Matthias Schrom: Der Dirigent des ORF-Info-Orchesters
Die enorm hohen Zuseherzahlen belegen es: Der ORF ist für viele in Österreich eine Hauptanlaufstelle in Sachen Corona-Information. ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom im Interview über die Virus-Krise, die geplante "Zeit im Bild"-Modernisierung und den Misstrauensvorschuss ihm gegenüber.
KURIER: Was unterscheidet Ihre journalistische Arbeit aktuell von z. B. Ibiza?
Matthias Schrom: Ibiza war eine journalistisch spannende Geschichte – aber für niemanden lebensbedrohlich. Jetzt geht es um unser aller Gesundheit. Da haben wir mehr als nur eine journalistische Verantwortung. Ein gewisses Vertrauen der Bevölkerung in das Funktionieren der Organe und Behörden unserer Republik halte ich für eminent wichtig. Aufgrund des Zuschauerinteresses kommt uns hier eine wichtige Rolle zu. Diese nehmen wir an und machen das, was wir können: faktenbasiert informieren.
Inhaltlich braucht es in so einer Situation Fingerspitzengefühl, man kann nicht über Wochen, vielleicht sogar Monate, 24 Stunden Krise senden und Panik säen, wie das auf Social Media passiert. Wie gehen Sie selbst damit um?
Das haben Sie völlig recht. Man muss natürlich informieren und diese weltweite Krise hat halt Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Aber im Nachrichtenbusiness gibt es kaum andere Neuigkeiten, Sport und Kultur fallen flach, ja sogar die unter Anführungszeichen normale Chronik fallt fast aus. Aber umso mehr braucht man mal was anderes. Ich schau mir "Walking on Sunshine" extrem gerne an und französische Kömödien – von "Monsieur Claude" bis alte Pierre Richard Filme, da taucht man dann echt in andere Welten ein, das tut ganz gut.
Schwierig in dem Zusammenhang ist Social Media, zumal aufgrund von gefälschten Videos: Wie versucht die ORF-Information, dem nicht auf den Leim zu gehen?
Das ist eine enorme Herausforderung. Hier arbeiten wir in verschiedenen Projekten mit. Es gibt hier auch technologisch spannende Möglichkeiten, die Authentizität von Material zu prüfen. Wir haben eine eigene Gruppe, die sich damit beschäftigt.
Eines Ihrer Ziele beim Antritt 2018 war, die TV-Information schneller und flexibler zu machen. Das ist auf ORF2 gelungen, wie Corona zeigt.
Ja, wir bemühen uns. Es klingt pathetisch – ich habe bei meiner Bewerbung gesagt, dass ich mir wünschen würde, dass ich wieder mehr ORF-Pickerl auf Autos sehe, wenn ich durch die Garage gehe und die Leute wieder stolz auf den ORF sind – ich gehe grad nicht durch die Garage, aber ich habe das Gefühl, seit Ibiza und auch jetzt wieder sind wir insgesamt selbstbewusster.
Die Corona-Krise hat auch zur Durchschaltung der „Zeit im Bild“ in den Einser-Kanal geführt. Hat das das Zeug zur Dauereinrichtung?
Ganz ehrlich – ich weiß es nicht. Jetzt ist eine spezielle Zeit, aus der man nicht für die Normalzeit valide Rückschlüsse ziehen kann. Es geht da um vieles – das Programm, das Publikum, das etwa die „ZiB 20“ sehr gut angenommen hat, das Programmumfeld usw. Jetzt ist die „Zeit im Bild“ ja de facto eine tägliche Sondersendung und mehr als doppelt so lange wie normal.
In Ihre Verantwortung sind jüngst die aktuellen ORF1-Infosendungen sowie ein Teil der Mannschaft übersiedelt.
Die Integration ist hervorragend gelaufen und natürlich muss es gewisse Synergien geben, die gibt es auch bereits. Ich glaube, es ist das ein wechselseitiger Gewinn, weil die Kolleginnen und Kollegen jetzt die weite Welt von ORF2 zur Verfügung haben und ORF1 kann nun auf die schon rein quantitativ hohe Zahl an Kompetenz von ORF2 noch leichter zugreifen. Mein Ziel für ORF1 ist da gleich dem bei ORF2: relevante, gute Nachrichtenformate zu produzieren und Talente zu fördern.
