Bevor es dunkel wird am Rockstarhimmel
Es ist leicht, über "Desert Trip" zu spotten. Man muss humormäßig nicht besonders gelenkig sein, um Pointen über das angebliche Gegensatzpaar "Alt" und "Rockmusik" zusammenzuschrauben. Warum spottet eigentlich niemand, wenn die Besucher und/oder die Ausführenden bei klassischen Konzerten älter als 29 (oder sogar 79) sind? Das Rockkonzert ist doch in Wahrheit eh längst der neue Musikverein, wo man im familiären Verbund anreist, um gemeinsam die Erinnerung an ein großes Erbe zu besichtigen.
Bei manchen Pointen fällt es einem gar nicht so leicht, sie nicht im Vorübergehen mitzunehmen. Etwa die Tatsache, dass für "Desert Trip" andere Toiletten und ein anderes Catering gebucht wurden – der Konzertbesucher im besten Mick-Jagger-Alter möchte Toiletten mit Wasserspülung und "senior meals", lautet das Kalkül der Veranstalter.
Brüderlein fein
Der Autor dieser Zeilen hat beschlossen, "Desert Trip" auszulassen. Er gehört zwar gerade noch zur werberelevanten Zielgruppe (die endet mit 50, danach gilt der Mensch in der Medienbranche als seelisch zu gefestigt, um zu sinnlosen Ausgaben überredbar zu sein), hat aber wenig Lust auf eine Reise ins südkalifornische Wüstengemüse sowie darauf, den Herren Stones über absurde Preise (jeder Besucher wird im Schnitt etwa 1000 Dollar ausgeben) neue Platinklobrillen mit Kaschmirbezug zu finanzieren.
Vor allem aber möchte er, wenn der Abschied von der Jugend schon sein muss, diesen "Brüderlein fein"-Moment nicht unbedingt auf einem geriatrischen Woodstock für die Kukident-Generation teilen. Wenn das Alter bei mir vorstellig wird, möchte ich lieber privat sein.
Abschied
Darum geht es nämlich hier: Um den Abschied von der Jugend. Und das ist ein dreckiger Job, aber irgendjemand muss ihn ja machen. Übrigens nicht nur für die Besucher, auch für die auf der Bühne. Nur, dass die es geschafft haben, ihre Jugend bis ins achte Lebensjahrzehnt auszudehnen. Die Rolling Stones, Paul McCartney, Bob Dylan, The Who, Neil Young und Roger Waters von Pink Floyd: das Durchschnittsalter der Auftretenden beträgt 72 Jahre. Dass es nicht mehr lange weitergeht, ist allen Beteiligten klar. (Dass Keith Richards noch da ist, gilt seit 40 Jahren als Wunder.)
Gutes Geschäft
"Also ein Coachella für alte Leute", sagte Mick Jagger trocken, als er vor über einem Jahr mit der Idee für das Festival konfrontiert wurde. Mit seinem berühmten Sinn für das Wesentliche erkannte er aber auch den entscheidenden Punkt: 150.000 Besucher an zwei Wochenenden werden für Einnahmen von geschätzten 160 Millionen Dollar sorgen – noch nie wurde mit einem einzigen Konzertereignis auch nur annähernd so viel Bares in den Geldspeicher geschaufelt.
Supernova
Es gab aber auch noch nie so eine Zusammenballung von spezifischem Star-Gewicht, von lebender Geschichte. Auch Rockstars denken an ihren Nachruhm. "Desert Trip" ist ein gigantisches, brüllendes Denkmal für die goldene Generation der Rockmusik, ein letztes großes Feuerwerk, das Aufblähen der Stars zur Supernova, bevor es dunkel wird am Rockstarhimmel.
Wie es gewesen sein wird, kann man bei diesem Ereignis witzigerweise schon vorher sagen – alle Beteiligten sind ja seit Jahren ständig auf der Bühne (da die Tonträger-Verkäufe weggebrochen sind, bleibt nur das Live-Spielen, um den Lebensstandard zu erhalten).
Neil Young wird die Gitarre heulen lassen und das Loblied von Mutter Erde singen. Roger Waters wird mit großer Geste an der eigenen Berühmtheit leiden. The Who werden laut und gut rocken, auch wenn Roger Daltrey die hohen Töne nicht finden wird. Paul McCartney wird ein weiteres Mal öffentlich seinen Frieden mit der Beatles-Vergangenheit machen. Bob Dylan wird seine Songs in Salzsäure auflösen. Nur die Rolling Stones bringen ein wenig Gefahr in die Veranstaltung – bei denen ist zwischen einer Sternstunde und einem Katastrophenkonzert nach wie vor alles möglich.
Was dann?
Am Tag nach dem Festival werden die Sechzigerjahre, die jetzt auch schon 56 Jahre dauern, vorbei sein. Und was werden wir dann machen? Miley Cyrus hören?
Aber nach dem Ende ist sowieso vor dem Ende: Für Juni 2017 werden die Stones auf der Donauinsel erwartet.
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