Hans Rauscher: "Keine Orientierung mehr von den Regierenden"
Hans Rauscher ist eine journalistische Institution. Zwei Jahrzehnte beobachtete und kommentierte er das Zeitgeschehen im KURIER. Von 1975 bis 1996 war er u. a. Kolumnist ("Ohrwaschl") Innenpolitikchef und Chefredakteur. Seit 1997 liefert er im Standard seine pointierten Kommentare. Am Mittwoch (11. Dezember) feiert der Wiener seinen 80. Geburtstag.
Im APA-Gespräch konstatiert er eine Umbruchzeit mit „unbehaglichen Erscheinungen einer Endzeit“. Für die zweite Amtszeit Trumps sagt er eine „Oligarchenherrschaft“ voraus, die „mit klassischem Journalismus nichts im Sinn“ habe. Obwohl die Lage „ziemlich beunruhigend“ sei, sieht er noch nicht das Ende des Qualitätsjournalismus gekommen. „Wenn die Informierten, denen nicht alles wurscht ist, aufhören, Dinge aufzuzeigen, dann erreichen wir den Kipppunkt“, sagt Rauscher. „Man muss gegen das Gefühl arbeiten, dass eh alles egal ist.“
Klar ist, dass er dies weiterhin vehement tun wird.
Seit fast sechs Jahrzehnten prägt er die österreichische Medienlandschaft mit: Hans Rauscher ist einer der renommiertesten Kolumnisten und Kommentatoren des Landes. Als Innenpolitik-Chef und Chefredakteur war er in den 1980ern und 1990ern in der Führungsmannschaft des "Kurier", seit 1997 sorgt er in der Tageszeitung "Der Standard" regelmäßig für pointierte und oft viel diskutierte Meinungselemente. Am Mittwoch (11. Dezember) feiert er seinen 80. Geburtstag.
Seine erste Geschichte schrieb der gebürtige Wiener, der als 17-Jähriger als Requisiteur und Komparse in Grillparzers "Weh dem, der lügt!" bei den Burgfestspielen Leopoldsberg unter Herwig Seeböck Theaterluft schnupperte, per Hand auf der Maturareise. Eine Reisereportage aus Istanbul, die er selbstbewusst der deutschen "praline" anbot ("Damals eine total biedere Frauenzeitschrift und noch nicht das spätere Pornoblatt", versichert Rauscher), wurde tatsächlich abgedruckt und brachte ihm 60 D-Mark ein. Er studierte Geschichte und Publizistik, zum Leidwesen seines Vaters ohne Abschluss ("Ich habe eine halbe Dissertation über den Revolverjournalisten Imre Bekessy zu Hause."). 1965 begann er als Freier Mitarbeiter bei der Zeitschrift "Der Österreichische Volkswirt". Als Oscar Bronner 1970 das Wirtschaftsmagazin "Trend" gründete, war Hans Rauscher von Anfang an mit an Bord.
Karriere als Kommentator
Im KURIER gewann seine Karriere rasch an Fahrt. Als auf der Titelseite ein intern "Ohrwaschel" genannter Kommentar-Kasten eingeführt wurde, rissen sich die prominenten Leitartikler aufgrund der Platzbeschränkung nicht gerade darum: Neuzugang Rauscher hatte das richtige Gespür für die Breitenwirkung dieses Platzes und griff zu. "Das war schon ein gewisser Sprung", erinnert er sich heute. Die nächsten blattinternen Sprünge machte er 1977 (Leitung des "Sonntagskurier"), 1980 (Leitung des Innenpolitik-Ressorts) und 1992 (Berufung zum Mitglied der Chefredaktion). Das Leserecho sei ein wichtiger Teil dessen, was den Reiz seines Berufes ausmache, sagt Rauscher. "Während der Waldheim-Zeit habe ich allerdings auch packlweise antisemitische Briefe bekommen."
Der regelmäßige Gastkommentator für profil und Wirtschaftswoche/Wochenpresse wechselte 1997 zum neu gegründeten Wochenmagazin Format und zur Tageszeitung Der Standard, wo er als "Rau" mit seinen "Einser-Kastln" und als Kolumnist mit seinen liberalen und antifaschistischen Positionen regelmäßig für erhöhtes Aufkommen von Postings und Leserbriefen sorgt. Zu seinen zahlreichen Büchern (darunter Biografien der Politiker Franz Vranitzky, Franz Fischler und Waltraud Klasnic) ist erst jüngst ein Neues hinzugekommen: "Worüber sich zu schreiben lohnt. Über die Demokratie: Erinnerungen, Gefahren und Hoffnungen." ist laut Verlag "ein scharfsinniges Resümee von 50 Jahren politischem Journalismus in Österreich".
"Wer zu spät kommt, den bestraft die Online-Welt."
Die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren ist, schöpft Rauscher aus der rechtzeitigen Transformation der Verbreitungsplattformen: "Wer sich technologisch anpasst, hat eine Chance. Wer zu spät kommt, den bestraft die Online-Welt."
Die Entwicklung des Standard mache ihm Hoffnung: "Ich habe mitverfolgt, wie wir von einem liberalen Nischen-Print-Blatt zu einem Power-Medium geworden sind, weil wir vor 30 Jahren massiv online gegangen. Ich selber habe mich da beteiligt, weil ich mit den Leserinnen und Lesern, die ihre Kommentare zu Hunderten oder Tausenden daruntersetzen, diskutiere. Wir haben online ein zusätzliches, viel breiteres Publikum gefunden: Wir haben derzeit pro Monat 3 Millionen unique clients."
