AfD, Tiktok und Gigi d'Agostino: "Vermischung aus Spaß und Hass"

AfD-Chefin Alice Weidel auf TikTok
Auf der mächtigen Social-Media-Plattform Tiktok sind Rechtspopulisten vorherrschend. Die Doku „Reclaim – Der Kampf um die Demokratie auf Tiktok“ beschreibt das Phänomen und zeigt Gegenstrategien.

„An Tiktok kommt man 2024 nicht vorbei“, heißt es in der neuen Doku „Reclaim – Der Kampf um die Demokratie auf Tiktok“. 20,9 Millionen Deutsche nutzen die Video-Plattform, in Österreich sind es 2,1 Millionen, ebenfalls rund ein Viertel der Bevölkerung. Unglaubliche 95 Minuten pro Tag verbringt ein durchschnittlicher Nutzer mit der chinesischen Social-Media-App. Kein Wunder, dass Parteien dieses mächtige Werkzeug nutzen, um vor allem die junge Zielgruppe anzusprechen. Am erfolgreichsten sind dabei rechtspopulistische Parteien mit ihren rechtsextremen Satelliten. Extremismusforscherin Julia Ebner sagt in der Doku: „Sie müssen mit innovativen Methoden arbeiten, um in die Mitte der Gesellschaft zu kommen“. „Speedradikalisierung“ nennt es SPD-Politiker Orkan Özdemir.

Diesem Phänomen geht im Superwahljahr 2024 Lisa-Marie Gotsche in ihrer Doku auf den Grund. Anhand der knallbunten Tiktok-Ästhetik und im Gespräch mit Expertinnen und Experten bietet sie einerseits einen Problemaufriss, andererseits zeigt sie, wie AktivistInnen versuchen, den verführerischen Hook- und Punchlines von AfD & Co. entgegenzuwirken.

AfD, Tiktok und Gigi d'Agostino: "Vermischung aus Spaß und Hass"

Regisseurin und Producerin Lisa-Marie Gotsche

Überschwemmt

Gotsche produzierte die Youtube-Doku für Hashtag Media, einen jungen Digitalverlag aus Wien. Warum es zu großen Teilen um die deutsche Situation geht?

Gotsche im Gespräch: „Bei Tiktok wird man relativ schnell über FPÖ-Inhalte von AfD-Inhalten überschwemmt, auch in der Kommentarsektion verschwimmen die Partei- und somit Ländergrenzen. Unsere Recherche hat in Österreich den Ausgang genommen, wir haben schnell gemerkt, dass es eine deutsch-österreichische Erzählung ist. Schließlich ist es die FPÖ, die die AfD angelernt hat.“

AfD, Tiktok und Gigi d'Agostino: "Vermischung aus Spaß und Hass"

Als Urvater des modernen Rechtspopulismus wird Jörg Haider ausgemacht. Seinen berüchtigten Plakatslogan „Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist“ hat etwa AfD-Recke Björn Höcke (inklusive Pose) 1:1 kopiert. Für ein Interview konnte unter anderem AfD-Mann Miguel Klauß gewonnen werden, einer der Top 5 auf Tiktok in Deutschland. Genüsslich schildert er, der etwa Videos zu den „12 schönsten Abschiebeflieger“ postet, wie er auf einer AfD-Weihnachtsfeier auf Tiktok aufmerksam gemacht wurde, und dass er als Musikuntermalung oft was mit „Epic Music und Klavier“ eingibt. Denn er gestaltet alles selbst.

Der Soundtrack der Rechten ist nicht immer monumental, sondern kann auch 90er-Partymucke sein. „Die Verschiebung des Sagbaren, die Vermischung aus Spaß und Hass sieht man bei dem jüngsten Skandal-Video einer Partymeute auf Sylt, die ,Ausländer raus‘ zu Gigi d’Agostino grölt“, sagt Gotsche (siehe Kasten). „Auch dieses Phänomen ist nicht neu, auch das haben wir über Monate beobachten können. Die Vergiftung des Meinungsklimas, die Verknappung der Aufmerksamkeitsökonomie, die Polarisierung der Gesellschaft, insbesondere der Jungen, darum geht es in dieser Doku. Und darüber, diese sozialen Online-Räume zu ,reclaimen‘, also zurückzuerobern.“

Erfolge

Maggy, die in der Klimabewegung groß wurde, sagt in der Doku: „Das Konzept ist simpel: Wir fluten Tiktok mit massenhaft progressivem Content.“ Hierbei wird über erste Erfolge berichtet. „Mit Stand heute wurden auf Tiktok 33.400 Videos mit dem Hashtag #reclaimtiktok geposted“ sagt Gotsche. Abzulesen sei der Erfolg auch an „zahlreichen Politiker:innen und anderen gesellschaftspolitischen Initiativen, die auf den Zug aufgesprungen sind“.

Und was tut Tiktok selbst? Die Plattform gibt an, 32 nicht-authentische Accounts, welche versuchen würden, die Narrative der AfD zu verstärken „sowie Argumente der russischen Staatsmedien zu legitimieren“, gesperrt zu haben. Man verweist auf die Community-Regeln, wonach Hassrede nicht geduldet werde. Die Reichweite des EU-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, sei aufgrund von Verstößen gedrosselt worden.

Für den Digitalexperten Martin Fuchs ist das allerdings nicht der richtige Weg. Er habe laut O-Ton in der Doku „Bauchweh, wenn privatwirtschaftlich organisierte Institutionen darüber entscheiden, was wir wie wahrnehmen und wie die Meinungsbildung hier passiert.“

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