ProSieben und RTL rüsten im Informationsbereich auf
Es war mehr als ein Gag. „Guten Abend meine Damen und Herren. Hier ist das beste deutsche Fernsehen bei den Screenforce Days“, sagte die langjährige Sprecherin der ARD-„Tagesschau“ Linda Zervakis in die Kamera. Zum ersten Mal sprach sie bei den aktuell für Werbekunden laufenden Präsentationen deutscher Sender zum Programm 2021/22 für ihren neuen Arbeitgeber ProSieben. Die 45-Jährige ist der nächste spektakuläre Abgang von den Öffentlich-Rechtlichen. Und sie steht sinnbildlich für einen deutlichen Kursschwenk bei den großen Privat-TV-Konzernen und ihren Hauptsendern ProSieben bzw. RTL – kurz vor den Bundestagswahlen im September und als eine Lehre aus dem Seher-Verhalten während der Pandemie.
Prime-Time-Info
Geht es nach dem Willen von Bernd Reichart, CEO der Mediengruppe RTL Deutschland, dann wird mit mehr Information auch mehr „gesellschaftliche Relevanz“ Einzug beim Kölner Sender halten. Der News-Bereich, einst vom Österreicher Hans Mahr hochgezogen, wird dafür personell, aber auch durch mehr Sendezeit und ein neues Multifunktionsstudio kräftig aufgewertet.
Und man greift sogar programmlich in den Hauptabend – sonst die Zone für Unterhaltung und Shows – ein: Am 16. August startet RTL ein Prime-Time-Nachrichtenformat – live aus dem Herzen der deutschen Politik, Berlin. „Wir wollen für Sie dabei sein“, sagt Präsentator Jan Hofer im Trailer. Ob mit oder ohne Krawatte – die legte er bei der vermeintlichen Pensionierung bei der „Tagesschau“ im Dezember ab – werde sich zeigen.
Öffentliche Wahrnehmung
Das soll es aber noch nicht gewesen sein: Bereits für den Juli hat RTL mehrere große Themenabende – von Lady Di bis Angela Merkel – angekündigt. Mit dem Wechsel von Reporter Felix Hutt vom Nachrichtenmagazin Spiegel zu RTL wird die Investigativ-Berichterstattung, die bisher vom „Team Wallraff“ geprägt war, ausgebaut.
Höhepunkt, auch mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung, ist das erste Wahl-Triell mit Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz Ende August. Das wird Pinar Atalay, die jüngst von den ARD-„Tagesthemen“ gekommen ist, gemeinsam mit RTL-Größe Peter Kloeppel moderieren.
Neuerfindung
Im traditionellen Nachrichten-Bereich neu erfinden muss sich ProSieben. Man stellt dort nun eine eigene Redaktion für die Nachrichten auf, die bisher ausgelagert waren. Ab Jänner will man die News selbst produzieren. In dem Zusammenhang wird, wie jüngst bei der Jahreshauptversammlung, immer wieder das österreichische Puls24 als konzerninternes Beispiel genannt.
„Public Value ist kein Modewort, das uns umtreibt“, betonte ProSiebenSat1-Konzern-Vorstand Wolfgang Link. Die Zuseher „wollen nicht nur gute Unterhaltung, sie wollen informiert werden. Sie wollen, dass wir Fakten liefern, Fragen stellen, Antworten geben“, sagte Daniel Rosemann, Senderchef von ProSieben und Sat.1.
Spektakulär
Dass man dazu auch abseits klassischer News-Formate in der Lage – und damit auch näher an der jungen Klientel – ist, hat man in den vergangenen Monaten wiederholt gezeigt. Spektakulär Thilo Mischkes Doku „Rechts. Deutsch. Radikal.“, in der der Reporter ganz offen auf einschlägig verortete Gruppen und Personen zuging. Für große Aufmerksamkeit sorgten auch Joko & Klaas, die bei ihrer Show von ProSieben gewonnene Sendezeit z. B. einer Doku über das Flüchtlingslager Moria und einer über den deutschen Pflegenotstand widmeten. Dieser Weg wird fortgesetzt und ausgeweitet.
Wahl-Show
Auch die deutsche Parlamentswahl hinterlässt Spuren im Programm zur besten Sendezeit: Louis Klamroth, der bereits bei Kanzlerkandidaten-Gesprächen agierte, wird im Sommer die wesentlichen Politiker zu drei Ausgaben der „ProSieben-Bundestagswahl-Show“ – darunter ist eine Schüler-Ausgabe – bitten.
Und dann ist da noch Linda Zervakis’ neues Betätigungsfeld. Sie wird mit „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ ein neues wöchentliches Info-Journal bespielen. Dabei hofft sie, dass man, anders als zuvor bei den ARD-Hauptnachrichten, nicht mehr „denkt: Jetzt ist die Frau Zervakis wieder da, und ich muss die Taschentücher wieder rausholen“. Sie habe journalistisch eine größere Palette zu bieten.
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