Neue ORF-Sportchefs: "Pariasek gehört zweifelsohne zu unseren starken Marken"
Veronika Dragon-Berger und Martin Szerencsi.
In der Vorwoche ist Hannes Aigelsreiter von seinen Aufgaben als ORF-Sportchef entbunden worden. Veronika Dragon-Berger und Martin Szerencsi, seine beiden bisherigen Stellvertreter, übernahmen interimistisch und bleiben zumindest bis zum Ende der Fußball-WM 2026 an der Spitze, sagen sie im APA-Interview. Das Duo will nun Ruhe in die Redaktion bringen, digitale Ausspielmöglichkeiten mehr nützen und gezwungenermaßen beim Sportrechteerwerb "stärker priorisieren".
APA: Hinter den Kulissen - und teilweise auch davor - hat große Unzufriedenheit über den Führungsstil und die Arbeit von Hannes Aigelsreiter als Sportchef geherrscht. Was wollen oder müssen Sie anders machen?
Veronika Dragon-Berger: Wesentlich ist, dass wir jetzt nach vorne blicken. Wir haben eine klare Aufgabe und wollen die Sportredaktion zu Ruhe und Stabilität führen. Uns steht ein spannendes Sportjahr mit vielen Herausforderungen bevor. Die Redaktion besteht aus rund 100 Leuten, es ist jetzt jede Frau und jeder Mann gefragt, an einem Strang zu ziehen, um die Sport-Berichterstattung in der gewohnten Qualität zu gewährleisten.
Martin Szerencsi: Es ist wichtig, sich jetzt auf das Programm zu konzentrieren, um die Großveranstaltungen gut über die Bühne zu bringen.
APA: Lassen sich die Fußball-Weltmeisterschaft und die Olympischen Winterspiele im nächsten Jahr zusätzlich zum regulären Programm und trotz Führungswechsel reibungslos stemmen?
Dragon-Berger: Auf jeden Fall. Wir haben bereits beide als Stellvertreter fungiert und sind gut in die Materie eingearbeitet. Die Vorbereitungen auf die Events laufen bereits seit Monaten. Die Sendezeiten sind geplant, das Personal steht im Großen und Ganzen. Wir werden von den Olympischen Winterspielen sowohl in ORF 1 als auch in ORF Sport+ von früh bis spät in gewohnter Weise berichten.
Szerencsi: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind herausfordernd. Der ORF produziert bekanntlich neben dem Sport auch für andere Abteilungen Inhalte. Nächstes Jahr steht auch noch der Eurovision Song Contest in Wien an. In Kombination mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten ist es eine riesige Herausforderung, das zu bewältigen.
APA: Hat der Sport noch die gleiche Priorität wie vor fünf oder zehn Jahren im ORF? Wie ist das Standing im Wettbewerb mit anderen Ressorts?
Szerencsi: Ich bemerke einen ordentlichen Support für den Sport. Er ist wichtiger Programmbestandteil des ORF. Das Publikum schätzt die Sportberichterstattung. Ich denke schon, dass sich das in den Entscheidungen der Geschäftsführung widerspiegelt.
Dragon-Berger: Das kann ich zu 100 Prozent unterstreichen. Wir haben in den vergangenen Tagen eine massive Unterstützung der Geschäftsführung erfahren. Livesport ist eine wesentliche Säule der Berichterstattung und des gesamten Unternehmens, wie man auch an den Zuseherzahlen sieht.
APA: Wie sieht die Aufgabenverteilung unter Ihnen aus?
Szerencsi: Ich werde in dem Bereich, wo ich bisher gearbeitet habe, bleiben und mich um wirtschaftliche Dinge, Lizenzen und Produktion kümmern.
Dragon-Berger: Bei mir bleibt das Redaktionelle, Journalistische, Planungstechnische und Stakeholder-Management.
APA: Der Sportrechtemarkt ist hart umkämpft. Der ORF geht mittlerweile auch Kooperationen mit ServusTV etwa bei Fußball-Großevents und der Formel 1 ein. Können Sie uns etwas Einblick in die Rechtestrategie des ORF geben?
