ORF-Betriebsratschef kritisiert VfGH: "Einladung an populistische Regierungen"

46-219779797
Der Verfassungsgerichtshof hält die Streichung von Zulagen bei Hunderten ORF-Altverträgen für "verhältnismäßig". Zentralbetriebsratschef Ertl kritisiert Eingriff in Kollektivvertragsfreiheit massiv.

Zusammenfassung

  • Der Verfassungsgerichtshof hält die Streichung von Zulagen bei ORF-Beschäftigten mit Altverträgen für verfassungskonform und verhältnismäßig.
  • ORF-Zentralbetriebsratschef Ertl kritisiert den Eingriff in die Kollektivvertragsfreiheit und und wertet ihn als Einladung an populistische Regierungen, Arbeitnehmerrechte auszuhebeln.
  • Die Kürzungen betreffen vor 2004 geschlossene ORF-Arbeitsverträge. Ertl sieht darin eine populistische Marketingaktion von Türkis-Grün bei der Einführung des ORF-Beitrags.

"Überraschend", "unverständlich" und "eine Einladung an populistische Regierungen": ORF-Zentralbetriebsratschef Werner Ertl meldet sich nur selten öffentlich zu Wort, kritisiert nur aber heftig eine aktuelle Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH).

Der Verfassungsgerichtshof hat soeben die gleichlautenden Anträge von über 700 betroffenen ORF-Mitarbeitern auf Aufhebung des § 50 Abs. 11 ORF-G als unbegründet abgewiesen.

In der Konsequenz heißt das: Die 2023 von der damaligen Koalition aus ÖVP und Grünen beschlossene Kürzung und der 2026 folgende komplette Wegfall der Wohnungs-, Familien- und Kinderzulagen für ORF-Beschäftige mit älteren Dienstverträgen ist verfassungskonform. Eine "Schutzklausel" begrenzt die dadurch stattfindende Reduktion des monatlichen Gesamtentgelts - und legitimiert dadurch den Durchgriff durch Türkis-Grün: Es darf sich nämlich "nicht um mehr als 10 vH reduzieren".

Wegstreichen hat nicht nur Signalwirkung

Die bekämpfte Regelung war Teil des Gesetzespakets bei der Einführung des auf 15,30 Euro abgesenkten ORF-Beitrags (Haushaltsabgabe) in Folge einer VfGH-Entscheidung zur GIS-Gebühr. Das belegte das Unternehmen mit millionenschweren Sparpaketen und teils konkret vorgegebenen Maßnahmen. Die Einsparung durch die hier ausjudizierten Schritte ist nur ein kleiner Teil dessen. Sie beträgt laut Schriftsatz, der dem KURIER vorliegt, in den ersten beiden Jahren knapp 1,7 Millionen, im Jahr 2026 dann 3,36 Millionen Euro – der Effekt damit ist also gering, hat aber aus Sicht des ORF-Betriebsrates viel mehr als nur Signalwirkung.

Betroffen von der Abweisung, über die zunächst der Standard berichtete, sind Beschäftigte, die vor 2004 in den ORF eingetreten sind. Für alle anderen gab und gibt es die angesprochenen Zulagen nicht, sie wurden ab da in den Grundgehalt eingerechnet.

Eingriff in die ORF-Kollektivverträge im "öffentlichen Interesse"

Im ORF gelten derzeit (noch) zwei alte Freie Betriebsvereinbarungen (FBV) sowie vier Kollektivverträge (KV) mit Stichtagsregelungen – je jünger, desto flacher die Lebenseinkommenskurve der Mitarbeiter des Öffentlich-Rechtlichen. Der ORF ist das einzige Unternehmen in Österreich – weil zunächst Monopolist und als Öffentlich-Rechtlicher nicht vergleichbar mit anderen Medienunternehmen -, das kollektivvertragsfähig ist.

Und genau hier setzt die Kritik des ORF-Zentralbetriebsratschef an.

Eine Grafik zeigt die geplanten Einsparungen im ORF von 2023 bis 2031 in Millionen Euro.

Zum bestehenden Einsparungspaket kommen durch das Einfrieren der Haushaltsabgabe und weitere gesetzliche Maßnahmen erneut Einsparungsnotwendigkeiten in dreistelliger Millionen-Höhe auf den ORF zu

Das Höchstgericht erkannte zwar tatsächlich einen Eingriff in die sogenannte „Koalitionsfreiheit“, die durch Art. 11 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet ist, da in „bestehende kollektivvertragliche Regelungen“ eingegriffen werde. Den Kollektivvertragsparteien stehe aber "nicht … ein Rechtssetzungsmonopol" zu, heißt es in der Entscheidung. Der Eingriff sei durch ein "gewichtiges öffentliches Interesse" gedeckt, nämlich die finanzielle Absicherung des ORF zur Erfüllung seines öffentlich-rechtlichen Auftrages unter den Grundsätzen der "sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung".

