereichen wie Film, Games, Musik und bei gesellschaftspolitischen Themen ganz gut gelingt.

Die Quoten zeichnen aber ein anderes Bild: FM4 hat in der Hauptzielgruppe (der 14- bis 49-Jährigen) an Marktwert verloren. Was läuft falsch?
Es gibt jetzt natürlich viel mehr Angebot. Es gibt Blogs, YouTube, Streaming-Plattformen, Podcasts. Das alles gab es in meiner Anfangszeit bei FM4 noch nicht. Mit dieser neuen Konkurrenz haben aber nicht nur wir zu kämpfen, sondern die ganze Medienlandschaft. Viele deutschsprachige Musikmagazine wie „Spex“ oder „Intro“ mussten eingestellt werden. Viele Verlagshäuser, Radiosender und Fernsehanstalten haben Probleme. Denn es gibt viel mehr Auswahl, man konkurriert plötzlich mit der ganzen im Internet abrufbaren Welt. Jeder und jede kann mittlerweile ein Radio betreiben oder einen Podcast. Diese Demokratisierung ist prinzipiell toll, aber es macht die Sache natürlich auch schwieriger.

Liegt es vielleicht daran, dass sich FM4 zu lange auf seinen Lorbeeren ausgerastet hat?
Welche Lorbeeren? Es ist nach wie vor so, dass wir in Deutschland als Kultsender gelten. Das ist in Österreich schon lange nicht mehr der Fall. Dafür waren wir wohl zu erfolgreich, zu einflussreich, zu beliebt – und wurden vielleicht auch zu sehr von anderen Medien kritisiert. Ich empfinde das nicht als ein Ausruhen. Ich empfinde das eher als ein Stagnieren auf hohem Niveau.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Da scheint gerade Flaute zu herrschen.
Das sehe ich anders. Christoph Sepin ist ein relativ neuer und junger Moderator. Auch Pauline Binder wäre in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Aber es gibt noch viele andere junge Talente, die FM4 in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat, die dann unter anderem auch ORF-intern abgeworben wurden. Man muss ehrlicherweise auch dazu sagen, dass bei jungen Menschen FM4 nicht mehr so weit oben im Traumjob-Ranking angesiedelt ist wie vielleicht noch vor ein paar Jahren. Und selbst wenn viele bei uns mal reinschnuppern und anfangen, verlassen auch einige wieder den Sender. Die Fluktuation wird durchaus höher, hält sich aber bei uns vergleichsweise noch in Grenzen.

Warum?
Viele junge Menschen fangen bei uns an und merken, dass das harte Arbeit ist, sehr viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt. Dann gibt es auch nicht immer die Möglichkeit einer Anstellung. Früher haben sich viele Hunderte beworben. Jetzt haben wir vielleicht 200 Bewerberinnen und Bewerber pro Jahr.

Sie organisieren einen Musikstammtisch? Was kann man sich darunter vorstellen?

Den Musikstammtisch gibt es seit über sechs Jahren. In der Regel findet der ungefähr alle zwei Monate statt. Ziel ist es – wie eigentlich bei fast allen Sachen, die ich mache – unterschiedliche Menschen aus der Musikbranche möglichst niederschwellig zusammenzubringen. Ich möchte einfach eine Plattform bieten, wo sich Leute treffen und unterhalten können, nicht nur über Business. Viele Projekte und Kollaborationen sind bereits beim Musikstammtisch entstanden. Bands haben dort ein Label, ein Management oder eine Booking-Agentur gefunden, die Band Oehl hat sich zum Beispiel im Rahmen des Stammtisches überhaupt kennengelernt.

Michel Attia im Gespräch über FM4: "Wir versuchen, am Puls der Zeit zu bleiben"

Sie sind ein Auskenner, ein Langzeit-Beobachter der österreichischen Musikszene. Wie würden Sie den aktuellen Zustand beschreiben?
Die österreichische Musiklandschaft ist aktuell überaus spannend und angesagt. Vor allem in Deutschland. Nicht selten hört man da, dass die künstlerisch interessanteren Acts aus Österreich kommen – und eben nicht aus Deutschland. Das hat sehr viel mit FM4 zu tun, aber auch viel mit dem österreichischen Musikexport-Büro „Austrian Music Export“ und der kooperierenden Hamburger PR-Agentur „Factory 92“ die beide seit Jahren gute Arbeit leisten. Haben früher beim renommierten Reeperbahn Festival in Hamburg oder dem maßgebenden Eurosonic Festival in Groningen maximal eine Handvoll Bands gespielt , sind es in manchen Jahren nun bis zu 20 Acts aus Österreich, die eingeladen werden. Das Standing ist gerade wirklich herausragend. Und die Szene ist auch wesentlich nachhaltiger und breiter aufgestellt als zu Zeiten von Kruder & Dorfmeister. Damals hat sich alles auf ganz wenige Protagonisten und Protagonistinnen reduziert, die teilweise kaum miteinander geredet haben. Jetzt ist es insgesamt viel gemeinschaftlicher, viel mehr ein Zusammen als ein Gegeneinander. Und das ist für mich auch der vielleicht  wesentlichste Unterschied zwischen der Musiklandschaft in den 90er- und Nuller-Jahren und wie es eben heute der Fall ist.

Sie veröffentlichen seit 2020 mit „Michel‘s Sound of Music …“ eine Liste mit den zehn spannendsten Newcomer-Acts  aus Österreich. Was ist das Ziel dahinter?
Nach einer längeren Auszeit bei FM4 musste ich mich wieder auf den neuesten Stand bringen. Am Ende kam diese Liste raus. Auch weil ich von meinen internationalen Partnerinnen und Partnern immer wieder nach den neuesten Musik-Tipps aus Österreich gefragt werde – seitdem verschicke ich einfach nur einen Link. Mit dieser Shortlistversuche ich die erfolgversprechendsten neuen Acts sowohl für die Musikbranche als auch für musikinteressierte Hörer und Hörerinnen ins Rampenlicht zu stellen. Bei der enormen Dichte an guten jungen Newcomer und Newcomerinnen fällt es nicht leicht , sich auf zehn Namen zu beschränken. Ausschlaggebend sind nicht nur die Musik selbst, sondern auch das Marketing-Setup drumherum.

Welchen Acts aus Österreich gehört die nahe Zukunft?
Vor allem den weiblichen. International wie national kommt die spannendere Musik aktuell von Frauen. Im deutschsprachigen Raum sind jedenfalls Hip-Hop-Acts wie Verifiziert, Eli Preiss oder Bibiza am Sprung, international werden Singer/Songwriter wie Florence Arman, Oska oder Oskar Haag ziemlich sicher durchstarten.

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