"Lügenpresse"-Vorwurf: Wir schauen zu sehr auf die Ränder

Kommentar. Das Publikum ist erstaunlich zufrieden mit dem Journalismus, zeigt eine ORF-Umfrage. Sehen wir zu sehr schwarz?

Am Mittwoch hat eine Frau im ZDF-„Morgenmagazin“ laut „Lügenpresse, Lügenfresse“ geschrien. Moderatorin Dunja Hayali reagierte geistesgegenwärtig und bot der Frau den Dialog an. Die Onlinemedien waren voll von dem Zwischenfall, der auch eines sehr deutlich zeigt: Wir reden viel zu viel von radikalen Rändern. Obskuranten links, rechts oder überhaupt gänzlich außerhalb des politischen Meinungsspektrums senden über Social Media derart starke Impulse aus, dass sie das Gesamtbild trüben.

Sieht man sich das Image des Journalismus detailliert an, wie dies der ORF mit einer großen Umfrage tat, zeigt sich ein weitaus differenzierteres Bild: Demnach gibt es nur wenige Hardcore-Kritiker, erstaunlich viele echte Fans und einen breiten Mittelbau an Leuten, die eh irgendwie zufrieden sind. Ist das die Medienverdrossenheit, die wir einander predigen?

Erstaunlich ist auch, wie übersättigt viele vom Flüchtlingsthema sind. Hier überwiegen jene, die finden, das Thema nehme entweder zu viel  oder gerade richtigen Raum ein. Lügenpresse, die Probleme in der Migration unterdrückt? Sähe anders aus.

Überhaupt liegen die Infoformate des ORF entweder stabil oder haben steigende Zuseherzahlen. Wären wirklich breite Publikumsschichten derart verdrossen, warum schauen dann rund eine Million die „Zeit im Bild“?

Zugegeben, die Flüchtlingskrise 2015 hat viele radikalisiert. Sie hat aber auch vielerorts die Redaktionskonferenzen geändert. Wir lernten, genauer auf das Publikum zu hören.  All das sind wichtige Schritte, aber keinerlei Grund zur Resignation. Von wegen „Lügenfresse“.

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