Von "Steirer-Krimi" bis "Vienna Blood": Klaus Lintschinger verlässt ORF

Ein wenig Nachdenklichkeit schwingt immer mit: Klaus Lintschinger beim Deutschen FernsehKrimi-Festival, wo 2023 "Das Schweigen der Esel" von Karl Markovics mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde
Sein Name ist untrennbar mit ORF-Erfolgen wie der „Landkrimi“-Reihe, „Maximilian“, „Braunschlag“ oder „Kopftuchmafia“ verbunden. Trotzdem kennen ihn nur Brancheninsider oder sehr aufmerksame Zuseher vom Abspann: Klaus Lintschinger, Head of Feature Production des ORF – wie sein Job in der internationalen TV-Welt heißt. Eben 65 geworden, ist er mit März in den – wie absehbar ist – (Un-)Ruhestand gewechselt.
„In meiner Rolle als Redakteur konnte ich machen, was ich am liebsten mache: Projekte entwickeln und umsetzen in Zusammenarbeit mit hoch kreativen Leuten, die wissen, was sie tun. Das war grandios, nicht immer leicht, aber so intensiv, dass ich nicht bemerkt habe, wie die Zeit vergeht“, resümiert der studierte Theaterwissenschaftler.
Er wird nicht mehr am Küniglberg sein, da werden noch Dreharbeiten für Filme starten, die er redaktionell vorbereitet hat, wie etwa der 10. Film von „Spuren des Bösen“. „Die gehen jetzt in die Hände jüngerer Kolleginnen und Kollegen über. Da habe ich große Freude, wie sich das alles gestaltet.“
Auch die Steirer-Krimis gehen weiter, mit denen vor gut 10 Jahren die so nie geplante „Landkrimi“-Reihe gestartet ist. Hauptabteilungsleiter Heinrich Mis und Lintschinger als Redakteur hatten damals zwei regionale Projekte auf dem Tisch, die später als „Steirerblut“ und „Die Frau mit einem Schuh“ umgesetzt wurden.
Regionalkrimi auf Kinofilm-Niveau als Ziel
Der Bayerische Rundfunk schickte da gerade ein Ermittlerteam durch die Landkreise. „Wir wollten aber keinen innerösterreichischen ,Tatort‘“, erzählt Lintschinger. „Mein Vorschlag war deshalb, wir machen in jedem Bundesland einen Krimi, mit den besten Kreativen und auf Kinofilm-Niveau, in Sprache und Mentalität so regional wie möglich und deshalb ohne Koproduktionspartner.“