Zentralbetriebsratschef kritisiert "Aushebeln der Sozialpartnerschaft"

Dass der VfGH diesen Durchgriff auf Kollektivverträge nun durchgewunken hat, empört den obersten Arbeitnehmervertreter im ORF. "Das ist eine Einladung an populistische Regierungen, unsachlich und sozial unausgewogen Sanktionen direkt gegen die Beschäftigten missliebiger, der Öffentlichkeit - und nicht der Politik - verpflichteter Institutionen zu verhängen", meint Werner Ertl im KURIER-Gespräch. 

"Damit ermöglicht es das Höchstgericht, Arbeitnehmerrechte, Gewerkschaften und die gesellschaftspolitisch bedeutende Kernaufgabe der Sozialpartnerschaft insgesamt auszuhebeln. Das halten wir für demokratiepolitisch bedenklich und für massiv hinterfragenswert", kritisiert der ORF-Zentralbetriebsratschef.

Werner Ertl

ORF-Zentralbetriebsratsobmann Werner Ertl hält die VfGH-Argumentation in Hinblick auf Geringverdiener für "reinsten Zynismus"

Der VfGH verneinte überdies auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des Eigentumsrechts. Das Streichen der Zulagen wird als "bloße Eigentumsbeschränkung" gewertet und als "verhältnismäßig" eingestuft. 

VfGH hält Maßnahmen für kein unzulässiges "Sonderopfer"

Auch die Behauptung eines unzulässigen "Sonderopfers" wurde zurückgewiesen. Die Maßnahme diene dazu, "die (Personal-)Kosten des ORF im Rahmen einer grundsätzlichen Neuregelung dessen Finanzierung zu verringern". Durch die Deckelung, welche sich am "durchschnittlichen Gesamtentgeltes verhältnismäßig" orientiere und würden die betroffenen Arbeitnehmer "nicht übermäßig belastet werden".

"Es ist mehr als irritierend, dass nach den vergangenen Inflationsjahren, in denen es beim ORF die geringsten KV-Erhöhungen in Österreich überhaupt gegeben hat, ein Höchstgericht zusätzliche Gehaltseinbußen von 10 Prozent ausgerechnet und gerade bei Geringverdienern als einfach hinnehmbar durchwinkt. Für einzelne Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer ist das reinster Zynismus“, sagt der oberste Arbeitnehmervertreter im ORF. 

Vorwurf: "Populistische Marketingaktion" von Türkis-Grün

Ertl kritisiert, die Streichungen seien zur nachhaltigen Absicherung des ORF ohnehin weder geeignet noch gedacht. „Denn die Betroffenen gehen durchwegs innerhalb der nächsten Geschäftsführungsperiode in Pension. Das war schlicht eine populistische Marketingaktion zur Haushaltsabgabe der türkis-grünen Regierung im Vorfeld der Nationalratswahl. Motto: Jetzt müssen alle zahlen, aber den ORFlern nehmen wir dafür auch was weg.“

Für den Zentralbetriebsratschef ist die höchstgerichtliche Abweisung noch nicht das Ende vom Lied. „Wir prüfen das in Hinblick auf nächste Schritte im Haus und auch außerhalb. Für die demnächst startendende Gehaltsrunde hat man uns aber viel an Gestaltungsspielraum, und zwar für alle Vertragsverhältnisse, genommen. Der Gesetzeseingriff in die Kollektivverträge schädigt die Dienstnehmer aller Generationen nachhaltig.

Weitere massive Kürzungen möglich

Türkis-Grün hat in der ORF-Gesetzes-Novelle von 2023, kaum wahrgenommen in der Öffentlichkeit, noch mehr Eingriffe bei ORF-Altverträgen lanciert, was von Betroffenen in weiteren Verfahren gerichtlich bekämpft wird. Darunter befinden sich etwa auch massive Kürzungen bei erhöhten Alt-Abfertigungen. 

"Das hat mit Einkommensrealität der überwiegenden Anzahl der heutigen ORF-Beschäftigten überhaupt nichts zu tun und dient der Politik nur dazu, weiter den Neidreflex zu bedienen", sagt Ertl. Abfertigungen unterliegen ab 2003 auch im ORF der „Abfertigung Neu“-Regelung und somit einer Mitarbeitervorsorgekasse.

Kommentare