Man kann sich also notieren: Wenn man ein millionenschwerer Metal-Star ist, können einem die Feinheiten des österreichischen Föderalismus offenbar herzlich egal sein. "Wir lieben euch, Wien", rief Metallica-Frontmann James Hetfield dem Publikum in Ebreichsdorf zu, und das können sich in Niederösterreich nicht alle erlauben.
Ebreichsdorf, nein: Wien liebte Metallica natürlich zurück, wie das nunmal so ist bei Großkonzerten. Am Samstagabend wurde im Racino jedenfalls eines bewiesen: Man kann dort wirklich Riesenauftritte von Riesenstars veranstalten .
An die 60.000 Tickets waren verkauft worden - und zumindest gegen 18 Uhr noch verlief die Anreise problemlos. Auch danach ließ der stete Strom an Fans auf das Festivalgelände schließen, dass es nicht allzu sehr staute. Wer sich aber schon seelisch auf Warten eingestellt hatte, konnte das zumindest am Gelände einlösen: Man konnte in Schlangen auf das Bier warten, man konnte in Schlangen auf die standardisierte Festivalverköstigung warten, und wer wollte, konnte in einer Schlange warten, um Bargeld gegen eine Bezahlkarte zu tauschen, obwohl man eh überall mit Bankkarten zahlen konnte.
Macht nichts, man hat es, einmal drin, ja eh nicht mehr eilig. Und eventuell wäre das mit der Bezahlkarte, die einen Deckel auf das Biergeld draufsetzt, für manchen eine gute Idee gewesen, weil wer nicht aufpasste, hatte sich schon in den Tiefen des Pfandbechers verloren, bevor Metallica noch anfingen.
Das taten sie gegen 21 Uhr, und da fuhr die Soundanlage am Racino, die sich zuvor bei Five Finger Death Punch noch willenlos verblasen ließ, endlich richtig hoch. Vorwand für die aktuellen Metallica-Konzerte ist das neue Album "72 Seasons", und wer sich beim Bier zurückhielt, hatte vielleicht Muße, nachzurechnen: Geht man, die Verschleifung des einstigen Ablaufs Frühling, Sommer, Herbst und Winter zu zirka zwei unangenehmen Jahreszeiten durch den Klimawandel mal außer acht lassend, von vier Jahreszeiten pro Kalenderjahr aus, sind 72 Jahreszeiten 18 Jahre.
Was Metallica damit aber sagen wollen, darüber nachzudenken blieb dann wiederum nicht genug Zeit. Denn schließlich wollte man sich am weitläufigen Gelände doch eine taugliche Sicht- und Soundachse auf die Herren mit den schnellen Gitarren erarbeiten. Dabei hörte man ganz hinten, bei den wartenden Eltern und jenen, die die Luftgitarre aus Fehlplanung beim Bierkonsum bereits frühzeitig aus der Hand gelegt hatten, eigentlich besser als im Mittelfeld, wo man auch, wenn man nicht aufpasste, als Teil der Schlange vor dem Klo angesehen wurde, woraufhin sich Leute neben einem anstellten.
Zu sehen war eine auf Großkonzert getrimmte Bühne, die von Leinwandpanelen beherrscht waren, die so geometrisch exakt angeordnet waren wie die Bildelemente auf abstrakten Gemälden.
Darauf sah man mal schöne Muster, mal schwitzende Musiker. Beides interessant, wobei zweiteres wohl mehr, vor allem für die gar nicht wenigen Menschen, die Metallica in Ebreichsdorf zum ersten Mal sahen, wie eine Spontanumfrage von Hetfield ergab,
Zu hören wiederum war gar nicht wenig vom neuen Album, und wie das mit neuen Alben so ist, war das jetzt nicht das, weswegen die Leute dort waren. Aber keine Sorge, es gab auch die alten Hits, etwa eine routinierte Version von "Nothing Else Matters". Und einen noch älteren Hit: Gitarrist Kirk Hammett und Bassist Robert Trujillo stimmten bei ihrem traditionellen Duett den "Kommissar" von Falco an, der damit auch das erste Mal im Racino zu hören war.
Das über dem Festivalgelände thronende Racino-Gebäude sollte wohl mit einem Video bespielt werden, man sah aber nur ein überdimensionales Testbild.
Zu lernen war in Ebreichsdorf, dass das zwanghafte Handymitfilmen von Livekonzerten nicht nur Teenagern vorbehalten ist. Auch die durchaus dem österreichischen Altersdurchschnitt entsprechenden Metallica-Fans der ersten Stunde hielten an jenen Momenten ihr Handy im Aufnahmemodus hoch, an denen ein Song von früher erklang.
Die Begeisterung verlief sich zwar ein wenig am Gelände (wie man überhaupt darüber sinnieren könnte, ob das Publikum nach der Pandemie insgesamt weniger applaudiert, aber das ist schwer festzumachen). Und den Effekt, dass im Stadion die Band dank der weit ins Publikum reichenden Bühne ganz vielen Menschen ganz nahe scheint, erreicht man auf der grünen Wiese halt nicht. Dass die grüne Wiese auch so bleibe, dafür sorgten schon während des Konzerts freundliche Männer mit Müllsäcken.
Aber Metallica sind Metallica, und dass das eine große Unterhaltungsmaschine ist, das weiß auch Hetfield, der zwischendurch so klang wie der Chef eines Silicon-Valley-Startups: Die Band will "Freude in die ganze Welt bringen", sagte er, sie mache das mit "heavy music". Die Antwort auf seine anschließende Frage, ob das Publikum derartige Musik mag, war jedenfalls erwartbar.
Kommentare