„Ich denke, Facebook hat ein Problem“

EU-Justizkommissarin Vera Jourova sieht keine unfairen Nachteile für kleine Unternehmen durch die DSGVO.
EU-Justizkommissarin Vera Jourova verteidigt die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und sieht Vorteile für die Bürger.

KURIER: In einem Interview mit der deutschen Zeitung „Die Zeit“ haben Sie gesagt: Wer sich bei der DSGVO nicht auskennt, soll Ihnen eine E-Mail schicken. Wie viele E-Mails haben Sie bekommen? Vera Jourova: Mehr als 500! Ich habe die Kollegen aus meinem Team gebeten, den Leuten zu antworten und ihnen einfache Erklärungen zu geben. Das verstehe ich darunter, dass Europa näher an den Bürgern dran sein soll.

Sie haben die DSGVO mitgestaltet. Sind Sie zufrieden?

Ich werde zufrieden sein, wenn wir sehen, dass die DSGVO positive Resultate für die Bürger bringt und wenn wir sehen, dass sie keine zu große Belastung für Unternehmen und Institutionen darstellt.

Für große Unternehmen mit eigenen Rechts- und IT-Abteilungen ist es einfacher, die DSGVO umzusetzen, als für kleine. Sind die nicht im Nachteil?

Mir ist durchaus bewusst, dass Unternehmen wie Facebook und Google eine ganze Armee an Anwälten und Datenschutzexperten zur Verfügung haben. Aber ich denke, jene Unternehmen, die mit unseren Daten Geld verdienen, sollten auch in die notwendigen Maßnahmen investieren, sei es rechtlich oder in Bezug auf Datenschutz.

Ist das nicht unfair gegenüber kleinen Unternehmen ohne diese Ressourcen?

Die Proportionalität der Kosten ist vielleicht nicht zum Vorteil für kleinere Unternehmen. Aber wir leben in einer Zeit, in der ja auch ein kleines Unternehmen Menschen einen großen Schaden zufügen können.

„Ich denke, Facebook  hat ein Problem“

EU-Justizkommissarin Vera Jourova im Gespräch mit KURIER-Redakteurin Nina Oberbucher.

Für die meisten bedeutet die DSGVO aber nicht mehr Datenschutz, sondern Nachteile. Zum Beispiel das lästige Bestätigen von Newsletter-Abos, die man bereits vor Jahren abgeschlossen hat.

An diesem Punkt kann ich den Leuten, die von diesen E-Mails genervt waren, nur sagen: Sehen Sie es als Möglichkeit, eine Inventur zu machen. Mit all den Seiten, die Ihre Daten haben, und überlegen Sie, ob Sie weiter in diesem System bleiben wollen.

Nach Bekanntwerden des Facebook-Skandals haben Sie dem Unternehmen einenoffenen Brief geschrieben und Mark Zuckerberg nach Brüssel eingeladen. Vergangene Woche war er dort und wurde befragt – was halten Sie eigentlich von seinen Antworten?

Zuerst habe ich ja die Antworten von Sheryl Sandberg bekommen, der Nummer zwei von Facebook. Dann haben wir noch einmal telefoniert. Ich habe sie etwa gefragt, wie viele andere Apps wie diese (wie jene, die für den Datenklau durch die Firma Cambridge Analytica verwendet wurde, Anm.) sie haben. Und sie hat mir eine ehrliche Antwort gegeben: „Ich weiß es nicht. Wir müssen sie finden und zählen.“ Facebook hat mitgeteilt, dass 200 dieser Apps gelöscht wurden. In der Zwischenzeit ist eine neue Geschichte bekannt geworden, dass Facebook mit den Herstellern von Endgeräten Daten ausgetauscht hat. Hier müssen wir erst beurteilen, in welchem Ausmaß Regeln verletzt wurden. Ich denke, Facebook hat ein Problem, aber es ist nicht das einzige schwarze Schaf.

Seit Zuckerbergs Besuch in Brüssel hat es einen neuen Skandal um Datenmissbrauch gegeben. Kann man dem Unternehmen überhaupt noch vertrauen?

Das muss jeder selbst entscheiden. Seit die DSGVO in Kraft getreten ist können wir höheres Vertrauen haben und wir haben bessere Möglichkeiten auf Entschädigung. Wenn sich jemand unwohl in einem System wie Facebook fühlt, kann er jetzt sagen: Gebt mir meine Daten zurück und löscht meine Spuren. Und dieser Faktor könnte das Vertrauen in die digitale Industrie steigern.

2019 wird unter anderem das Europäische Parlament gewählt. Haben wir da aus Ihrer Sicht auch Wählermanipulation zu befürchten, wie es in den USA der Fall war?

Der Cambridge-Analytica-Skandal hat uns gezeigt, dass Wählermanipulation über soziale Medien eine echte Gefahr darstellt. Die Anschuldigungen sind sehr ernst, wir müssen herausfinden, ob diese Praktiken auch Einfluss auf Wahlen oder Referenden in Europa hatte. In etwa drei Wochen werden wir durch die Untersuchung der zuständigen Behörde in Großbritannien darüber vermutlich mehr Klarheit haben. Wenn die Wahlen von nur einem Land im Risiko stehen, manipuliert zu werden, hat das Einfluss auf die ganze Union. Es hat auch Versuche der Wählermanipulation bei den Nationalratswahlen in Ihrem Land gegeben. Also ja, das ist ein großes Problem, vor allem in Hinblick auf die Europawahlen. Deshalb rufe ich alle Mitgliedsstaaten dazu auf, ihre Wahlen zu schützen. Wir brauchen mehr Transparenz für politische Werbung online und Regeln, die den modernen politischen Kampagnen des digitalen Zeitalters angemessen sind.

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