Kleine Dinge für kleine Leut’: ORF-Reportage in bester Spira-Tradition

Modelleisenbahn im Garten: Ex-ÖBBler Rudolf und Andrea
„Am Schauplatz“ widmet sich am Donnerstag dem Thema „Ein Sommer in der Stadt“ (22. August, 21.05, ORF2). Es geht um die „kleinen Leut‘“, die weit entfernt von einem Aufenthalt am Meer sind, zum Teil auch aus finanziellen Gründen. Reporter Ed Moschitz hat sich die Dreifaltigkeit klassischer Dokus über das Wiener Dasein angesehen: Schrebergarten, Balkonien, Alte Donau. Es ist daher nicht weit hergeholt, dass Moderator Peter Resetarits eingangs Vergleiche zu den „Alltagsgeschichten“ von Elizabeth T. Spira zieht. Moschitz sei „einer der wenigen, der so etwas auch gestalten kann.“
Moschitz selbst weicht im KURIER-Gespräch diesem Vergleich aus und verweist auf heutzutage schmälere Budgets: „Diesen Luxus, mit Kameramann auf Recherche zu gehen und darauf zu warten, bis interessante Gesprächspartner vorbeikommen, den gibt es heute kaum mehr.“ Er gehe in der Regel erst nach Recherchegesprächen zu den zuvor vereinbarten Dreharbeiten. „Ganz so spontan ist es danach natürlich nicht mehr“, gibt er zu bedenken.
Was man der Doku überhaupt nicht ansieht. Wahres Reportergold wird gehoben: Teilweise bedrückend, auch irritierend, aber zumeist mit viel Seele – und mit einem stimmigen Soundtrack von Schlager bis „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Slideshow: Protagonisten aus der "Am Schauplatz"-Reportage

Herr Richard
Im Schrebergarten von Herrn Richard, 73, haben sich geschätzte 200 Gartenzwerge angesammelt. So richtig gezählt habe er die noch nie, mit dem Rechnen sei er auch aus der Übung. Sein Leben lang war er Straßenkehrer für die Gemeinde Wien. Früher, als in der Arbeit noch getrunken wurde, musste er beim Kehren oft „auf die Autofahrer aufpassen“. Sogar über die Zehen seien die ihm gefahren. Heute möchte er „nicht mehr dabei sein“, erzählt er: „Na, die Hektik, und die Oberen reden alle mit, auch wenn sie gar keine Ahnung haben.“

Herr Walter
Der Kleingarten von Herrn Walter, 73, ist auf 195 Quadratmeter begrenzt, sein Haus vier mal vier Meter. Er habe nichts Größeres erwischt, ist er enttäuscht: „Wir haben ja nicht die Chancen von Politikern oder ihren Freunden“. Als Bau- und Konstruktionsschlosser hat er Jahrzehnte im Ausland gearbeitet, während seine Frau mit einem anderen Mann das Weite suchte. Heute verbringt der verspielte Bastler viel Zeit im kleinen Hobbykeller, den er ganz nach seinen Wünschen eingerichtet hat.

Franz und Marion
Herr Franz, 64, und Frau Marion, 52, überglücklich in ihrem kleinen Stück Grün.

Frau Eva
41 Jahre war Frau Eva Lehrerin. In der Schule hätte sie es oft mit „Gsindel“ zu tun gehabt, sagt die 70-Jährige: „Mach dir den Dreck selber“, musste sie sich von einem Sechsjährigen sagen lassen. Richtig schlimm sei es dann geworden, als die Kinder der Zugewanderten in die Schulen kamen. Mit ihrer Bedienerin aus Bosnien wäre sie aber seit 40 Jahren sehr zufrieden. Die putze aber nur die Wohnung, von ihrem Häuschen an der Alten Donau erzählt sie ihr nicht.

Herr Peter,
Nach mehreren Gefängnisaufenthalten kann Herr Peter, 68, nun den Sommer zumindest am eigenen Balkon genießen.

