Oberst Markus Reisner: "Die Lösung ist keine einzelne Wunderwaffe"

Porträt von Markus Reisner in Uniform.
Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine erklärt der ROMY-nominierte Oberst Markus Reisner der Öffentlichkeit den Krieg. Im Interview erklärt er, wo er Abstriche im Privatleben machen muss.

Der Oberst des Generalstabsdienstes ist in der Kategorie TV-Analyse für den KURIER-ROMY nominiert.

Sie erklären seit mehr als dreieinhalb Jahren einem internationalen Publikum den Krieg in der Ukraine. Wie kam es dazu?

Etwa einen Monat vor dem erneuten russischen Einmarsch stellte Oberst Bauer, der Sprecher des Bundesheeres ein Expertenteam zusammen, das die Bevölkerung informieren sollte: Generalleutnant Hofbauer, Brigadier Eder und ich. Ich befasse mich seit 2014 wissenschaftlich mit dem Krieg, habe dazu an der Theresianischen Militärakademie geforscht – und war für mein Buch „Die Schlacht um Wien“ mehrfach in Russland. Das hat mir die russische Militärkultur sehr nahegebracht.

Wie viele Interviews geben Sie derzeit pro Woche?

Das schwankt. Zu Beginn habe ich mitgeschrieben, dann aufgegeben. In Spitzenzeiten sind es vier bis fünf pro Tag. Derzeit sind es im Schnitt fünf bis sechs pro Woche. Rechnet man das über 1.300 Kriegstage, kommt schon einiges zusammen.

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„Ukraine-Experte“ ist nicht Ihr Hauptberuf. Wie vereinbaren Sie Ihre dienstlichen Funktionen, Familie – und diese öffentliche Rolle?

Dienstlich habe ich drei Hüte auf: Ich leite das Institut für Offiziersausbildung, verantworte den Studiengang „Militärische Führung“ und begleite den neuen Studiengang „Informations- und Kommunikationstechnologie“. Dazu kommt meine Familie. Die Erklärungstätigkeit ist – so seltsam das klingt – mein Hobby. Ich bin historisch neugierig, will verstehen, was passiert. Natürlich ist das Pensum hoch, aber es fühlt sich nicht wie Last an. Ihr Stil gilt als besonders verständlich. Wie machen Sie komplexe Lagen greifbar? Mit Bildern. Ich erkläre so, als säße ich mit meiner Familie oder einem Stammtisch zusammen – und vermeide militärische Fachsprache, wo es geht. Metaphern helfen, Zusammenhänge ohne Vorwissen zu erschließen.

Was kommt dabei zu kurz?

Lesen jenseits der Fachliteratur. Früher habe ich Romane und historische Werke verschlungen; heute bleibt dafür oft zu wenig Zeit. Und ja: Meine Frau würde anmerken, dass die Familie manchmal zu kurz kommt. Ich versuche, gegenzusteuern.

Fühlen Sie sich wegen Ihrer öffentlichen Rolle beobachtet? Treffen Sie Sicherheitsvorkehrungen?

Ich fühle mich durch die Institutionen des Bundesheeres gut geschützt. Mögliche Spitzen wurden bisher früh erkannt. Weil ich bewusst neutral einordne, finden beide Seiten etwas, ohne dass es stark polarisiert. In sozialen Medien gibt es mitunter schräge Zuschriften – und besorgte Bürger. Ich lese viel, kann aber nicht alles beantworten. Vielleicht ist es auf diesem Wege eine gute Möglichkeit, mich dafür zu entschuldigen, dass ich nicht alle Zuschriften beantworten kann.

Derzeit sorgen Drohnensichtungen bis hin zu Flughafensperren für Unruhe. Viele vermuten russische Akteure – andere halten das für zu simpel. Ihre Einordnung?

Wir erleben den Krieg zunehmend als „Graubereich“. Hybride und kognitive Kriegsführung zielen darauf, Staaten an den Rand des Kontrollverlusts zu bringen – noch bevor klassische militärische Gewalt sichtbar wird. Drohnenüberflüge säen Angst und Misstrauen und stellen das Vertrauen in staatliche Organe infrage. Genau das ist beabsichtigt.

Lernt Europa zu langsam?

Man lernt – aber Betroffenheit ist der stärkste Beschleuniger. Europa hat jahrzehntelang abgerüstet. Viele Systeme und Verfahren waren für kleine, billige Drohnen mit minimalem Radarquerschnitt nicht ausgelegt. Deshalb wurden Ziele zu spät erkannt und teure Flugabwehrraketen auf billige Bedrohungen verschossen. Die Lösung ist keine einzelne Wunderwaffe, sondern eine gestaffelte Abwehr: zusätzliche, drohnentaugliche Radare und Sensoren, elektronische Kampfführung, günstige Effektoren wie Kanonen, Jammer und Netze – erst danach die teuren Mittelstreckenraketen. Dazu kommen klare Zuständigkeiten und Einsatzregeln über bewohntem Gebiet. Man sieht: Polen und die Ostflanke bauen Kapazitäten aus – die Systeme reifen, Verfahren werden angepasst. Wir wachsen an der Aufgabe und schließen die Lücken, aber es braucht Zeit, Übung und Vernetzung.“

Wo steht Österreich bei der Flugabwehr?

Wir haben funktionierende Systeme und verbessern sie weiter. Im Nahbereich sind wir mit Mistral-3, der Modernisierung der 35 mm Fliegerabwehrkanone und dem Skyranger sehr gut aufgestellt; das wird in Europa wahrgenommen. In den mittleren und langen Reichweiten stehen politische und industrielle Weichenstellungen an – etwa in Kooperationen. Wichtig ist: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und stehen vor allem im Bereich der Flugabwehr auf kurze Distanz sehr gut da im europäischen Vergleich. Darauf bin ich stolz.

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