"Vorstadtweiber" & Co: Heimische Serien gehen in die Verlängerung
Glanz und Elend der Jahrhundertwende liefern die Kulisse für die internationale TV-Produktion „Liebermann (Vienna Blood)“ nach den Romanen des britischen Bestseller-Autors und Psychologen Frank Tallis. Im Anschluss an Regisseur Robert Dornhelm („Das Sacher“) inszeniert derzeit Umut Dag („Risse im Beton“) in Wien in englischer Sprache die Folgen 2 und 3 der Reihe um den jungen Psychoanalytiker Max Liebermann (Matthew Beard, The Imitation Game). Er unterstützt die Ermittlungen von Inspektor Rheinhardt (Juergen Maurer) in unkonventionellen Kriminalfällen. Als Produzent ist von österreichischer Seite die MR Film federführend. Deren Co-Geschäftsführer und mehrfacher ROMY-Gewinner Oliver Auspitz im Gespräch über Hochglanz-Produktionen, Streaming-Plattformen und Neuigkeiten von „Vorstadtweiber“ bis „Schnell ermittelt“.
KURIER: Eine internationale Produktion wie „Liebermann“ zu stemmen, muss für einen österreichischen Produzenten eine ziemliche Herausforderung sein.
Oliver Auspitz: Wir arbeiten mittlerweile oft auch mit nicht-österreichischen Partnern. Im Film- und TV-Bereich funktioniert die Achse etwa zwischen Österreich und Deutschland schon lange und das sehr sehr gut. Vielfach unterscheidet man da gar nicht mehr, einerseits bedingt durch die gleiche Sprache, aber auch dadurch, dass die Zuseher ARD, ZDF, die dritten deutschen Programme und auch gewisse Privatsender wie selbstverständlich in Österreich auch nutzen. Über den deutschen Sprachraum hinaus eine Produktion aufzustellen, das ist natürlich nochmals eine andere Herausforderung.
Wie lange hat der Vorlauf zu diesem Projekt gedauert?
Mein Partner Andreas Kamm hat es vor 10 Jahren begonnen nach einem Hinweis auf das Buch. Dann haben wir die BBC-Connection aufgebaut, die Rechte optioniert usw.
Und was hat es ausgemacht, dass es dann doch umgesetzt wurde? Normalerweise heißt es in diesem Geschäft, etwas, dass so lange währt, wird nicht gut?
Das habe ich auch immer gedacht - mittlerweile ist für mich das Gegenteil bewiesen. Wenn ich zurückdenke, „Schnell ermittelt“, das ursprünglich „Besser blond“ hieß, hatte auch einen Vorlauf von fünf, sechs Jahren. Also, als Produzent, als Film- und Fernsehschaffender braucht es einen langen Atem.
Wie finanziert man diesen langen Atem?
In dem man – das ist die Verantwortung der Produzenten-Landschaft - mit dem Geld, das man erwirtschaftet, Neues anstößt. Das heißt nichts weniger, als dass wir selbst ins Risiko gehen müssen und Stoffe entwickeln. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass man den ersten großen Partner wie einen ORF und, im Fall von „Liebermann“, dann das ZDF hat, die sich für ein Projekt interessieren. In der Folge braucht es noch gute Förderpartner wie die RTR Fernseh Fonds Austria und einen ausländischen Partner, um auf ein international konkurrenzfähiges Budget-Level zu kommen. Bei „Liebermann“ ist das Red Arrow International, das zum ProSieben-Konzern gehört und mit sehr viel Engagement in diesem Projekt drin ist.
Wozu braucht es da noch den ORF?
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat jüngst gemeint, ohne den ORF gäbe es die österreichische Filmwirtschaft nicht - das kann man mögen oder nicht mögen, aber das ist definitiv so. Denn der ORF ist mit dem Geld, das er in österreichische Stoffe, Filme und Serien bereit ist zu investieren, immer die Anstoß-Finanzierung - manchmal sorgt er auch für die Gesamtfinanzierung. Dieses Engagement braucht es, um überhaupt das Vertrauen im Ausland zu bekommen und zu behalten. Denn ist der Heimat-Sender nicht dabei, dann wird es schwierig. Man kann viel über den ORF diskutieren, aber darüber, ob der ORF für die österreichische Filmwirtschaft relevant ist, braucht man keine Sekunde verlieren. Vielleicht wird das mal anders sein - es gibt ja erste Produktionen österreichischer Privatsender, also z.B. von ServusTV. Aber im Moment ist das kein Ersastz.
Wie gewinnt man inhaltlich Internationale Partner?