"Explosion des Wahnsinns, der Blödheit und der Desinformation"
Ein "beträchtliches Online-Werbeaufkommen" zählt Rauscher zu den Pluspunkten dieser Entwicklung, die "Explosion des Wahnsinns, der Blödheit und auch der bewusst gesetzten Desinformation" in der Online-Welt zu den negativen Entwicklungen. Die Moderation der täglich 60-80.000 Postings in den Leserforen durch ein eigenes Team, aber auch eine Software verhindere das Schlimmste. Mit dem Rest setze er sich auseinander. "Ich lese meine Reaktionen und antworte auch - wofür die User relativ dankbar sind. Dabei traue ich mir zu, bei den Postings unter meinen Kommentaren die Russen-Bots und die Partei-Bots zu erkennen."
An das Aussterben des Print-Journalismus möchte Hans Rauscher nicht glauben. "Auch ich wache auf und greife zum Tablet, um mich zu informieren. Aber die langen Geschichten möchte ich schon noch im Print lesen." Wer online liest, hinterlässt auswertbare Spuren, die den Medienmachern Erkenntnisse ermöglichen. Etwa diese: "Es besteht offenbar ein ungeheurer Bedarf an Geschichten, die nicht reine Politik sind und nicht gleich die Katastrophe ausmalen. Du musst den Leuten auch etwas Gescheites, Unterhaltendes bieten. Am Wochenende sind zwei Geschichten online fantastisch gegangen: Eine Diskussion unter Leser:innen, ob man seine Gäste zwingen soll, die Schuhe auszuziehen, und eine Geschichte über die unbekannten Schätze, die man in Notre Dame gefunden hat."
"Wir müssen ein neues Narrativ finden"
Das heiße nicht, dass man nun auf reine "good news" umstellen müsse, "aber wir müssen uns die Präsentationsweise überlegen. Wir müssen ein neues Narrativ finden, es herunterbrechen auf die Folgen für die Leute. Ich stimme dem Medienwissenschafter Bernhard Pörksen zu, der sagt: Die Aussage, dass die Demokratie durch den neuen Faschismus gefährdet ist, ist zu abstrakt. Man muss konkreter werden."
Warum sich aber etwa die konkreten Erfahrungen der bisherigen Regierungsbeteiligungen der FPÖ nicht mehr in der Erinnerung der Menschen eingeprägt haben, dafür hat der politische Beobachter "keine plausible Erklärung außer der: Die anderen Parteien sind in den vergangenen Jahren so schwach gewesen, dass sehr viele die FPÖ aus einem Wut- und Protestreflex wählen. Man bekommt keine Orientierung mehr von den Regierenden." So habe etwa die immer inkonsistenter gewordene Corona-Politik der Regierung beträchtlichen Unmut ausgelöst, der nachhalle. "Es ist zu wenig plausible Führung angeboten worden!"
"Kommunikation ist nicht alles!"
Das heutige Problem sei eine Politikergeneration, die nicht durch und existenzielle Bedrohungen geformt worden sei, sondern nur Wohlstand und Friede erlebt habe - und vor allem eines gelernt habe: Kommunikation ist alles! "Jeder hoffnungsvolle junge Politiker wird in einen Kommunikationskurs geschickt. Man sollte ihn aber auch in einen Geschichtskurs schicken, und in einen Ökonomie-Kurs. Denn Kommunikation ist nicht alles!"
Heute sind die Kommunikationsabteilungen von Ministerien und Parteien größer als die meisten innenpolitischen Redaktionen - und Geld wird weiterhin mehr durch Inserate als durch Qualitätsmedienförderung verteilt. Daran werde sich wohl auch so schnell nichts ändern, glaubt Hans Rauscher: "Das Wichtigste wäre schon, wenn sie darauf verzichten würden, die Nicht-Qualität zu fördern!" Dabei wäre Qualität bei den Handelnden wie bei ihren kritischen Begleitern gefragter denn je: "Wir sind wieder in einer Zeit existenzieller Bedrohung. Die ganze politische Klasse muss das begreifen - auch die Medien. Wir müssen uns darauf einstellen."
"Du musst Einordnung geben!"
Ist Meinungsjournalismus, wie ihn Hans Rauscher praktiziert, überhaupt noch gefragt? "Entscheidend ist das Gesamtkunstwerk des Journalismus: Was wird für wichtig erachtet? Aber neben dem Gatekeeper-Journalismus ist auch der Erklär- und Kommentier-Journalismus unerlässlich. Du musst Einordnung geben! Das verliert natürlich bis zu einem gewissen Grad durch die Explosion der Sozialen Medien seine frühere Stellung. Der einordnende Journalismus hat aber nach wie vor seine Funktion - er muss nur besserer, mutiger und entschiedener werden! Die Leute wollen Wegweiser. Aber wir sind nicht mehr die einzigen Wegweiser. Darüber müssen wir uns im Klaren sein."
Und jene, die mit Hans Rauscher nicht einer Meinung sind, müssen sich darüber im Klaren sein, dass er sich auch nach seinem 80. Geburtstag nicht ins Privatleben zurückziehen wird. Gelegentlich bekomme er von Leserinnen und Lesern, die mit seinen Kommentaren nicht einverstanden sind, inmitten von Ausfälligkeiten die Frage gestellt: Wann gehen Sie endlich in Pension? "Ich schreib' dann immer zurück: Wenn Sie erwachsen geworden sind!"
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
Kommentare