Szerencsi: Das Publikum steht ganz klar im Mittelpunkt. Das Leitprinzip ist: ORF für alle. Wir sollen Vielfalt abbilden und Teilhabe gewährleisten. Wenn man finanziell aus dem Vollen schöpfen könnte und wenn der Wettbewerb sich in Grenzen halten würde, würde man sich dabei natürlich leichter tun. Die Mittel des ORF sind aber durch Sparvorgaben und -zwänge beschränkt. Es wird nicht leichter werden. Man wird noch stärker priorisieren müssen. Ein Weg, aus dieser Situation das Beste herauszuholen, sind Kooperationen. Diese müssen unter Umständen noch weitergehen als bisher und etwa in den Bereich der Produktionstechnik hineinspielen. Für die Fußball-WM 2026 mit ServusTV als Sublizenzpartner sind wir auf einem sehr guten Weg, Synergien zu finden und produktionstechnische Planungen gemeinsam und kostenschonend vorzunehmen. Kooperationen könnten auch bis in den redaktionellen Bereich reichen. Zum Beispiel wird die Übertragung der Auslosung für die Fußball-WM im Dezember bei ServusTV On und auch im ORF zu sehen sein. Da darf man nicht auf Exklusivitäten pochen. Aus programmstrategischer Sicht wäre es besser, ein Event exklusiv zu haben. Das ist klar. Aber das ist unter den gegebenen Voraussetzungen nur noch ganz, ganz schwer durchführbar.
Martin Szerencsi
APA: Was kann oder muss sich der ORF im Sportbereich noch leisten?
Szerencsi: Im Wintersport haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Er funktioniert bei uns so gut wie kaum woanders in Europa. Wir müssen versuchen, diese sehr gute Position unbedingt zu halten. Auch die Formel 1 liefert unfassbare Quoten. Man sollte sie so lange wie möglich an den Sender binden. Das wird aber zunehmend schwieriger.
APA: Wenn man sich aus so mancher teuren Sportart zurückziehen müsste, bestünde die Möglichkeit, andere Sportarten ins Rampenlicht zu rücken ...
Dragon-Berger: Das ist in den vergangenen Jahren teilweise schon passiert. Auf ORF Sport+ bilden wir über 70 Sportarten ab. Wir haben schon versucht, diverse Sportarten auch in ORF 1 zu positionieren - Handball-Großveranstaltungen etwa. Wir sind bestrebt, die Sendeflächen gerade an starken Winterwochenenden durchgehend mit Sport zu bespielen. Das macht programmtechnisch und redaktionell am meisten Sinn. Das ist die Chance, etwa in Pausen von Skispringen oder Skifahren sogenannte Randsportarten auszustrahlen.
APA: Langjährige Moderatoren wie Rainer Pariasek hatten offenbar große Probleme mit Aigelsreiter - vielleicht weil sie nicht mehr so im Rampenlicht gestanden sind wie früher. Wie legen Sie das an? Altbewährt oder frischer Wind?
Dragon-Berger: Es braucht eine gute Mischung. Wir haben starke Marken zu denen Rainer Pariasek zweifelsohne dazu gehört. Wir haben aber auch viele talentierte Nachwuchsleute. Es braucht Erfahrung und gleichzeitig Chancen für junge Sportreporterinnen und -reporter.
APA: Frau Dragon-Berger, Sie waren die erste Frau im Führungsteam des ORF Sport und stehen jetzt interimistisch an der Spitze. Wie ist es um Gleichberechtigung und Diversität im ORF Sport bestellt?
Dragon-Berger: Wir versuchen seit einigen Jahren - das hat schon mit Hans Peter Trost als Sportchef begonnen - Frauen im Sport zu fördern - sei es am Schirm oder hinter dem Schirm. Auch im Bereich der Regie versuchen wir Frauen, stärker zu positionieren. In der meistgesehenen Sportsendung - "Sport aktuell" - haben wir seit Jahren mit Blick auf die Moderation eine 50-50-Aufteilung. Wir sind auf dem richtigen Weg und wollen diesen auch noch weitergehen. An klar erster Stelle steht aber immer die fachliche und journalistische Qualifikation.
