"Wiener Zeitung": Redaktion befürchtet massiven Personalabbau
Die "Wiener Zeitung" ist bald als tägliche Printzeitung Geschichte. Die Bundesregierung hat am Mittwoch die Pläne für die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt kommuniziert. So soll der Schwerpunkt der Berichterstattung im Onlinebereich liegen. "Nach Maßgabe der finanziellen Mittel" ist ein Printprodukt geplant, wobei zehn Ausgaben im Jahr angestrebt werden. Gleichzeitig baut die Regierung das republikseigene Medienhaus zu einem Aus- und Weiterbildungsinstitut aus.
"Wir haben in den letzten Monaten ausführliche Gespräche mit der 'Wiener Zeitung' und mit Expertinnen und Experten geführt", sagte Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) am Mittwoch vor Journalisten. Ziel sei es gewesen, die unabhängige Redaktion und die Traditionsmarke zu erhalten und das Medienhaus fit für das digitale Zeitalter zu machen. Hintergrund für die Änderung des Geschäftsmodells ist die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen in gedruckter Form im Amtsblatt der Zeitung. Sie machen mit ca. 20 Millionen Euro einen großen Teil der "Wiener Zeitung"-Einnahmen aus und dürften mit Jahresende wegfallen. Das Amtsblatt wird künftig ausschließlich digital erscheinen und zu einer "elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes" (EVI) ausgebaut.
Neue Aufgaben für die "Wiener Zeitung"
Auf den Personalstand der "Wiener Zeitung"-Redaktion soll das keine Auswirkungen haben. "Jeder Mitarbeiter bekommt die Möglichkeit, sich im neuen Geschäftsmodell zu beteiligen", so Raab. Es werde auch weiterhin Unterstützung durch den Staat geben. "Es gibt ja auch neue Aufgaben", meinte die Medienministerin.
So soll die gegenwärtige von dem Medienhaus betriebene Journalistenausbildung unter dem Namen "Media Hub Austria" deutlich ausgebaut und die "Wiener Zeitung" als Weiterbildungsinstitut für den österreichischen Journalismus positioniert werden. Konkret plant die Regierung, dass bei der "Wiener Zeitung" Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden und diese auch in anderen österreichischen Medienunternehmen im Rahmen ihrer Ausbildung arbeiten. Gleichzeitig sollen auch andere Medienhäuser Journalistinnen und Journalisten zur Fortbildung in die "Wiener Zeitung" schicken können. Bereits jetzt hat das Medienhaus eine "360 Grad Journalismus" genannte Ausbildung am Laufen.
Kurz nach der Pressekonferenz der Regierung kündigte die Geschäftsführung der "Wiener Zeitung" per Aussendung "die nächste Phase der Transformation" mit den genannten Punkten an. Martin Fleischhacker, Geschäftsführer der "Wiener Zeitung", verwies auf "mehrere Zukunftskonzepte", die man in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit dem Eigentümer erörtert und geprüft habe. Zur Realisierung der nun vorgestellten Transformation seien bereits zahlreiche Schritte eingeleitet und umgesetzt worden. "Alle Zukunftsvisionen - vom Medium bis zum Media Hub Austria - sind im Unternehmen selbst entstanden und es freut mich, dass die Politik diese Ideen aufgegriffen und gemeinsam mit uns weiterentwickelt hat." Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedankte sich Fleischhacker "für ihren Einsatz, den Gestaltungswillen und ihre Kreativität, die nicht selbstverständlich ist". Er zeigte sich überzeugt davon, auch in neuer Form "einen wesentlichen Beitrag für den Medienstandort Österreich zu leisten".
