"Da ist eine Gummizelle um uns"

Noch-Volkstheater-Direktor Michael Schottenberg
Der scheidende Direktor des Wiener Volkstheaters gibt sich kämpferisch – und gleichzeitig desillusioniert über die Wirkung des Theaters.

Kommenden Freitag hat am Wiener Volkstheater Bertolt Brechts grelle Hitler-Parabel "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" Premiere: Regisseur und Direktor Michael Schottenberg spricht über die Kraft der Satire, die heimische Kulturpolitik und Hauptdarstellerin Maria Bill.

KURIER: Sie inszenieren „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Ein eher selten gespieltes Stück von Bert Brecht...
Michael Schottenberg: Erstaunlicher Weise!

Gibt es einen Grund, warum Sie das Stück gerade jetzt herausbringen?
Naja, den kann man sich leicht herbeireden.... Nein. Es passt zu dem, was wir uns für heuer vorgenommen haben – Stichwort Macht. Man kann sagen, wie bei der „Dreigroschenoper“ auch, es ist das Stück der Stunde. Aber es war schon vor 30 Jahren das Stück der Stunde und es wird in 30 Jahren vermutlich noch mehr das Stück der Stunde sein. Es geht um die Verflechtung von Kapitalismus, Politik, Korruption. Das sind die drei Säulen, auf denen das Stück ruht. Das ist in den dreißiger Jahren so gewesen, sei es in den Verbrechersyndikaten in New York und Chicago, sei es bei der Machtergreifung von Hitlers NSDAP

Und heute?
Das ist zum Glück mit der heutigen Politik so nicht vergleichbar. Aber diese drei Säulen gibt es nach wie vor. Es liest sich eigentlich wie ein zynischer, böser Kommentar zur heutigen Zeit. Das Stück ist brandaktuell, überall auf der Welt.

Wie inszeniert man einen Kommentar?
Es ist ein großes, schweres Stück. Ich versuche, es kulinarisch zu machen, aber es ist ein Thesenstück, eine Parabel. Es ist ein hinreißender Text, ein großer Kommentar von Brecht, über 70 Jahre alt, der sich sehr aktuell liest. Wir haben viel gekürzt, um eine schlanke Fassung zu erstellen. Eigentlich handelt es sich um ein Politkabarett. Es ist auch sehr komisch. Die Figur des Ui ist clownesk, Brecht will ja die großen Verbrecher der Geschichte der Lächerlichkeit preisgeben.

Ist das Lächerlichmachen ein wirksames Mittel gegen Demagogen?
Ja. Die Mascheks machen das gut, auch „Wir Staatskünstler“. Im Grunde genommen entlarven sie sich ja selbst. Man müsste ihnen nur die Tür vor der Nase zuwerfen, dann klatschen sie von selbst an die Wand. Im Grunde kann man sie gar nicht verhöhnen, die Wahrheit ist viel böser und trauriger. Wie kann man die Straches parodieren? Ja, der Palfrader hat ihn eingeladen und fertig gemacht, aber das ist in Wahrheit auch nicht zum Lachen. Eigentlich kann man ihnen nur mit bitterbösem satirischen Kabarett begegnen. Was ja auch geschieht, Florian Scheuba zum Beispiel macht das.

Lassen sich Demagogen aufhalten – ist Arturo Uis Aufstieg tatsächlich „aufhaltsam“?
Brecht verlangt, man müsse etwas aus dem Stück lernen. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob Theater nachhaltig etwas bewirken kann. Klar bewirken wir, aber ist das genug? Man erreicht ja immer nur die Wissenden. Die, die es betreffen sollte, gehen nicht ins Theater. Da ist die Kulturschwelle zu hoch. Es sind ja acht Stufen bis zum Eingang, und die billigste Karte kostet noch immer was. Es hat doch immer etwas mit Bildungsbürgertum zu tun. Jedes Theater ist ein hermetischer Bezirk, in den man sich freiwillig hinein begeben muss. So wie Museen auch, Opern, Konzerte, Kinos.

Sie klingen resignativ.
Verschnupft klinge ich (lacht und hustet)! Ich bin nicht resignativ. Ich könnte jederzeit eine Brandrede über die Notwendigkeit des Theaters vom Stapel lassen. Es liegt mir auf der Zunge, was Theater alles bewirken kann. Was zum Beispiel wäre, wenn es Theater nicht gäbe? Klahari! Wir Kulturschaffenden haben die Visionen! Wir stellen die Fragen! Aber was es wirklich bewirkt, was es politisch bewirkt ... da ist leider Gottes eine Gummizelle um uns.