Herr Christian
Herr Christian, 51, wird am Donau-Strandufer von vielen „Präsident“ genannt. Den Sommer habe er immer schon in der Großstadt verbracht: „Ich hab nämlich Angst vorm Fliegen“, erzählt er. Doch es gibt noch ein Problem. Weil er unlängst wegen Alkohol am Steuer erwischt wurde und die 3.800-Euro-Polizeistrafe offen ist, fährt der „Präsident“ nun täglich mit einem kleinen Roller zum Strand.
Moschitz ist zu Besuch bei Herrn Richard, in dessen Gärtchen sich bereits 200 Gartenzwerge türmen, bei Herrn Peter, der nach gut 15 Jahren im Gefängnis diesen Sommer wenigstens auf dem Balkon verbringen darf, oder bei Herrn Christian, der nicht nur wegen seiner Flugangst von Reisen Abstand nimmt.
Man erfährt etwa von einem Kleingartenbewohner, dass 70 Prozent der Nachbarn schwierig seien. Eine (unter anderem) am Wasser residierende resolute Rentnerin rät: Zeige der Putzfrau nicht alles, was du hast, diese Leute seien „hundearm“. Und ein Balkonier erklärt das Faszinosum Gartenzwerg: „Weil wir auch kleine Leut’ sind, brauchen wir was Kleineres.“
5 Fragen an Reporter Ed Moschitz
KURIER: Sie haben einmal gesagt, dass man Ihre Reportagen von den Produktionsbedingungen her nicht mit Spiras "Alltagsgeschichten" vergleichen kann. Nun zog aber Peter Resetarits in der Einleitung genau diesen Vergleich. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Ed Moschitz: Die Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Die Produktionsmittel sind überall geringer geworden, das ist der Lauf der Zeit. Auch wir Journalisten handeln im Rahmen unserer Möglichkeiten und sind bestrebt daraus das Beste für unser Publikum zu machen.
Die Reportage hat viele interessante Typen und aufschlussreiche Zitate zu bieten. Wie findet man diese Leute in so kurzer Zeit - wenn weniger als zehn Drehtage zur Verfügung stehen?
Diesen Luxus, mit einem Kameramann auf Recherche zu gehen und darauf zu warten bis interessante Gesprächspartner vorbeikommen, den gibt es heute kaum mehr. Ich gehe üblicherweise erst nach meinen Recherchegesprächen mit einem Kameramann zu den zuvor vereinbarten Dreharbeiten. Ganz so spontan ist es danach natürlich nicht mehr.
An der Alten Donau treffen Sie einen jüngeren Mann, der noch nie am Meer war. Überrascht Sie so etwas?
Ich hab im Laufe meines Berufslebens mehr als 100 Sozialreportagen erarbeitet. Dass man Menschen trifft, die noch nie am Meer waren, ist für mich jetzt nicht weiter ungewöhnlich. Ungewöhnlich war eher, dass ich diesen Herren eher am Rand der Dreharbeiten kennengelernt habe. Das nennt man dann wohl Glück des Tüchtigen.
Balkonien ist bei Ihnen weitgehend der Gemeindebau Am Schöpfwerk ...
Ja, mehr als 1400 Balkone und Terrassen gibt es dort.
Sie zeigen dort einen Mann, der den Titel der hergezeigten DVD völlig falsch ausspricht. Zögern Sie in so einem Fall, so einen Lapsus tatsächlich zu bringen?
Es gibt eben Menschen, die sich mit Fremdsprachen schwertun und daher manches nicht ganz richtig aussprechen. In dem Fall war es aber so, dass er keine Brillen aufhatte, und sich mit den Filmtiteln vertan hat. Der besagte Herr Alfred hat jedenfalls sehr viel Humor, wir haben schon bei den Dreharbeiten sehr viel gemeinsam gelacht. Ich bin mir daher sicher, dass er bei der Sendung herzhaft mitlachen wird.
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