APA: Frauen moderieren häufig, aber kommentieren seltener. Und wenn sie dann einmal doch bei Großveranstaltungen kommentieren, sind sie häufig mit Hasskommentaren konfrontiert. Warum ist das so?
Szerencsi: Das ist nicht nur auf den Sportbereich beschränkt. Es gibt in der Gesellschaft offenbar Bereiche, die als Männerdomänen betrachtet werden, und es ist offensichtlich schwierig, das aufzubrechen und der Qualität zum Durchbruch zu verhelfen. Das Geschlecht kann in der Beurteilung der Qualität kein Kriterium sein. Die Bemühungen im Sport zeigen, dass wir etwas zu mehr Gender-Gerechtigkeit beitragen wollen.
Dragon-Berger: Wir versuchen immer wieder, Frauen zu finden, die kommentieren. An der fachlichen Expertise mangelt es nicht. Wir haben in den letzten Jahren massive Pionierarbeit geleistet und wollen den Weg weitergehen. Frauen werden in vielerlei Hinsicht anders beurteilt. Es wird selten über das Gewand von Herren so viel diskutiert wie über das Gewand von Frauen. Ich glaube, es wird langsam besser, wird aber noch etwas dauern.
APA: Frau Dragon-Berger, Sie standen viele Jahre an der Spitze von ORF Sport+. Bis 2029 muss der Spartenkanal auch in linearer Form fortgeführt werden, damit der ORF mehr Spielraum beim Einsatz von Mitteln aus dem ORF-Beitrag hat. Braucht es darüber hinaus den Sender in linearer Form oder genügt ein digitaler Kanal?
Dragon-Berger: Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig zu beantworten. Wir versuchen, viel von der linearen Ausspielung in den digitalen Bereich zu bringen. Wir müssen unsere Ausspielmöglichkeiten im digitalen Bereich noch mehr nützen. Wir kommen aufgrund der programmlichen Dichte schon jetzt in die Situation, linear gar nicht mehr alles ausspielen zu können, weil sich zum Beispiel Basketball, Volleyball und 2. Liga-Fußball massiv überschneiden. Wir müssen in der Bevölkerung mehr das Bewusstsein dafür schaffen, dass sie sich online aussuchen können, welche Sportart sie konsumieren wollen. Ich bin froh, dass ORF Sport+ bis 2029 linear abgesichert ist. Aber es gibt noch viele gesetzliche Limitierungen. Wir müssen immer noch rund 30 Prozent von Online-Only-Übertragungen danach linear auflösen.
Szerencsi: Für den Fall, dass sich nicht mehr alles in linearen Kanälen ausgeht, müssen mit den Sportverbänden gemeinsam Pläne entwickelt werden. Es braucht einen multimedialen Ausspielplan, um die berechtigten Erwartungen der Verbände und Veranstalter zu erfüllen und ein attraktives Programm für das Publikum anzubieten.
APA: Hans Peter Trost wurde vor einiger Zeit als Berater aus der Pension geholt. Ist er weiterhin da?
Szerencsi: Er wird fix bis Ende 2026 als Botschafter des ORF-Sport seine Expertise einbringen. Er hat jahrzehntelange Erfahrung und exzellente Kontakte. Das ist schon sehr sinnvoll.
Dragon-Berger: Botschafter ist die korrekte Bezeichnung. Überall wo er hinkommt, kommen sofort Leute auf ihn zu. Er leistet sehr wertvolle Arbeit für den Sport.
APA: Sehen Sie Ihren interimistischen Job an der Spitze des ORF Sport als Bewährungsprobe und wollen ihn nicht nur vorübergehend ausüben?
Szerencsi: Ich verschwende keine Zeit an Bewerbungen, weil ich auch als ESC-Legal-Advisor tätig bin und alle Hände voll zu tun habe, mich beiden Aufgaben zu widmen.
Dragon-Berger: Die Geschäftsführung hat uns das Vertrauen bis mindestens zum Ende der Fußball-WM ausgesprochen. Wir werden das gut bewältigen. Über alles andere mache ich mir Gedanken, wenn es spruchreif ist.
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