Brecht meinte, Theater könne die Menschen klüger machen.
Natürlich. Gäbe es kein Theater, wäre die Menschheit längst verdummt. Aber die konkrete Wirkung ... Allein die Tatsache, dass um dieses lächerliche knappe Prozent des Budgets, um den Kulturhaushalt, so gerungen werden muss! Es ist absurd, dass man darum überhaupt kämpfen muss! Das zeigt, dass die Politiker nichts verstanden haben. Es kommt ja auch kein einziger Politiker in die Vorstellungen, nicht einmal die Kulturpolitiker! Die kommen nur, wenn Seitenblicke geworfen werden. Kultur wurde beiseite geräumt, sie kommt im politischen Bewusstsein nicht mehr vor. Obwohl sie das Einzige ist, was von uns übrig bleiben wird, wovon wir profitieren, im visionären Sinn.

Kultur ist für Politiker kein gewinnbringendes Thema.
Wahlen kann man nicht gewinnen mit Kultur. Im Gegenteil: Man braucht sich ja nur diese höhnischen Postings anschauen, kaum ist irgendwo etwas los (deutet vage aus dem Fenster Richtung Ringstraße, wo das Burgtheater steht) ... mein Gott, ja! Aber um welche Beträge geht es da? Was ist das gegen die Hypo Alpe Adria?

Was sagen Sie zu den Finanzaffären rund ums Burgtheater?
Kein Kommentar. Das kann ich nicht beurteilen.

Könnte Ihnen das passieren? Wie genau schaut man sich als künstlerischer Direktor die Buchhaltung an?
Bei uns ist alles sehr überschaubar, wir reden von ganz anderen Zahlen-Dimensionen. Ich beschäftige mich jeden Tag mit Zahlen, denn nur das, was an der Kassa reinkommt, kann ich verplanen. Ich hab keinen Spielraum.

Sie besetzen den Arturo Ui mit einer Frau, mit Maria Bill.
Weil es von Brecht auch so gemeint war, dass dieser Arturo Ui ein Paradoxon ist, ein Clown, dessen Aufstieg verfremdet gezeigt wird. Angenommen, er würde von Tom Hanks gespielt – umso mehr könnte ich mich mit ihm identifizieren, umso näher wäre ich dran, und umso weniger könnte ich einen Mechanismus erkennen. Arturo Ui steckt ja voller Komplexe, er weiß sich nicht zu benehmen, er braucht immer Inszenierung und Talmi. Er ist ein klinischer Fall, eine Eiterbeule, die jederzeit vom Aufplatzen bedroht ist. Maria Bill spielt eine Kunstfigur, nahe am Grand-Guignol-Theater, bewusst nicht nahe am Leben. Ui ist ein Kunst-Wimmerl, ein entzündetes Eiterbeulchen.

Sie und Maria Bill waren viele Jahre lang ein Paar. Wie ist jetzt die Zusammenarbeit?
Wir sind immer noch ein Paar! Auf der Bühne. Seltsamerweise haben wir, kaum, dass wir im Leben kein Paar mehr waren, auf der Bühne so viel zusammen gearbeitet wie noch nie. Das zeigt doch, dass das eine funktionierende Symbiose ist, die sich erhalten hat. Gott sei Dank!

Sie sind noch länger hier, aber gleichzeitig auch schon im Abgang, Ihre Nachfolgerin steht mit Anna Badora schon fest. Haben Sie schon das Gefühl des Abschieds?
Nein, gar nicht. Ich arbeite dazu auch viel zu viel, das ist jetzt schon die dritte Regiearbeit in Folge. Es ist nun einmal so, dass die Nachfolge zwei Jahre vor der Übergabe bekannt wird. So sind die Spielregeln. Aber ich habe noch viel vor!

Wie ist die Zusammenarbeit mit Anna Badora?
Es gibt keine Zusammenarbeit. Ist auch gar nicht gefragt. Der kaufmännische Direktor arbeitet mit ihr zusammen. Aber meine Arbeit überschneidet sich mit ihrer gar nicht. Ich habe keine Ahnung, was sie macht. Sie wird ihr Theater machen, und das ist hoffentlich anders als meines, denn sonst würde man den Wechsel ja nicht wahrnehmen.

Sie sind zufrieden mit der Wahl Ihrer Nachfolgerin?
Ich glaube, dass es eine gute Wahl ist. Die Frau kann das, sie hat es oft genug bewiesen.

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