Der gebürtige Bayer Ende, der 1995 verstarb, war jedoch eine zerrissene Figur: Dem enormen Erfolg seiner Bücher stand der Umstand gegenüber, dass ihm die Anerkennung im „hohen“ Literaturkanon – erst mit Bühnenwerken, dann mit Jugendliteratur – versagt blieb. „Man darf von jeder Tür aus in den literarischen Salon treten, aus der Gefängnistür, aus der Irrenhaustür oder aus der Bordelltür“, pflegte er zu sagen. „Nur aus einer Tür darf man nicht kommen, aus der Kinderzimmertür.“
Doch auch in den Kinder- und Jugendzimmern hatte der als Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende geborene Autor einen Kampf gegen jene auszufechten, die ihm oft als Feinde der Fantasie galten. Die Bildermaschinen der kommerziellen Populärkultur nahmen Mitte der 1980er-Jahre an Fahrt auf. Die mit enormem Aufwand produzierte Verfilmung der „unendlichen Geschichte“ (1984) wurde zu einem Fantasy-Blockbuster – der Autor sah darin aber die Aussage seines Werks verfälscht.
„Viele nehmen die Abkürzung und meinen, sie müssen das Buch nicht mehr lesen, wenn sie den Film gesehen haben“, sagt der Künstler Sebastian Meschenmoser im Gespräch mit dem KURIER. Er hat eine Schmuckversion der „unendlichen Geschichte“ mit mehr als 50 Ölbildern und 100 Zeichnungen neu illustriert – „weil man hier Bilder einbringen kann, die diese Filmbilder überlagern“.
Ende verarbeitete in seinem Opus Magnum einerseits jede Menge literarischer und weltanschaulicher Einflüsse – so besaß er etwa alle Bücher des Science-Fiction-Vordenkers Stanislaw Lem, war bewandert in den Lehren des Anthroposophen Rudolf Steiner und hatte großes Interesse an japanischer Kultur. Doch auch in der Kunstgeschichte war der Autor stark grundiert, erzählt Meschenmoser. So sei die von Gustave Doré illustrierte Fassung des Versepos „Orlando Furioso“ bei Vater Edgar Ende zu Hause gelegen. Surrealistische Malerei habe den Sohn ebenso beeinflusst wie die Spuren der Antike und der Renaissance in der Umgebung Roms, wo Ende ab den 1970ern lebte.
Viele Orte, die Ende tatsächlich vor Augen hatte, als er an den sagenhaften Kontinent „Phantásien“ dachte, sind nun in die neuen Illustrationen eingebaut.
Doch der Deutsche war keineswegs der Einzige, der im Bergwerk des Mythenschatzes grub. Und anders als bei Joanne K. Rowlings „Harry Potter“ und J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“ fügte sich seine Erzählung nicht so geschmeidig in jene Logik ein, die Blockbuster-Adaptionen in Serie möglich macht.
Die „unendliche Geschichte“, betont Meschenmoser, sei überhaupt nur in der ersten Hälfte eine Art Abenteuergeschichte, in der zweiten wandle sie sich zu einem philosophischen Buch. „Der Protagonist Bastian ist ja auf der Suche nach seinem wahren Willen. Das ist ja ein Problem, mit dem sich Menschen in jeder Generation auseinandersetzen.“
Dass die zeitlosen Fragen mitunter im romantischen bis esoterischen Kleid daherkommen, war aber wohl ein Grund für Endes Geringschätzung durch die moderne Literaturkritik. Ein „Anti-Aufklärer“ sei der Autor dennoch nicht gewesen, findet Meschenmoser: Eher ein „Geschichtensammler und Geschichtenkombinierer“, der sich aus der realen Welt keineswegs ausklinken wollte.
Neben der „unendlichen Geschichte“, wo der Verlust der Fantasie in der modernen Gegenwart beklagt wird, ging es Ende in „Momo“ (1973) um die Kritik an der immer mehr auf Effizienz getrimmten Gesellschaft. Die Vorstellung, dass Menschen unter dem Vorwand der Optimierung die Zeit gestohlen wird, hört sich im Handyzeitalter irgendwie vertraut an, wie auch Meschenmoser befindet: „Die grauen Herren treten bloß heute immer schlechter getarnt auf.“
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