"The Crown"-Schöpfer Morgan: "Kompensation für die Midlife-Crisis"
Heute geht die erfolgreiche Netflix-Serie „The Crown“ in die dritte Runde. Und wenn man der britischen Boulevard-Presse glauben darf, dann sieht Prinz Charles der neuen Staffel höchst sorgenvoll entgegen.
Denn sie setzt sich unter anderem mit seiner außerehelichen Affäre auseinander. Eine Affäre, die 1994 zum royalen Skandal wurde, als Prinz Charles öffentlich bekannte, seine damalige Gattin Diana mit Camilla Parker-Bowles betrogen zu haben. Der mittlerweile 71-jährige Thronfolger fürchtet jetzt um seine Reputation.
Eine neue Ära
Die dritte Staffel wird sich mit den 1960er und -70er Jahren befassen und präsentiert dazu eine komplett neue Besetzung. Elizabeth und Philip sind zu Mittvierzigern gereift. Und das bedeutet, dass die bisherigen Hauptdarsteller Claire Foy und Matt Smith die Charaktere nicht weiter verkörpern können. Olivia Colman, die dieses Jahr für „The Favorite“ den Oscar als beste Schauspielerin erhielt, wird als Königin Elizabeth II. zu sehen sein, „Harry Potter“-Star Helena Bonham Carter mimt deren Schwester Margaret.
In den weiteren Staffeln sollen Geschichten über Prinz William und Herzogin Kate sowie Prinz Harry und Herzogin Meghan geplant sein.
Im KURIER-Interview will sich das Mastermind der Serie, der Drehbuchautor und Produzent Peter Morgan, nicht allzu tief in die Karten schauen lassen. Aber er gewährte einen Einblick in die vierte Staffel, die gerade gedreht wird. Er zeigt eine Szene, in der die Queen die neue Premierministerin empfängt: Margaret Thatcher. Die „Eiserne Lady“ wird von Morgans Lebensgefährtin Gillian Anderson gespielt. Ein Gipfeltreffen zweier großartiger Schauspielerinnen.
KURIER: War es schwierig für Sie, sich beim Schreiben auf die neuen Schauspieler einzustellen, weil damit ja quasi neue Stimmen das Sprechen Ihrer Dialoge übernehmen?
Peter Morgan: In meinem Kopf sind die Stimmen meiner Figuren dieselben geblieben. Und dazu war Oliva Colman von Anfang an meine Wunsch-Kandidatin als Darstellerin der Queen im mittleren Alter. Und ich weiß auch genau, wen ich gerne als alte Königin haben möchte.
Wer wird das sein?
Das ist noch mein Geheimnis. Beim langen Leben der Queen könnte es sein, dass sie mit dieser Figur in Pension gehen.
Dass Sie den Rest Ihres beruflichen Lebens mit Elizabeth II. verbringen …
Das ist eine schreckliche Vorstellung. Umso mehr, als ich mich ja nicht erst seit der Serie „The Crown“ mit ihr auseinandersetze. Denken Sie nur an den Film „The Queen“ und das Theaterstück „Audienz“.
Sie betonen immer wieder, dass Sie kein Monarchist sind. Hat sich Ihre Haltung seit der „Crown“-Serie verändert?
Nein, ich denke immer noch, dass Monarchien heutzutage etwas Unlogisches und Lächerliches an sich haben. Aber manchmal machen gerade die verrücktesten Dinge einen Sinn. Wenn ich mir manche der heutigen Staatspräsidenten ansehe und wenn ich an die derzeitige politische Situation in Großbritannien denke, dann bleibt uns womöglich einiges erspart, wenn wir aus dem derzeitigen Angebot an Politikern nicht auch noch einen Repräsentanten oder eine Repräsentantin unseres Landes wählen müssen. Sogar die Gegner der Monarchie sind sich einig, dass Elizabeth II. als Königin eine sehr gute Figur macht. Andererseits schaudere ich bei dem Gedanken daran, was womöglich aus der Monarchie geworden wäre, wenn nicht sie seit 70 Jahren an der Spitze gestanden wäre, sondern einem anderen Familienmitglied den Thron überlassen hätte.
Mit welchen Gefühlen sehen Sie der Möglichkeit entgegen, dass Boris Johnson zu einer Figur in Ihren Drehbüchern werden könnte?
So schnell wird das nicht der Fall sein, denn mir ist es immer wichtig, dass die Ereignisse, die ich beschreibe, möglichst lange zurückliegen. Mindestens zehn, idealerweise zwanzig Jahre. Denn die Herangehensweise an zeitgenössische Ereignisse wäre Journalismus. Ein Drama lebt von Metaphern, Parallelen, vom Echo und der Resonanz, die historische Begebenheiten in der heutigen Zeit begreifbar machen. Denken Sie nur an die turbulenten Ereignisse der letzten drei Jahre. Eines Tages wird man darüber gute Stücke schreiben können – und Boris Johnson würde darin eine sehr lebendige Figur abgeben.
