Die Dreier-Koalition im ORF-Interview: "Es ist irrelevant, ob ich mich freue"

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Es ist soweit: Der Bundespräsident hat die erste Dreierkoalition des Landes angelobt. Und wie bei allen Sensationen gibt es eine Sondersendung zur Primetime. Diesmal trafen sich die frischgebackenen Regierungsmitglieder von ÖVP, SPÖ und Neos im Bundeskanzleramt mit Susanne Schnabl und Armin Wolf vom ORF, um Rede und Antwort zu stehen. Und weil es ein politisches Interview war, durften No-Na-Fragen und Platitüden in Fragen und Antworten nicht fehlen. Der KURIER hat sich das Gespräch für Sie angesehen die Highlights herausgefiltert:
Susanne Schnabl klärt zu Beginn die wichtigen Themen. „Wie nennen Sie Ihr Dreierbündnis eigentlich? Es schwirren verschiedene Namensvorschläge herum: ‚Zuckerlkoalition‘, ‚Austria 3‘, die ‚Ömpel‘…“ Man ist beeindruckt von der kollektiven kreativen Kraft des heimischen Journalismus.
Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) muss Schnabl enttäuschen: „Ich glaube, dass alle diese Namen nicht zutreffen. Es ist so, dass wir ein gemeinsames Programm erarbeitet haben und wir haben uns dazu verstanden, gemeinsam jetzt das Richtige für Österreich zu tun.“
Schnabl: „…-aber haben Sie irgendeinen Namen, wie nennen Sie sich? ‚Die drei‘?“
Stocker, desinteressiert: „Nein ich hab‘ dazu keinen Namen.“
Armin Wolf hakt nach: „Andere Ideen?“
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos): „Im Zweifelsfall sind wir die Dreierkoalition.“
Bevor Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) auch noch über kindische Namen räsonieren muss, wechselt Wolf, das Thema: „Zustande gekommen ist diese Regierung ja ziemlich ungewöhnlich. Herr Dr. Stocker: Wenn Ihnen beim letzten Silvester beim Anstoßen jemand gesagt hätte: ‚Sie werden 2025 Bundeskanzler werden.‘ Was hätten Sie gesagt?“ Politikjournalismus extrem.
Stocker, pulvertrocken: „Dass das nicht stattfinden wird.“ „Das war Silvester 2024/2025 war eine Zeit, wo ich davon ausgegangen bin, dass wir zwar in dieser Konstellation zusammenkommen, aber nicht ich der Bundeskanzler sein werde.“
Wolf: „Hat Karl Nehammer schon gratuliert?“
Stocker, staubtrocken: „Natürlich.“
Wolf: „Gab’s eigentlich die Idee, Karl Nehammer zurückzuholen? Er hat es ja angeblich angeboten, nachdem die Gespräche mit der FPÖ gescheitert sind.“
Stocker, extrem sachlich: „Nein, das war nicht so, Karl Nehammer hat für sich entschieden, dass er sich beruflich anders orientiert, daher war das auch keine Frage."
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Schnabl erinnert Meinl-Reisinger daran, dass sie vom Verhandlungstisch aufgestanden war und die Schuld dafür SPÖ-Chef Andreas Babler gegeben hat. „Wie soll das zu dritt funktionieren? Haben Sie sich ausgeredet? Ist Herr Babler ein anderer? Oder sind Sie vielleicht toleranter?“
Meinl-Reisinger (holt tief Luft, um die Österreicherinnen und Österreicher daran zu erinnern, dass Herbert Kickl und überhaupt…): „Ich glaube, dass es gut so war, dass die Staatspolitische Verantwortung und auch die sehr veränderte geopolitische Situation alle drei an den Verhandlungstisch gebracht hat um das zu tun, was wir von Demokraten erwarten (strahlt mit bedrohlich aufgerissenen Augen): Nämlich nicht immer nur das eigene Parteiwohl als vorderstes zu sehen, sondern wirklich zusammenzuarbeiten.“
Wolf setzt nüchtern nach: „Aber vor zwei Monaten haben die Neos wörtlich gesagt: ‚Bablers Verhalten steht sinnbildlich für eine Politik der Blockade und des Stillstands‘ und Christian Stocker hat als Generalsekretär der ÖVP sinngemäß gemeint: In der SPÖ haben die rückwärtsgewandten Kräfte übernommen und er hat Sie damit gemeint, Herr Babler…“
Andreas Babler, der sich an diesem Punkt seiner Karriere bereits daran gewöhnt hat, auch daran Schuld zu sein, wenn die Müllabfuhr in Eisenstadt nicht pünktlich kommt, wartet geduldig, worauf der Star-Interviewer hinauswill.
