"Mia Madre": Alles über meine Mutter

Nanni Moretti, Regisseur von und Schauspieler in „Mia Madre“, wo er mit seiner Schwester Margherita (Margherita Buy) um die Mutter trauert.
Nanni Moretti lässt sich von einer Frau spielen und trauert um seine Mutter in "Mia Madre".

Während Nanni Moretti an seinem vorletzen Film "Habemus Papam" arbeitete, starb seine Mutter Agata. Das geschah im Jahr 2010. In seinem neuen, berührenden Film "Mia Madre" (ab Freitag im Kino) verarbeitet der italienische Regisseur diese traurigen Ereignisse – mithilfe einer Frau.

In "Mia Madre" steht eine Filmregisseurin in Rom im Zentrum. Sie arbeitet gerade an ihrem neuen Film, als sie die Nachricht ereilt, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Margherita befindet sich in Trennung , ihre Teenager-Tochter ist schwierig und der Filmdreh fordert ihre ganze Kraft; zumal einer der Schauspieler – ein irr-witziger John Turturro – ihr Ensemble in Atem hält. Dazwischen versucht sie, sich um die Mutter zu kümmern. Doch es ist ihr Bruder Giovanni, der sich ausschließlich der Mutter widmet.

Nanni Moretti übernahm die Rolle des verständnisvollen Giovanni, seine egozentrische Schwester Margherita wird nuanciert von der italienischen Schauspielerin Margherita Buy verkörpert.

Ein Gespräch mit Nanni Moretti über nagende Selbstkritik, den Tod seiner Mutter und warum er sich von einer Frau spielen lässt.

KURIER: Ihr Film "Mia Madre" hat starke autobiografische Momente, die sich auf den Tod Ihrer eigenen Mutter beziehen. War dieses Filmprojekt deswegen schwieriger für Sie als andere?

Nanni Moretti:Wenn ich einen Film mache, mache ich einen Film – und damit basta. Ich erlaube mir nicht, mich von einem Thema überwältigen zu lassen. Das ist meine Meinung, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich meine eigene Meinung teile. Ehrlich gesagt, gab es vor allem einen Tag, an dem ich emotional sehr angegriffen war. Als wir die Szene drehten, in der Margheritas Tochter erfährt, dass ihre Großmutter gestorben ist, hat mich das völlig erschüttert.

Ihr Film fühlt sich sehr persönlich an.

Ja, das wollte ich auch. Ich habe viele persönliche Gegenstände mit aufs Set gebracht und im Film verwendet. Einige der Pullover, die die Mutter im Spital trägt, gehörten wirklich meiner Mutter. Oder das Auto, das Margherita fährt – nicht das, das zu Schrott gefahren wird, sondern das andere – gehört mir. Auch die Bücher, die man in der Bibliothek sieht, gehörten meinen Eltern. Meine Mutter war ja Lehrerin für Griechisch und Latein.

Apropos Latein: An einer Stelle betont die Mutter, wie wichtig eine Sprache wie Latein ist. Teilen Sie diese Meinung?

Ja, absolut. Es geht in meinem Film auch darum, was von der Vergangenheit übrig bleibt – und zwar für diejenigen, die zurückbleiben. Für die Enkelin sind es Lateinbücher, aber auch die Schachteln mit Souvenirs von den früheren Schülern der Mutter. Es war schmerzhaft für mich, denn das ist mir selbst auch passiert, als meine Mutter starb. Ich habe viele ihrer Schüler kennengelernt, die mir – wie im Film – Geschichten über meiner Mutter erzählt haben. Es war unglaublich, plötzlich so viele Seiten von ihr zu entdecken, die ich vorher nicht gekannt hatte. Und es war natürlich auch schmerzhaft festzustellen, dass es einen großen Teil ihres Lebens gab, von dem ich nichts wusste.

Stimmt dieses alte Klischee von der engen Beziehung des italienischen Mannes zu seiner Mutter überhaupt noch?

Ich glaube, das wird gerne ein bisschen übertrieben. Die italienische Gesellschaft hat in der Zwischenzeit einige Fortschritte gemacht. (lacht)

Hat es Sie nicht gereizt, selbst den Regisseur zu spielen?

Ich hatte von Anfang an eine Frau für diese Rolle im Kopf. Warum, kann ich eigentlich nicht sagen. Ich hatte das Gefühl, es wäre interessanter, die Geschichte aus der Perspektive einer Frau zu erzählen.

Es gibt eine Szene, in der der Bruder (also Sie) zu Margherita sagt, Sie wünschten, sie könnte ein paar von ihren Verhaltensmustern ändern.

Da habe ich praktisch ein Selbstgespräch geführt. Es gibt genug Leute, die mich kennen und mir immer wieder sagen, ich soll mein Verhalten ändern. Ich glaube, ich bin deswegen so kritisch zu der Figur der Margherita, weil ich auch mit mir selbst sehr kritisch bin. Margherita ist niemals mit sich zufrieden, und ich bin genauso: Ich bin nie im Einklang mit mir selbst. Ich habe überhaupt sehr viel mehr von Margherita als von Giovanni, dem Bruder, den ich spiele. Giovanni ist so, wie Margherita gerne wäre – und ich auch.

Margherita sagt einmal, dass Regisseure richtige Arschlöcher sind, die sich alles erlauben könnten. Wie sehen Sie das?

Für diesen Sager gab es während der Gala-Vorstellung (in Cannes, Anm.) Szenenapplaus. Während ich "Habemus Papam" drehte, habe ich einmal eine Notiz über mich selbst in mein Tagebuch geschrieben. Wir drehten eine Szene, in der eine Person mit einer Decke auf dem Sofa sitzt. Mir gefiel die Decke nicht, also schickte ich meinen Assistenten zu meiner Mutter nach Hause, wo ich wusste, dass es da eine andere Decke gab, die mir gefällt. Natürlich wurde der Dreh deswegen unterbrochen, alle Schauspieler und das Team mussten warten, und so weiter. Am Abend schrieb ich dann in mein Tagebuch: "Regisseure sind Arschlöcher, die sich alles erlauben können."

Ist das notwendig, um ein guter Regisseur zu sein?

Gute Frage! (lacht) Sagen wir so: Es ist keine Verpflichtung, aber manchmal hilft es.

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