Wir, die MR Film, haben die Erfahrung gemacht, dass man mit Stoffen, die inhaltlich aus dem Herzen Österreich stammen, immer leichter die Türen zu fremdsprachigen Kooperationspartnern öffnet, als mit solchen, die genauso gut anderswo stattfinden könnten. Sich an so große Märkte wie den englisch-, den französisch- oder italienischsprachigen anzupassen, führt meistens nicht zur Co-Produktion sondern zur Nichtbeachtung. Wir schauen also sehr genau, was können wir als besonders authentisch anbieten und was sind Geschichten, die aus unserem Kulturkreis und unserer Identität heraus erzählt auch Relevanz fürs Ausland haben.
Da bietet sich natürlich die Historie an. Die MR Film ist ja schon fast so etwas wie ein Spezialist in diesem TV-Genre: Stichwort „Maximilian“, Stichwort „Maria Theresia“.
Nicht umsonst wirbt auch der österreichische Tourismus zu einem großen Teil mit vergangenen Zeiten, mit der Monarchie und dem Adel und mit einer sehr relevanten Rolle im damaligen Europa. Auch der Selbstwert vieler Österreicher definiert sich heutzutage noch sehr über die Historie - über Ikonen von Mozart bis Maria Theresia.
Wie genau lässt sich vorab festmachen, wie die Nachfrage am Markt nach einem solchen Film sein wird?
Das ist nicht ganz so einfach. Manchmal tun sich auch erst später Möglichkeiten auf. Ein Beispiel: Die ersten beiden Teile von „Maria Theresia“ haben wir außer nach Tschechien, in die Slowakei, nach Ungarn und Österreich, aber auch übers ZDF in den arte-Verbund verkaufen können. Es ist dann in Deutschland und Frankreich jeweils auf arte mit einem herausragenden Erfolg gelaufen. In beiden Ländern haben jeweils weit über eine Million zugesehen.
Woher kam das Interesse?
Wir haben erst danach entdeckt, dass Le Monde und Le Figaro jeweils eine große Berichterstattung samt Bildstrecken hatten. Das kam völlig unerwartet. Bei Maximilian und Maria von Burgund wäre es ja naheliegend gewesen - da war es aber nicht annähernd so. Aber bei Maria Theresia? Wir erklären uns das mit dem Thema Mutter und Tochter, Maria Theresia und Marie Antoinette, aber auch mit der ungewöhnlichen historischen Position Maria Theresias, die als Frau zwar nie Kaiserin wurde, aber die Gegenspielerin von Frankreich und Preußen war. Also, man kommt da manchmal erst im Machen darauf – oder eben danach – welche andere Länder einen Co-Produktionsmehrwert beisteuern hätten können.
Sie haben den Erfolg von Maria Theresia (Teil 1+2) angesprochen und zwar auch in Märkten, wo es gar nicht erwartet wurde. Wie schaut es mit weiteren Teilen aus?
Es geht weiter. Die Dreharbeiten beginnen im Mai zu den Teilen 3 und 4. Sollten die auch gut laufen, woran ich glaube, dann werden 2020 die Folgen 5 und 6 umgesetzt werden. Damit decken wir diese historisch prägende weibliche Persönlichkeit komplett ab.
Wie könnten da die Inhalte sein?
Ging es in den Teilen 1 und 2 um die junge Maria Theresia, um die Liebe und um die Heirat, wird es in den Teilen 3 und 4 vielschichtiger. Da geht es um den Umgang der nun etwas älteren Maria Theresia mit ihren innen- und außenpolitischen Gegnern, die Veränderung in der Persönlichkeit dieser Staatsfrau und daraus auch resultierend die Probleme einer jungen und mitteljungen Beziehung. Für die Teile 5 und 6 schwebt uns vor, das Coming-of-age der Maria Theresia mit ihrem Sohn Josef - einer weiteren historisch bedeutenden Figur - und damit zusammenhängend der große Mutter-Sohn-Konflikt.
Eine älter werdende Maria Theresia heißt wohl auch eine Veränderung bei der Besetzung. Die junge war von ROMY-Gewinnerin Sophie Stockinger gespielt worden.
Wegen der Darstellung der fortschreitenden Regierungszeit und der damit einhergehenden Veränderung der historischen Maria Theresia haben wir immer wieder überlegt, auch vielleicht bei den Schauspielern weiterzugehen.
Es wird der Name der ehemaligen Buhlschaft Stefanie Reinsperger als Maria Theresia kolportiert?
Sie ist eine tolle Schauspielerin. Mehr ist dazu zur Zeit nicht zu sagen.
Der Kreis der Co-Produzenten ist bereits fix?