Ein großes Thema für Sie ist die Regionalisierung – beim Thema Corona leider auch nötig.
Gerade die Corona-Sondersendungen zeigen, wie wichtig unser dichtes Netz in den Dörfern, Städten und Bezirken im ganzen Land ist. Es macht einen Teil unserer Kompetenz aus. Ich habe in zwei Landesstudios und bei „Ö3 Radio Holiday“ gearbeitet – ich weiß um die Kompetenz der Mitarbeiter und bin dankbar, davon in den „ZiBs“ oder in „Aktuell in Österreich“ profitieren zu können.
Wie ist die ORF-TV-Information an Corona herangegangen? Der ORF ist als systemrelevant eingestuft. Wenn nichts mehr läuft, muss wenigstens ORF2 laufen.
Wir haben unser Team schon sehr früh separiert und an vier Standorte im und außer Haus sowie auf Homeoffice verteilt. Es gibt nun aber auch Kolleginnen und Kollegen in abgeschotteten Zonen, die von dort aus ihre Arbeit machen.
In Österreich lief seit 2016 ein Dauerwahlkampf und in der gedachten Pause für die Info-Mitarbeiter bis zur Wien-Wahl schlägt just Corona ein – geht sich das personell noch alles aus?
Was die Kolleginnen und Kollegen leisten ist wirklich phänomenal. Und ich hoffe schon, dass wir einen halbwegs normalen Sommer zur Erholung haben. Ein wahlkampf in wien klingt jetzt im Verhältnis nicht so stressig. Seit ich diesen Job habe, war es eigentlich nie normal.
Selten ist die Situation so wie jetzt, dass sich die Politik (bisher) fast nur zur Sache meldet. Merken Sie das bei Anrufen bei Ihnen auch?
Bei Anrufen geht es meistens um Geschichten und Themen. So auch jetzt. Vielleicht liegen die Geschichten jetzt auch derart auf der Hand, dass die Telefonate entsprechend kürzer sind…
Mitte April sollte eine kleine „Zeit im Bild“-Reform kommen mit u. a. Tobias Pötzelsberger als neuen Co-Anchor. Muss umgedacht werden?
Tobias Pötzelsberger wird die „Zeit im Bild“ moderieren, das ist fix. Die Weiterentwicklung im dramaturgischen und optischen Bereich werden wir vorantreiben, sobald diese Krise durchgestanden ist.
Die ORF-Performance ist so, dass die FPÖ ihre GIS-Kampagne eingepackt hat. Ist die Information die Rettung des Öffentlich-Rechtlichen?
Ich hoffe, dass unsere Berichterstattung einen Beitrag zum Ende der Gebührendebatte geliefert hat. Ich dachte eigentlich, Ibiza wäre schon Beweis genug dafür gewesen, wofür es uns braucht. Ich finde es schade, dass eine Parlamentspartei offensichtlich der Annahme ist, dass wir bzw. die Beitragsfinanzierung ein geeignetes Feindbild abgeben, um Parteifans zu mobilisieren. Wobei ich weiß, dass es viele FPÖ-Wähler gibt, die zufriedene Konsumenten unserer Produkte sind.
Auch die Anfeindungen Sie betreffend als „türkis-blauer Wunschkandidat“ sind verstummt. Ist der Misstrauensvorschuss aufgebraucht?
Also ich habe durchaus das Gefühl, dass ich den einen oder anderen Kollegen positiv überraschen konnte. Vermutlich ist das so ähnlich, wie wenn ein Fußballer nach einer soliden Karriere plötzlich Cheftrainer wird. So selten gelingt der Rollenwechsel im Sport aber auch nicht: Luis Enrique, Zidane, Klopp, Foda – alle haben auch ehemalige Mitspieler trainiert.
Danke für das Interview
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