„…Haben Sie sich in den letzten zwei Monaten jetzt so verändert?“
Babler, angeödet: „Ja ich nehm‘ immer alles zur Kenntnis, was geschrieben und dann später revidiert wird.“

Beate MEINL-REISINGER / Christian STOCKER / Alexander VAN DER BELLEN /Andreas BABLER
Wolf an Stocker: „Wozu diese wochenlange, monatelange Ehrenrunde mit Herbert Kickl?“
Stocker: „Ich würde das nicht als Ehrenrunde sehen. Manchmal darf man in einer Geschichte ein Kapitel nicht auslassen, damit die Geschichte auch insgesamt wieder stimmt.
Schnabl, jetzt wieder im Bild: „Letztlich sitzen Sie hier, weil die Koalition mit Herbert Kickl nicht geklappt hat und die Angst vor Neuwahlen im Raum stand, vor denen Sie sich alle drei fürchteten. Ist es das?“
Stocker beginnt sein Argument defensiv, „in einer Demokratie kann man sich vor vielem fürchten…“, als ihm mitten im Satz einfällt, dass ein ÖVP-Kanzler unerschütterlich ist: „Man sollte sich nicht fürchten, aber am wenigsten vor Wahlen.“
Wolf (will erstmal sehen, wer sich hier nicht fürchtet): „Sie haben bei der Wahl auf Platz sieben der ÖVP-Bundesliste kandidiert, Sie waren nicht sehr lang Generalsekretär der ÖVP, die waren...“
Stocker, wieder pulvertrocken: „…gibt welche, die waren kürzer.“
Wolf: „…Sie waren sehr lange Vizebürgermeister von Wiener Neustadt, aber sie hatten noch nie ein Regierungsamt auf Landes- oder Bundesebene. Sind Sie in dieser schwierigen geopolitischen und ökonomischen Zeit der bestgeeignete Bundeskanzler für dieses Land?“
Stocker, wieder extrem knochentrocken: „Es wird vielleicht manche geben, die das anders sehen, es wird welche geben, die das schon so sehen.“
Wolf (eindeutig einer Sensation auf der Spur): „Wie sehen Sie es?“
Stocker gibt jetzt eine sehr lange Antwort voller Floskeln über Verantwortung und Ambition und schließt: „Ich werde mich bemühen und mein Bestes jedenfalls geben.“
Schnabl richtet auch eine gekonnte „Ja/Nein“-Frage an die Runde: „Frau Außenministerin, Sie sind keine Diplomatin und haben auch nicht großartige außenpolitische Erfahrungen, also selbst im zuständigen Ausschuss im Parlament. Ist Österreich, ist diese Regierung da bestmöglich aufgestellt in Zeiten wie diesen?“
Meinl-Reisinger gibt eine Antwort, in der viele Sätze die Worte „sozusagen“, „unglaublich“ und „gerüttelt Maß“ enthalten. Um es kurz zu machen: Sie ist der Meinung, dass sie es kann: „In vielen Bereichen werden wir neue Wege gehen müssen.“ Die Außenministerin bleibt eindeutig auch als Neos-Markenbotschafterin in Amt und Würden.
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Neue Regierung stoppt Familien-Nachzug
Wolf will von Babler wissen, wie er damit umgeht, dass Neos-Mandatar Veit Dengler die Neutralität für obsolet hält. Babler ist das relativ wurscht, weil die Neutralität im Verfassungsrang steht.
