Die folgenschwere Mischung aus politischer Propaganda und Reichweite, mit der Fox News in den USA die Trumpisierung der Gesellschaft vorantreibt, ist in Europa noch unerreicht. Aber längst ordnet sich das Fernsehen auch hier entlang frischer gesellschaftspolitischer Bruchlinien neu: Es wird, willig oder nicht, zu einem weiteren Schlachtfeld im Kulturkampf, der die Gesellschaft erfasst hat.
Den plötzlich schwappen ins Fernsehen Fragen über, über die die Gesellschaft dezidiert uneins ist. Wo ist die Grenze zwischen Corona-Kritik und Verschwörungstheorie? Was denkt jene „Mitte“, die noch programmgebundenes Fernsehen konsumiert, heute? Und wo liegt diese Mitte überhaupt?
Diese und weitere aktuelle Fragen zu beantworten, ist eine vor allem für die Öffentlich-Rechtlichen heikle Aufgabe.
Einladungspolitik
Einst war dort gerade der Sonntagabend der sedierenden Routine gewidmet – man konnte beim „Tatort“ oder bei Rosamunde Pilcher für die Arbeitswoche vorschlafen. Der vergangene Sonntagabend zeigte nun aber, wie sehr sich das geändert hat.
Bei „Im Zentrum“ im ORF war Impfpflicht-Debatte angesagt, allein schon das ein alles andere als unkontroversielles Thema. Und es war mit Madeleine Petrovic jemand dabei, der wegen aktueller Aussagen bei den Coronamaßnahmen-Demos (Regierung „von Bill Gates bezahlt“) gerade scharf im Wind der Kritik steht.
DieAufregung war entsprechend – und die Frage der ORF-Einladungspolitik wurde gleich sehr laut neu gestellt.
Zeitgleich fuhr Servus TV einen Teil seiner Ernte ein: Der Sender sucht keine Mitte, sondern bedient in seinen Info-Sendungen zunehmend jene Menschen, die Aussagen wie jenen von Petrovic mehr glauben als der Rest der Gesellschaft. Das beschäftigt die Medienbehörde – und hat dem Sender über die Landesgrenzen hinaus ein entsprechendes Image verschafft.
Nun fand wohl auch deswegen ein prominenter Gast seinen Weg ins Servus-Studio: Julian Reichelt, wegen Machtmissbrauchsvorwürfen geschasster ehemaliger Chef der deutschen Bild-Zeitung, hatte beim einst kleinen Mateschitz-Sender seinen ersten großen TV-Auftritt nach dem Jobverlust. Und verkündete dort seine Pläne – die perfekt ins Servus-Umfeld passen würden: Er will eine neue Plattform gründen, die „Journalismus macht, wie er sein sollte, der nach den Fakten sucht und sagt, was ist“. Das sei nämlich eine Marktlücke.
Dass dem nicht so sei, ist dank Polarisierung eine weitverbreitete Meinung: Denn viele tolerieren nur mehr die eigene Sicht auf die Fakten – und fühlen sich von einem neutral berichtenden Öffentlich-Rechtlichen nicht abgeholt. Das verstärkt die Entzweiung von den Sendern – und kann schnell ein Problem werden: Die BBC etwa hat sich während der Brexit-Debatte viel böses Blut abgeholt. Nun will der unter Druck geratene Boris Johnson ihr die Gebühren streichen, ein ganz schlechtes Signal für die ausgewogenen Medien.
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