15 Jahre später hatte er als Manager soviel Geld beisammen, dass er eine bankrotte Textilfirma übernahm: Giordano. Er baute sie zu einer internationalen Kette aus und durfte sich fortan Tycoon nennen.
Hongkong, das bis 1997 noch britisches Territorium war, stellte das perfekte Umfeld für Selfmade-Unternehmer wie Lai dar. Der schlummernde Riese China war damals noch ein vergleichsweise weit entfernter Nachbar, dessen Aufstieg zur globalen Superpower noch ein paar Jahrzehnte dauern sollte.
Das Massaker von Tiananmen
Dann kam Tiananmen. Im Jahr 1989 schlug das chinesische Militär gewaltsam Proteste der Bevölkerung nieder. Die demokratische Revolution nach dem Vorbild anderer kommunistischer Staaten endete blutig. Noch heute ist das Massaker ein Thema, das die chinesische Staatsdoktrin nicht anerkennt.
Die Uhr tickt
Der gebürtige Chinese Lai protestierte öffentlich gegen die Gewaltakte des Regimes. Die Folge: Er musste sein Textilunternehmen verkaufen. „Ich hatte fünf Tage Zeit, um den Firmenwert nicht zu in Gefahr zu bringen“, erklärte er im Vorjahr in einem Talk mit dem Hoover Institut. Lai war aus der Textilindustrie draußen, saß aber auf einem beträchtlichen Vermögen in einer Stadt, deren Uhr tickte: Ab 1997 würde Hongkong an China zurückgehen. Was dann?
Die Geburt des Verlegers
Lai, der sich selbst als „rebellische Natur“ sieht, wechselte dorthin, wo es für Diktaturen am Ungemütlichsten wird: Er vertiefte sein verlegerisches Interesse. 1990 hatte er das knallige Next Magazine. Darin nannte er den chinesischen Premier Li Peng „den Sohn eines Schildkröteneis“ - ein beispielloser Affront.
Angebissen: Apple Daily
1995 folgte die prodemokratische Boulevardzeitung Apple Daily. Das freche Logo: Ein angebissener roter Apfel. Er nutzte die Plattform für Kritik an Peking und dafür, Demokratie für Hongkong einzufordern. Die Zeitung war angelegt als Massenblatt und eroberte sich binnen kürzester Zeit den zweiten Platz in Hongkongs Lesergunst.
Demokratie an der Seite Pekings?
Demokratie für Hongkong einfordern? Wozu? Schließlich hatte sich China 1997 vertraglich dazu verpflichtet, die Freiheiten der Millionenstadt ein halbes Jahrhundert lang unangetastet zu lassen. Apple Daily zeigte sich zunächst optimistisch, nur um festzustellen, welch unzuverlässiger Partner China ist. Nur 23 Jahre lang dauerte es, bis der chinesische Staat zuschlug: Im Juni 2020 verabschiedete Peking das neue Hongkonger Sicherheitsgesetz. Es zielt auf die prodemokratische Opposition und richtet sich gegen Aktivitäten, die Peking als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht.
Gewaltsame Proteste
Dies war eine Folge der teils gewaltsamen Proteste der Demokratiebewegung in Hongkong, die im Frühjahr 2019 begannen. Die Polizei ging dagegen in aller Härte vor. Auch Lai, mittlerweile über 70, marschierte mit und wurde mit Tränengas beschossen. Sein gekrümmter Rücken zierte das Cover des Time Magazine. Er ist der Mann mit Rucksack und weißem Hemd rechts hinten im Bild.
Jimmy Lai wurde zu einem Jahr Haft verurteilt. Der Milliardär wurde außerdem de facto enteignet: Großbanken wie HSBC und Citibank bekamen Post von Hongkongs Sicherheitsbehörden, in denen darauf hingewiesen wurde, wie hoch der Strafrahmen für Geschäfte mit dem rebellischen Milliardär sind: Bis zu sieben Jahre Gefängnis. Lai darf keine Interviews geben, sich nicht auf Social Media äußern und keine Vertreter fremder Staaten treffen.
In seinem letzten BBC-Interview vor der Verurteilung zeigte er sich unbeugsam: "Wenn sie dir Angst einflößen können, ist das die einfachste Art, dich zu kontrollieren. Es ist auch die effektivste Methode und das wissen sie. Der einzige Weg, der Einschüchterung zu begegnen ist, der Angst in die Augen zu schauen."
Seine Zeitung publizierte weiter.
Im Juni ließ die von Peking unterstützte Regierung Hongkongs eine zweite große Razzia bei Apple Daily durchführen. Das Ende der Zeitung war besiegelt. Zahlreiche Manager wurden verhaftet und die Assets von Medienunternehmen und Lai selbst eingefroren.
Was bleibt
Chinas Partner wissen nun, was sie von Versprechen in punkto Demokratie zu halten haben: Hongkong sollte eigentlich nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" eigenständig regiert werden. Auch wurde den sieben Millionen Hongkongern 1997 zugesagt, über 50 Jahre noch bis 2047 "ein hohes Maß an Autonomie" und viele politische Freiheiten genießen zu können. Seit dem Erlass des Sicherheitsgesetzes reden viele aber nur noch von "Ein Land, ein System".
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