Schnabl will Denglers Meinung ebenfalls auf keinen Fall unterbewerten: „In dem Regierungsprogramm steht, Österreich bekennt sich klar zur Neutralität. Was gilt jetzt?“
Meinl-Reisinger: „Es ist ja geradezu grotesk zu glauben, dass wir allein, isoliert, als kleines Land in einer Zeit, in der die gesamte regelbasierte Welt und Friedensordnung nicht mehr eingehalten wird, auf einmal wieder das Recht des Stärkeren gilt, dass wir da alleine reüssieren können oder in irgendeiner Weise unsere Interessen vertreten. Das kann nur ein starkes Europa und das ist ein klares Programm in die Richtung.“
Wolf: „Herr Bundeskanzler, selbst das scheidende ÖVP-Außenminister Schallenberg sagt, die Neutralität schützt uns nicht“….
Auch Stocker schluckt den Köder nicht. Wir bleiben wohl neutral.
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Wolf will jetzt die Aufrichtigkeit der Koalition in Budgetfragen infrage stellen: „Was ist das für ein Signal einer Koalition, deren wichtigste Aufgabe ist, zu sparen, wenn sie gleichzeitig sieben Staatssekretariate einrichtet und jetzt im Parlament die Regierungsbank verlängert werden muss, damit sie alle Platz haben?“
Stocker (trocken): „Also wenn Sie mit der Größe einer Regierung das Budget sanieren wollen, dann viel Glück. Und das zweite ist, bei allen Herausforderungen, die uns gegenüberstehen, ist die Länge der Regierungsbank die kleinste.“
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Wolf möchte von Meinl-Reisinger wissen, wie sie zum prononciert linken SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer steht. „Sie haben ursprünglich das Finanzministerium für die Neos verlangt, jetzt sitzt dort Herr Marterbauer, der finanzpolitisch praktisch für das genaue Gegenteil der Neos steht.“
Meinl-Reisinger: „Stimmt.“
Wolf: „Haben Sie sich gefreut?“
Meinl-Reisinger (versucht die seltsame Fragestellung elegant zu umgehen): „Und trotzdem sind wir in einer Regierung und haben ein gemeinsames Programm.“
Wolf lässt sich nicht von der Fährte abbringen „Und haben Sie sich gefreut über die Nominierung?“
Meinl-Reisinger: „Ich glaube, es ist irrelevant ob ich mich freue oder nicht.“
Wolf, ganz Vollblut-Reporter: „Oder war es eine Provokation?“
Meinl-Reisinger: „Ich habe heute mit ihm ausgemacht...
Babler (würde an der Stelle offenkundig gerne gefragt werden, ob es ihn gerade freut): „Fragen wir doch alle durch!“
Meinl-Reisinger: „… dass wir auf einen Kaffee gehen.“ Dabei will sie fiskalische Details besprechen. Welche Funktion hier eine Außenministerin spielt, muss wohl noch im Ministeriengesetz hinterlegt werden.
Stocker muss jetzt erklären, was er tun würde, wenn sich die Budgetlage weiter verschlechtert. Wir erinnern uns: Die ÖVP will rein ausgabenseitig sparen, die SPÖ wollte auch neue Steuern.
Schnabl: „Das heißt, sparen ist die Devise?“
Stocker: „Es heißt, sparen natürlich und wir sparen auch…“
Wolf (hat Babler beobachtet): „Sie haben jetzt ein bisschen den Kopf geschüttelt irgendwie, als der...“
Babler (ertappt): „Ich habe zugestimmt.“
Wolf: „Aha, okay, ich dachte bis jetzt, Zustimmen ist Nicken. Kopfschütteln ist eine Differenz. Kann es, wenn diese Zahlen nicht ausreichen für heuer und für nächstes Jahr, kann es dann noch neue Steuern geben, die jetzt nicht in diesem Programm stehen?
Babler: „Dann können Sie uns gerne einladen, nachdem wir das miteinander beraten haben und dann wird man das mit Ihnen erörtern.“ Uff, das war knapp. Man hört ein beruhigtes Seufzen von den Pressesprechern aller drei Parteien.
