Michael Ondaatje: Geflüstertes von Mutter und Windhunden

Michael Ondaatje: Geflüstertes von Mutter und Windhunden
„Kriegslicht“ ist ein leiser Erinnerungs- und Spionageroman, nominiert für den Booker Prize.

Michael Ondaatjes erster Roman seit sieben Jahren  beginnt wie ein Märchen:
„Im Jahr 1945 gingen unsere Eltern fort und ließen uns in der Obhut zweier Männer zurück, die möglicherweise Kriminelle waren.“
Erinnerungen sind oft Märchen. Nur Bilder sind es, Schnappschüsse, die beim Denken an frühere Tage auftauchen. Man glaubt, sie stehen für ein Ganzes .
Sie können der Vergangenheit aber kaum gerecht werden.

Der Koffer

Nathaniel, 28, versucht es. Er versucht Türen zu öffnen. Bei einigen gelingt es.
Tagelang hatte Mutter einen Riesenkoffer für Singapur gepackt, um ihren Mann, Nathaniels Vater, zu begleiten, wo er die Asiengeschäfte von Unilever managen sollte.
Als Nathaniel dann Monate später im Keller den Koffer entdeckte, noch immer voll mit Mutters, war der 14-Jährige noch verwirrter.
Die Menschen, die sich um ihn und um seine Schwester zu dieser Zeit kümmerten, waren verwirrend genug. Fürsorglich zwar. Aber Gestalten wie bei Charles Dickens. So etwa veranstalteten sie illegale Windhundrennen ... wobei mit Chemie nachgeholfen wurde, um Wetten zu gewinnen.
Dadurch bekam z.B. der Windhund, der gefälligst verlieren sollte, auf den letzten 100 m eine unerwünschte Erektion und war dadurch einigermaßen vom Laufen abgelenkt.
Nur eine Erinnerung.
Nur ein Schnipsel. Auf machen steht „schwer“, wie es Gustav Mahler auf Partituren notiert hat, damit das Orchester vorbereitet ist. Man sollte immer vorbereitet sein, wenn es „schwer“ wird im Leben.
Nein, Nathaniels Mutter war nicht an der Seite des bei Unilever beschäftigten Ehemannes.
Sie war eine Spionin, im Kalten Krieg für England. Eine bewaffnete Spionin, die in Italien eines gewaltsamen Todes starb.
 „Kriegslicht“ bzw – im Original – „warlight“ ist ein Wort, das es nicht gibt. Michael  Ondaatje - im Bild oben in Wien auf der Buchmesse 2016 -  meint das orange Licht, das auf den Brücken der Themse angebracht war, damit sich die Schiffe nicht verirren; ein schwaches, gedämpftes  Licht, denn die deutschen Flugzeuge sollten nicht zum Fluss gelockt werden.
Damit wird etwas Heimliches betitelt, eine heimliche, private Geschichte.
Dementsprechend ist „Kriegslicht“ fast ein geflüstertes Buch. Laut genug zwar, um heuer im Rennen um den renommierten britischen Booker Literaturpreis zu sein.
Aber nicht jeder muss von diesem Wunderwerk erfahren, pst.

 

Michael
Ondaatje:

Kriegslicht
Übersetzt von
Anna Leube.
Hanser Verlag.
320 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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