Redaktion fürchtet Personalabbau
Die Redaktion der "Wiener Zeitung" reagierte nicht erfreut. In einer Resolution forderte sie, dass der Eigentümer Verantwortung für sein Eigentum übernehmen müsse. "Die 'Wiener Zeitung' hat sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der besten Qualitätszeitungen des Landes entwickelt. Auch die Digitalisierung der 'Wiener Zeitung' beginnt nicht mit 2022, wie die Vorhaben des Eigentümers andeuten", hielten die Redakteurinnen und Redakteure fest. Die Geschäftsführung brauche verlegerische Kompetenzen und Qualitätsjournalismus finanziellen Rückhalt. Die Redaktion befürchtet nun einen "massiven Personalabbau" durch die Abkehr von der gedruckten Tageszeitung. Jedoch: "Ein qualitätsvolles Online-Medium ergänzt um eine Monatszeitung lässt sich nicht mit weniger Redakteurinnen und Redakteuren, als aktuell angestellt sind, produzieren." Bemängelt wird in der Resolution, dass die gewählte Vertretung der Redaktion bei den geplanten "gravierenden Veränderungen" nie hinzugezogen worden sei. "Das ist eine klare Missachtung des Statuts durch den Eigentümer und die Geschäftsführung."
Abschließend wünscht sich die Redaktion einen Partner, der die Zeitung der Republik in eine gute Zukunft führen könne. Walter Hämmerle, Chefredakteur der "Wiener Zeitung", verwies dabei zuletzt auf ein vom Cognion Forschungsverbund gemeinsam mit der Chefredaktion erarbeitetes Konzept. Dieses sieht umfassende digitale Veröffentlichungen von Daten und deren gemeinnützige Aufbereitung sowie eine "Hardcore-Qualitäts-Tageszeitungsredaktion" vor. "Dieses Konzept stellt eine Zukunftsoption dar und gehört geprüft", so Hämmerle.
Kritik und Zustimmung
Auf Zustimmung stieß die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt der "Wiener Zeitung" bei der Industriellenvereinigung, beim Wirtschaftsbund und dem Aktienforum. Sie stelle eine "finanzielle Erleichterung für die heimischen Unternehmen" dar und sei "lange überfällig" gewesen, hieß es in einer Aussendung der Industriellenvereinigung. Auch das Aktienforum begrüßt die Abschaffung gedruckter Pflichtveröffentlichungen. "Die Finanzierung eines bundeseigenen Mediums von Pflichtbeiträgen der Unternehmen abhängig zu machen, war seit jeher nicht nachvollziehbar", meinte Robert Ottel, Präsident des Aktienforums, in einer Aussendung.
Der Österreichische Wirtschaftsbund betonte, dass Förderung und Erhalt von Qualitätsjournalismus für Wirtschaft und Gesellschaft "unentbehrlich" seien. Mit dem neuen Geschäftsmodell werde die "Wiener Zeitung" aber weiterhin einen "wertvollen und zeitgemäßen Beitrag zum Medienstandort Österreich leisten", so Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger.
Kritik an der Entscheidung der Regierung übte der Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen, Gerald Grünberger: Der Verband setze sich als Interessenvertretung der heimischen Medienhäuser stets für den Erhalt der Medienvielfalt in Österreich ein: "Daher ist es aus unserer Sicht ein herber Schlag, wenn die Printausgabe der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt eingestellt wird. Grundsätzlich ist die Entscheidung eines Verlegers bzw. Herausgebers zu respektieren, allerdings ist es überaus bedauerlich, dass keine andere Lösung, wie etwa eine Privatisierung der Traditionsmarke, gefunden werden konnte", so Grünberger in einer Aussendung.
Scharfe Kritik an den Plänen für die "Wiener Zeitung" kam von der Opposition: SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried sprach in einer Aussendung davon, dass Österreich "ein Medienjuwel" verliert. "Es wäre möglich gewesen, ein wirtschaftliches Modell zu finden, das den Erhalt der Tageszeitung sichert. Die Regierung wollte das nicht." Ein "Sterben auf Raten" ortete auch NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter, die die Online-Vorhaben in Kombination mit einer monatlichen Printausgabe als "vollkommen realitätsfern" kritisierte.
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