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Wolf: „Herr Bundeskanzler, kommen wir zum zentralen Thema Migration, wichtiges Thema für die ÖVP, wichtiges Thema für das Land. Hier kündigen Sie durchaus konkrete und auch durchaus strenge Maßnahmen an, etwa einen sofortigen Stopp beim Familiennachzug. Aber wie wollen Sie dieses Versprechen halten? Das ist innerhalb des EU-Rechts schlicht nicht möglich.“
Stocker: „Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, dass das nicht möglich ist. Es gibt eine Klausel, die sagt, wenn Systeme überlastet sind, dann ist es möglich, vorübergehend auszusetzen.“
Wolf: „Und alle EU-Juristen sagen, diese Klausel können Sie nicht in Anspruch nehmen, weil Österreich nicht überlastet ist.“
Stocker: „Also wenn alle, wenn alle Juristen dasselbe sagen, dann habe ich eine andere Wahrnehmung der Juristerei, aber lassen wir es einmal so stehen. Wenn es ein Verfahren gibt, werden wir unsere Argumente in dieses Verfahren einbringen und vielleicht muss man auch nachdenken, ob nicht auch die Staaten selbst am besten beurteilen können, ob ihre Systeme überlastet sind.“
Wolf: „Aber verstehe ich Sie jetzt richtig, wenn Sie sagen, sofortiger Stopp des Familiennachzugs, dass Sie quasi morgen diese Notfallklausel ausrufen?“
Stocker: „Wir setzen den Familiennachzug vorübergehend mit sofortiger Wirkung aus.“
Wolf: „Sofort heißt?“
Stocker: „Sofort heißt jetzt.“
Wolf: „Morgen, heute?“
Schnabl: „Heute?“
Stocker, der bereits am ersten Abend seiner Amtszeit einen Ausblick auf die Mühen der vor ihm liegenden Ebene bekommt: „Ja, wenn es halt dann soweit ist, dass der Herr Innenminister die Verordnung oder was immer dafür erforderlich ist, dann auch fasst beziehungsweise herausgibt, ja.“
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Wolf: „Bis wann kommt die Bundesstaatsanwaltschaft?“
Stocker: „Das müssen Sie, die Frau Justizministerin fragen.“
Wolf: „Die ist jetzt gerade nicht da, deswegen frage ich ihren Parteichef.“
Babler: „Ich kann sie jetzt auch nicht anrufen, so spontan am Tisch.“
Wolf: „Ja, aber reden wir jetzt über heuer, reden wir über 2028, 2029?“
Babler: „Wir sind heute am ersten Tag unserer Amtsübernahmen und wir werden mit Priorität alles so schnell und zu gut ermöglichen, wie alles ist.“ Danach folgen mehrere Sätze mit dem Wort „Meilenstein“ .
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Diese Regierung hat übrigens keinen geheimen Sideletter über die geplanten Postenbesetzungen, sondern öffentlich im Regierungsprogramm festgeschrieben, welche Partei das Vorschlagsrecht für welchen Posten hat. Sie raten richtig: Natürlich werden nur die bestqualifizierten zum Zug kommen. Dafür garantieren nicht nur ÖVP und SPÖ, sondern seit Neuestem auch die Neos.
Wolf will jetzt von Babler wissen, ob er glaubt, dass er die nächsten fünf Jahre politisch überleben wird, so wie es in der SPÖ zugeht: „Wie sicher sind Sie, dass Sie fünf Jahre lang Vizekanzler dieser Regierung bleiben?“
Babler (will überraschenderweise nicht öffentlich sagen, dass er nicht an seine eigene Zukunft als SPÖ-Chef glaubt): „Das ist der Anspruch unserer gesamten Regierung, dass wir fünf Jahre lang zusammenarbeiten…“Wolf: „Herr Bundeskanzler, Sie möchten natürlich, dass
diese Regierung fünf Jahre hält, das ist ja überhaupt keine Frage. Sie persönlich erreichen allerdings in zwei Wochen das gesetzliche Pensionsalter und Bundeskanzler war ja offensichtlich bis vor wenigen Wochen noch nicht in Ihrer Lebensplanung. Haben Sie persönlich vor, die gesamte Periode ÖVP-Chef und Bundeskanzler zu bleiben?“
Stocker will.
Aber wahrscheinlich nicht mehr so gern wie vor 50 Minuten.
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