Warum gerade er?
Er ist voll von menschlichen Fehlern und Widersprüchen – und das ist für einen Dramatiker höchst vielversprechend (lacht). Auch seine Familie und sein Privatleben geben einiges her. Aber man weiß noch nicht, wohin seine Regierungszeit führen und welche Spuren er in der Geschichte hinterlassen wird. Jede Politik-Geschichte muss auch ein beschreibbares Ende haben. Und man darf auch nicht vergessen, dass das Amt eines Premierministers zerstörerisch wirken kann. Nicht alle Politiker verlassen die Downing Street Nummer 10 intakt – was ihre Reputation betrifft, oder ihre körperliche und mentale Gesundheit.
Ist es nicht heute auch so, dass Menschen, die in Regierungspositionen drängen, manchmal schon vorher diverse Schädigungen haben – physisch wie psychisch?
Das kommt daher, dass vielen nicht klar ist, was es bedeutet, in einem „öffentlichen Dienst“ zu stehen. Sie wollen in der Öffentlichkeit stehen und ihren Ruhm und ihre – oft nur vermeintliche – Bedeutung genießen, statt dem Volk zu dienen, das ihn oder sie gewählt hat. Aber einige dieser Egozentriker sind unbestreitbar charismatisch. Theresa May ist ein gutes Beispiel für eine Politikerin, die zwar Integrität, aber keinerlei Charisma hat. Sie hatte den Brexit-Deal, den Johnson jetzt vorlegte, schon vor 18 Monaten ausgehandelt, aber keine Stimmen dafür erhalten. Weil es ihr an Charisma fehlte.
Sie haben einige Jahre in Österreich gelebt, kommen immer noch regelmäßig her – wäre da für Sie auch das Ibiza-Video ein Stoff, über den Sie eine politische Satire schreiben wollten?
Es ist sicher eine gute Geschichte (lacht), aber ich bin ja leider noch einige Jahre mit der britischen Monarchie beschäftigt. Aber zweifellos sollte jemand in Österreich ein Stück oder ein Drehbuch über diesen Vorfall schreiben. Man könnte auch eine Dokumentation darüber machen – aber in einem Spielfilm oder einem Theaterstück kann man Ungesagtes, Wichtiges und Wahres viel besser aussprechen.
Lassen sich Wahrheiten besser in einem fiktionalen Werk aussprechen als in einer Dokumentation?
Es gibt dazu einen sehr guten Ausspruch von Mark Twain: Die Tinte, mit der Geschichte aufgeschrieben wird, ist nur eine Flüssigkeit, die der Autor aus seinen Vorurteilen braut. Mit anderen Worten: Es gibt keine historische „Wahrheit“. Jede Geschichtsschreibung ist eine persönliche Interpretation dessen, was passiert sein könnte. Und die Autoren von fiktionalen Stoffen geben das wenigstens zu. Was meine Drehbücher zu „The Crown“ betrifft, so kann ich sagen: Ja, sie sind nicht akkurat, was die genaue zeitliche Abfolge von Ereignissen betrifft. Und ja, ich lege den Figuren Worte in den Mund, weil ich bei ihren Unterhaltungen nicht dabei war. Aber sind sie deshalb unwahr?
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
In der dritten Staffel gibt es eine Szene, auf die ich besonders stolz bin. Sie setzt sich mit einer Midlife-Crisis von Prinz Philip auseinander. Nirgendwo kann man nachlesen, dass er wirklich eine hatte. Wenn ich ihn darauf ansprechen könnte, würde er sie wahrscheinlich leugnen. Philip war ein Pilot und ein Abenteurer. Aber als „Prinz-Gemahl“ konnte er seine Abenteuerlust nicht ausleben. Stattdessen – und ich bin sicher, das war eine Kompensation für seine Midlife-Crisis – setzte er sich mit der „Prinz-Philip-Bewegung“ auseinander. Mit einem Kult von Bewohnern einer britischen Insel, der Prinz Philip als Gottheit verehrt. Ich habe rund um diese Begebenheit die Geschichte eines Mannes geschrieben, der nach dem Tod seiner Mutter seinen Glauben verliert. Philip war damals um die 50 und ich weiß, was es bedeutet, in diesem Alter seine Mutter zu verlieren. Kann sein, dass ich in dieser Episode auch mich selbst beschrieben habe. Wie überhaupt in allen Figuren, über die ich schreibe, auch ein Teil von mir steckt.
Von Gabriele Flossmann
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