Ja, das sind erneut MR Film, Maya Film, Beta Film, ORF, Česká televize und das slowakische Fernsehen RTVS. Nach dem großen Erfolg verhandeln wir auch mit ZDF und ARTE. Ich könnte mir deren Beteiligung gut weiterhin vorstellen.
Der Output der MR Film ist schon enorm. Was bedeutet das für die Infrastruktur hier?
Das, was auf den Schirm kommt, wird ja oft nicht gleichzeitig produziert. Man hat natürlich Phasen, in den es kumuliert, in denen man zwei, drei Produktionen gleichzeitig zu stemmen hat. Dafür steht man dann auch wieder für ein Jahr. Das hängt alles sehr stark daran, welche Projekte zu welchem Zeitpunkt welche Entwicklungsstufe erreicht haben und wie man sie finanziert. Diese Auf- und Abbewegungen muss man auch bei den fixen Strukturen und damit den Fixkosten beachten.
Ein weitere MR-Produktion sind die „Vorstadtweiber“. Der ORF schickt sie derzeit in der dritten Wiederholung auf Sendung – und sie funktionieren wieder. Wie soll es da weitergehen bzw. geht es weiter?
Das ist auch für uns erstaunlich, weil die Wiederholungen doch in recht knappen Abständen gelaufen sind und die erste Staffel nun zum dritten Mal gezeigt wird. Die weitere Planung ist so, dass der ORF dann im Herbst die neuen Folgen der vierten Staffel zeigen wird. Fix ist auch, dass es danach weitergehen wird: An der fünften Staffel wird derzeit geschrieben. Der Drehstart ist für Mitte Juni geplant.
Wohin können sich diese „Vorstadtweiber“ noch entwickeln und wie hält man das Ensemble zusammen bzw. wie erweitert man es, ohne die Zuseher zu irritieren?
Uli Bree hat jüngst gemeint, dass er immer mehr dazu übergeht, von Staffel zu Staffel zu denken. Das heißt, die Staffeln haben einen Abschluss, auch wenn es Cliffhanger, die in die Zukunft weisen, gibt. Das hat damit zu tun, dass wir bei dem sehr großen Cast nicht immer gewährleisten können, dass wir mit allen Beteiligten gleichzeitig und über so einen langen Zeitraum arbeiten können. Das hat auf der anderen Seite aber einen Riesenvorteil: Es entsteht Dynamik und es wird sogar spannender, weil die Haupt-Charaktere, die uns bisher Gott sei Dank immer erhalten geblieben sind, sich plötzlich mit neuen Leuten auseinandersetzen müssen. Das gelingt in der vierten Staffel ganz ausgezeichnet, und deshalb bin ich auch sicher, dass das bei Staffel 5 ebenso sein wird. Was eine mögliche sechste Staffel betrifft – soweit kann man im Grunde nicht vorplanen.
Ist das eine Fragen der Quoten?
Ja, aber anders als man meinen würde. Wenn eine Serie keinen Erfolg hat, dann braucht man sich keine Gedanken über den Fortgang machen. Wenn etwas mittleren Erfolg hat, dann sind alle Seiten, also von Produktion bis Cast, bemüht, diesen Erfolg zu prolongieren und vielleicht sogar zu erhöhen, weil es wenige andere Angebote gibt. Bei den „Vorstadtweibern“ haben wir den Fall eines großen Erfolges, der viele aufmerksam gemacht hat. Deshalb müssen wir ständig darum kämpfen, alle Mitspieler am Brett zu halten, weil andere Sender locken, viel mehr Angebote hereinkommen, sich plötzlich das Ausland für sie interessiert. Ich beschwere mich jetzt aber nicht über den Erfolg – das ist immer so im Fernseh-Zirkus. Als Produzent muss man da einfach von Mal zu Mal geschickt agieren.
Ein anderer Dauerläufer der MR Film ist die Serie „Schnell ermittelt“, die es nun schon über sechs Staffeln gibt. Das sah zuletzt schon sehr nach Ende aus.
„Schnell ermittelt“ war und ist unser Baby, eine Herzensangelegenheit aller Beteiligten. Die Serie wurde mit der jetzigen ORF-Film- und Serien-Chefin Katharina Schenk entwickelt, die sozusagen die „Mutter“ dieser Serie, der Ursula Strauss so großartig ein Gesicht gegeben und mit Herzen versehen hat, dem Wolf Bachofner und all den anderen wunderbaren Mitspielern und -Machern … wir waren uns im Team eigentlich schon mehrmals einig, dass es das jetzt war und überzeugen uns dann immer wieder selbst und auch der Liebe der Zuseher zu der Serie wegen, dass wir so nicht aufhören können.
Geht es also mit „Schnell ermittelt“ weiter?
