"Herbert Kickl kommt ja trotzdem": ORF-Moderator Martin Thür ist zurück

„ZiB2“-Moderator Martin Thür kehrt morgen, Sonntag, nach mehrmonatiger Karenz wieder auf den Bildschirm zurück. Davor hat er das Buch „Macht und Kontrolle“ veröffentlicht, das auf ca. 140 Seiten das Handwerk des Aufdeckerjournalismus beschreibt. Der KURIER traf ihn zu einem Gespräch - unter anderem über Investigativjournalismus.
Martin Thür: ...ich mag das Wort „Investigativrecherche“ eigentlich nicht.
KURIER: Was stört Sie?
Im besten Fall ist jede Form von Journalismus investigativ – auch ein kleiner Missstand, den jemand aufdeckt. Ich finde den Ausdruck „kontrollierender Journalismus“ viel besser.
Hat der Mythos „Investigativrecherche“ nicht sehr mit Hollywood zu tun und wie Journalisten dort dargestellt werden? Der berühmteste Aufdeckerfall war der „Watergate“-Skandal, der 1976 in „Die Unbestechlichen“ verfilmt wurde und vier Oscars gewann.
„Watergate“ war der Urknall. Seither haben alle das Bild von Robert Redford und Dustin Hoffman bei Geheimtreffen mit ihrem Informanten in der Tiefgarage vor sich. Lustigerweise funktioniert es manchmal auch wirklich so. Aber die meiste Zeit verbringt man hinter einem Bildschirm.
Die unsympathische Seite: Meistens sind Whistleblower Menschen, die in ihrer Laufbahn gekränkt wurden.
Auch bei Watergate war die damals zunächst anonyme Quelle, Mark Felt, von Richard Nixon frustriert. Und er hat sich dann an seinen entfernten alten Freund, Bob Woodward, den großartigen Journalisten, erinnert. Wenn die Fakten korrekt sind und berichtenswert, mindert die Ursprungsmotivation nicht die Relevanz der Story.
Zwei aufsehenerregende Fälle sind zurückzuführen auf heimliche Mitschnitte: Die Ibiza-Affäre und das Pilnacek-Tape. Beide wurden von Privatpersonen angefertigt. Ist deren Motivation für Sie ausreichend geklärt?
Zu Ibiza hat Drahtzieher Julian Hessenthaler ausreichend Interviews gegeben: Er wollte Heinz-Christian Strache und Johann Gudruns schaden. Auch hier: Nur weil jemand einem anderen schaden will, heißt das ja nicht, dass das Ibiza-Video nicht relevant ist. Ähnliches würde ich beim Pilnacek-Tape sagen. Wobei mir da die Motivlage selbst noch immer nicht vollständig klar ist.
In Österreich fällt auf, dass in großen Verfahren Aktenteile in der Öffentlichkeit auftauchen. Ist das nicht ein Problem?
Ich würde das niemandem vorwerfen. Denn nicht nur die Öffentlichkeit hat Interesse an den Sachverhalten, sondern auch die Beschuldigten. Sie wollen darstellen, wie der Sachverhalt ihrer Meinung nach wirklich war.
Oft werden Dinge berichtet, die strafrechtlich nicht relevant sind, beklagen Beschuldigte. Ist der journalistische Blick weiter als der des Strafrichters?
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wo ein Verhalten an den Tag gelegt wird, das wir als Gesellschaft nicht okay finden. Das unterscheidet sich dann immer noch von der Frage, was davon tatsächlich strafbar ist.
Martin Thür wurde 1982 in St. Pölten geboren, arbeitete zunächst beim Regionalfernsehen und war danach 15 Jahre bei ATV. Nach einem Stopp bei „Addendum“ wechselte Thür 2019 zum ORF, wo er die „ZiB 2“ moderiert. 2024 führte er durch die „Sommergespräche“. Thür wurde u. a. mit dem Concordia-Preis und dem Robert-Hochner-Preis ausgezeichnet.
Sie verwenden in Ihrem Buch das schöne Wort „Isolierpersonal“. Damit sind PR-Leute gemeint. Was isolieren die da genau?
Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir in Interviews Menschen sehen, die sich bemühen, Fragen tatsächlich zu beantworten. Und wie anders es sich das antrainierte, kaum verständliche, aus unzähligen Satzteilen bestehende Argumentieren mancher Politiker anfühlt, die versuchen, eine Frage wegzureden.
Wäre es nicht fahrlässig, wenn man nicht top trainiert in eine Sendung geht, wo einen Meister ihres Fachs als Gegner auf die Matte bitten?
Bei „Gegner“ möchte ich widersprechen. Verantwortliche Politiker sollten zehn bis 15 Minuten Fragen beantworten können. Es geht schließlich meistens um Themen, mit denen sie tagtäglich hoffentlich sehr intensiv zu tun haben.
„Macht und Kontrolle: Wie Journalismus Macht kontrolliert und wann er daran scheitert“ ist im Picus Verlag erschienen.
Sie schreiben in ihrem Buch auch offen über einen erfundenen Skandal, der Ihren Ruf bedroht hat: Im Zuge der Lena-Schilling-Affäre war von einer erfundenen Affäre mit „einem TV-Moderator“ zu lesen. Sie sind juristisch gegen Schilling vorgegangen und haben erreicht, dass sie erklärte, Sie nicht einmal zu kennen. Wieso haben Sie die falschen Gerüchte nicht Gerüchte sein lassen?
Mir ist es wirklich sehr, sehr wichtig, dass auch ich meinen Job transparent und nachvollziehbar mache. Das Ganze hat sich kurz vor dem „Sommergespräch“ 2024 mit allen Parteichefs zugetragen. Hätte ein Interviewpartner das thematisiert und ich hätte es als damals 42-jähriger Mann dementiert… also ich hätte es mir als Zuseher nicht ganz abgenommen. Und für jeden ist jetzt klar: Ich kenne die Dame nicht einmal.
Sie führen eine Statistik über die „ZiB2“-Besuche. In ihrem Buch steht, dass Politikerbesuche im 2024 sehr stark abgenommen haben – trotz Wahljahr. Herbert Kickl hat sein heuriges „Sommergespräch“ damit eröffnet, dass man als Politiker die klassischen Medien nicht mehr braucht. Ist da nicht etwas dran?
Nun: Herbert Kickl kommt ja trotzdem ins „Sommergespräch“, wie man sah. Das ist ein Beweis dafür, dass die eigenen Kanäle dann auch nicht reichen. Ich glaube, dass Politiker, Politikerinnen aller Parteien vor allem letztes Jahr gemerkt haben, dass sie nicht wahnsinnig populär sind und dass es keine einfachen Lösungen für die vielen Probleme gibt. Irgendwer muss es dann trotzdem erklären.
Bei der Budgetsanierung ging Finanzminister Markus Marterbauer am offensivsten mit schlechten Nachrichten hinaus. Er schilderte eine katastrophale Lage und kündigte hartes Sparen an. Seine Umfragewerte gingen in die Höhe. Überrascht Sie das?
Es ist bemerkenswert: Gerade die mit den schlechtesten Botschaften sind sehr populär. Das war auch bei Karl-Heinz Grassers Nulldefizit-Sparkurs so. Ich glaube, dass Politik auch harte Maßnahmen erklären kann, wenn sie notwendig sind. Und die Wählerinnen und Wähler entscheiden dann, ob ihnen diese Erklärung gefällt oder nicht.
Sie schützen Ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit. Sie waren über sieben Monate aus privaten Gründen auf Karenz. Das hat im Boulevard zu Spekulationen geführt. Erzählen Sie, was zu ihrer Abwesenheit geführt hat?
Da ist keine große Geschichte dahinter. In den letzten Jahren sind einige Dinge vorgefallen, in denen mein Privatleben in die Öffentlichkeit gezogen wurde. Da versuche ich, nun stärker auf die Bremse zu treten. Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser das respektieren können. So wie auch ich versuche, das Privatleben von Politikerinnen und Politikern zu respektieren.
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