Lintschinger und Heinrich Mis (re.) sind die Geburtsväter der „Landkrimis", zu denen Josef Hader (Mi.) „Der Tote am Teich" und "Der Tote am See" beisteuerte
Das Ergebnis von Kreatitivtät, Mut und (damaliger) ORF-Finanzkraft: 42 „Landkrimis“ – der Reihen-Titel geht auf Mis zurück - wurden inzwischen produziert, 37 gesendet, alle mit Top-Quoten, viele wurden ausgezeichnet. Und: Die „Steirer-Krimis“, von Wolfgang und Maria Murnberger umgesetzt, sind inzwischen eine ARD-Reihe. Das ZDF ist immer wieder „Landkrimi“-Partner wie auch Arte - zuletzt bei Karl Markovics‘ preisgekrönter Folge „Das Schweigen der Esel“.
Erfolg in Frankreich mit Stipsits-Krimi
Der französisch-deutsche Kultursender ist auch beim jüngsten, von Lintschinger für den ORF verantworteten Coup engagiert: die „Stinatz-Krimis“ von und mit Thomas Stipsits. Wie in Österreich hat in Frankreich eine Million Menschen die Tivoli-Film-Produktion „Kopftuchmafia“ gesehen. „Die tote Braut“, wie der Film in Frankreich hieß, ist durch „die sehr gute Synchronisation ein ganz neuer, allgemein gültiger und ebenfalls empfehlenswerter Film geworden“, sagt Lintschinger
Regionalität steht auch hinter dem Konzept des ORF bei der „Stadtkomödie“. Auch wenn die Marke ruht, gibt es weiter Nachschub: „Heribert“ von Andreas Schmied wird im Frühjahr ausgestrahlt. „Komödie ist das schwierigste Genre“, erklärt Lintschinger. Sie seien beim Publikum erfolgreich, wenn auch nicht in Landkrimi-Dimensionen. „Natürlich ist Fiktion teuer und der ORF braucht Geld, um sein Angebot finanzieren zu können. Aber das hält auch in den Wiederholungen den Wert, was etwa bei Fußball schwierig ist.“
Lintschinger, der über internationale Serien dissertierte, gehört zu den wenigen Österreichern, die sich den Traum vom US-Filmbusiness erfüllen konnten. Die Ablehnung einer Sitcom-Idee namens „Das Ministerium“ durch den ORF, wo er eigentlich im Hörfunk arbeitete, war Mitte der 1980er eine Triebfeder, es in Los Angeles zu versuchen.
Harte Jahre in den USA
„Überraschenderweise hat dort keiner auf mich gewartet“, erzählt er schmunzelnd. Mit Beharrlichkeit, Ideen und Drehbuchschreiben kam er Ende der 1980er dem Ziel näher. „So ist das in den USA - wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort und vorbereitet ist, ist man, wie in meinem Fall, plötzlich Produzent.“ Spuren hinterlassen hat er als Newcomer u. a. mit dem Kinofilm „Mindwalk“ mit Liv Ullmann und Sam Waterson.
Eine Garantie für weitere Jobs war das aber nicht. „Das ist dort ein ewiges Auf und Ab. Sydney Pollack hat mir mal erklärt, wenn ein Film schiefgeht, wechseln alle so lang die Straßenseite, bis man wieder einen Erfolg landet.“ Eine besondere Eigenart von Hollywood hat er bei einem seiner „Drehbuchlehrer“ William Kelley miterlebt. Der hatte „Witness“ („Der einzige Zeuge“) geschrieben, einen Oscar bekommen und viel Geld für weitere Drehbücher – die nicht verfilmt wurden. Darunter auch eines mit Lintschinger. Der meint: „Hollywood ist der einzige Ort der Welt, wo du zu Tode gelobt werden kannst.“
Mit seiner internationalen Erfahrung war der Kapfenberger ab seiner Rückkehr Mitte der 1990er Jahre für den ORF auch bei internationalen Event-Produktionen im Einsatz: z. B. Xaver Schwarzenbergers „Sisi“, Robert Dornhelms „Maria Theresia“ oder auch Andreas Prochaskas „Sarajevo“.
Und vor wenigen Wochen hatte die letzte Folge der österreichisch-deutsch-britischen Krimi-Serie „Vienna Blood“ im ORF Premiere. „Das ist eine Produktion, die tatsächlich um die Welt ging“, sagt Lintschinger, der sich erinnert: „Bei einem Besuch in L. A. habe ich im Hotel den Fernseher eingeschaltet – da lief ,Vienna Blood‘ auf PBS. Das ist schon ein besonderes Erlebnis, das Ergebnis meiner Arbeit so zu sehen.“
Turbulenzen um Fördersystem und der ORF als Konstante
Für Unruhe gesorgt hat zuletzt, weil das neue Fördersystem durch die politischen Turbulenzen ins Trudeln gekommen ist. Das hat nicht nur internationale Produktionen betroffen, sondern auch heimisches Kinoschaffen. Eine Konstante ist da der ORF, der - über das Film-Fernsehabkommen und darin auch von Lintschinger vertreten - jährlich 8 Millionen. „Das ist insgesamt eine Erfolgsgeschichte. Das brachte Oscar und Oscar-Nominierungen, Césars und alle Filmpreise dieser Welt. Auch im Fernsehprogramm ist es eine wichtige Größe.“ Publikumshit war 2024 „Griechenland“ (am Dienstag wieder in ORF2). Auch Arthouse-Filme wie „Eismayr“ erreichten so ein breites Publikum.
„Das ist ja auch eine Rolle des ORF, wofür er seine Beiträge verwendet, nämlich Talente erkennen und fördern“, verweist Lintschinger auf Karrieren im ORF-Umfeld. Etwa jene von Marie Kreutzer („Corsage“), die auch „Landkrimis“ macht oder Johanna Moder, mit „Mother’s Baby“ in Berlin im Wettbewerb, die auch „School of Champions“ umsetzt usw. „Kein Medienkonzern der Welt, kein Amazon, kein Netflix ist jemals so wie der ORF interessiert an österreichischem Programm von österreichischen Machern für ein österreichisches Publikum. Wir brauchen diese Talente.“

Der (Co-)Autor und der Regisseur: Robert Dornhelm inszenierte Lintschingers „Kronprinz Rudolf" mit Max von Thun, Omar Sharif und Christian Clavier
Zu denen gehört auch Lintschinger selbst. „Kronprinz Rudolf“, bei dem er Co-Autor war, wurde 2005 mit Max von Thun, Klaus Maria Brandauer und Omar Sharif umgesetzt. Nicht hingegen ein fertig geschriebener Mehrteiler über die Türkenbelagerung. „Da ist die RAI, zu Berlusconis Zeit als Regierungschef, aus der Koproduktion ausgestiegen - und plötzlich gab es eine italienisch-polnische Koproduktion über die Türkenbelagerung. Ich kenne also dieses Gefühl der Niederlage nicht nur von Redakteursseite.“
Trotzdem überlegt er, nun verstärkt als Kreativer aktiv zu werden. „Das Schreiben gehört so zu meinem Leben und es gibt ein paar Projekte, die habe ich seit Jahren zurückgestellt.“ Er weiß aber auch: „Erfolg ist nicht planbar. Kein Mensch, kein Algorithmus und, ich wage zu behaupten, auch keine künstliche Intelligenz der Zukunft, wird vorhersagen können, was beim Publikum funktioniert. Und das finde ich gut so.“
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