Das heißt, dass wir voll Enthusiasmus noch in einen Epilog, also eine tatsächlich finale Staffel gehen wollen, die sicher nicht wieder Gleiches bringen kann. Was dazu bisher vorliegt, schaut soweit alles sehr gut aus und ich denke, dass wir im August dieses Finale drehen können.
Über den Inhalt müssen wir bis dahin rätseln?
Die jüngste Staffel hat dort geendet, als Angelika Schnell sich zu jenem Punkt durchgerungen hat, dass sie so nicht weiteleben kann und sagen muss, was sie weiß, auch wenn es ihren eigenen Sohn damit als Mörder enttarnt. Irgendwo dort muss man Angelika Schnell – und in der Folge die Zuseher – abholen. Deswegen glaube ich nicht, dass es more of the same sein kann. So eine Entscheidung löst ja etwas aus, hat Folgen für die Figur, für die ganze Familie, für den Beruf – das kann also ganz, ganz spannend werden.
„Liebermann“, „Maria Theresia“, „Vorstadtweiber“, „Schnell ermittelt“ – das sind zum Teil opulente Produktionen, die aber alle aufs konventionelle, lineare Fernsehen zielen.
Früher hat man unterschieden zwischen Spielfilm, Reihe, Serie, Dokumentation und Kino und dort wiederum in Film und Dokumentation. Heute ist das alles völlig anders und das ist ja auch noch nicht so lange so. Das heißt, wir mussten auch erst für uns selbst deutlich machen, was es für eine Produktion heißt, wenn es um Pay-TV geht, um Streaming-Plattformen oder um Free-TV, das sich ja auch wieder unterteilt in Privat-Sender und Öffentlich-Rechtliche.
Neue Player am Markt bedeuten mehr Geld im Umlauf und mehr Produktionen, an denen man verdienen kann.
Als Produzenten haben wir uns natürlich sehr gefreut, wie Netflix, Amazon Prime, Sky und Co begonnen haben, deutschsprachigen Content zu produzieren. Wir hatten da anfänglich die Hoffnung auf ein Szenario, dass wir Inhalte, die der ORF mit Sky oder das ZDF mit Netflix usw. produzieren würde, umsetzen. Mittlerweile sind wir aber zur Überzeugung gekommen, dass das Ausnahmen sein werden, bei denen Ausgangssituation und Motivation sehr klar sein müssen.
Was meinen Sie damit?
Wir sind inzwischen überzeugt davon, dass man sehr genau unterscheiden muss, wer der Adressat einer Produktion ist, also, ob Free-TV, Pay-TV oder Streaming-Plattformen. Das kann sich mit den weiteren Entwicklungen wieder ändern. Etwa, wenn dem ORF von Gesetzes wegen erlaubt würde, dass er Inhalte länger als sieben Tage auf dem geplanten ORF-Player zeigen darf. Das bringt ein anderes Seher-Verhalten mit sich. Dann könnte man sogar so weit gehen, extra für diese ORF-Plattform produzieren.
Was ist so ein Sonder-Projekt, das Sie zuvor ansprachen?
Das war zum Beispiel „Babylon Berlin“, das im Vorjahr bei der ROMY war und für die ARD wie für Sky sehr gut funktioniert hat. Ein Beispiel, das in Entwicklung, aber schon weit fortgeschritten ist, ist die internationale Fußball-Serie „Das Netz - The Net“, das die Beta Film gemeinsam mit Red Bull vorantreibt.
Worum geht es bei „The Net“?
Sie basiert auf einer Idee von Matthias Hartmann, dem früheren Direktor des Wiener Burgtheaters. Inhaltlich geht es um das internationale Fußball-Geschäft und um dessen europäische Hauptmärkte wie Deutschland, Italien, England, Frankreich, Spanien. Die MR Film könnte hier eine von fünf Serien-Reihen, die zwar lokal, aber für den internationalen Markt produziert werden, machen dürfen. Ziel ist, dass bei „Das Netz“ die lokale Serien-Reihe gut im frei empfangbaren Fernsehen funktioniert. Wenn am Ende der Zuseher das große Ganze sehen möchte, wird er alle fünf produzierten Serien-Reihen auf einer Plattform anschauen können. Das ist der Zugang und der Anspruch.
Und was ist Ihre Conclusio aus dieser Einschätzung?
Es gibt für uns ein klares Learning , das wir verstärkt umsetzen: Wir überlegen schon während der Entwicklung von Stoffen sehr genau, ob wir in Richtung Streaming oder Pay-TV gehen und schreiben oder ob es in die Free-TV-Richtung geht, wobei wir als Unternehmen Fans des letzteren sind. Nur dann kann es da oder dort auch die entsprechende Publikumsresonanz geben.
Danke für das Gespräch.
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