"Elon Musk und Co. sind drauf und dran, die Demokratie zu zerstören"

Martin Andree ist ein gefragter Wissenschaftler: Wenn Medienmacher über digitale Risiken debattieren, fällt meist sein Name, auch in Österreich. Der deutsche Medienexperte lehrt an der Uni Köln und ist selbst Gründer. In seinen Texten und Vorträgen beschäftigt sich der 54-Jährige mit Tech-Monopolen und der Ideologie, die ihre Eigentümer in die Welt tragen. In seinem aktuellen Buch, "Krieg der Medien", schreibt er düster von "Dark Tech" und warnt davor, dass Elon Musk und Co. drauf und dran seien, die Demokratie zu zerstören - und zwar mit voller Absicht.
KURIER: Sie nennen Plattformen wie Google, Facebook oder X.com "Dark-Tech". Klingt düster. Wie wirken sich diese auf unsere Gesellschaft aus?
Martin Andree: Facebook, YouTube, Instagram und Google errichten aktiv Medienmonopole in der digitalen Welt. Damit besetzen sie das Forum des gesellschaftlichen Diskurses. Und: Sie verfolgen eine Agenda, in der sie aktiv die Souveränität demokratischer Staaten abbauen und zerstören.
Dieser These könnte man entgegenhalten, dass die Plattformen in Konkurrenz zueinanderstehen: Sie alle raufen um die Aufmerksamkeit der Menschen, um ihnen Werbung auszuspielen. Wie kann daraus eine gemeinsame Agenda entstehen?
Google kontrolliert ungefähr 90 Prozent des Suchmaschinen-Marktes. Dasselbe Unternehmen kontrolliert 78 Prozent des Gratis-Video-Marktes via YouTube. Bei Social Media gehören 85 Prozent dem Unternehmen Meta. Bei politischen Inhalten ist X sehr stark. Daran merkt man, dass sie sich den Markt aufgeteilt haben.
Wir haben in Österreich jüngst erlebt, wie Robert Kratky, der wichtigste Moderator des größten Radiosenders des Landes, Ö3, seinen Job mit sofortiger Wirkung niedergelegt hat. Davor war monatelang online konzertierter Hass über sein Gehalt auf ihn eingeprasselt. Müssen wir uns an solche Zustände gewöhnen?
Wir haben eine Situation, wo jeder Verdacht aufgegriffen und unendlich verstärkt wird. Das wird auf das Narrativ zurückgestrahlt, dass wir grundsätzlich korrupte redaktionelle Medien hätten. Ich kann gut verstehen, dass da immer mehr Leute aussteigen oder aufgeben. Das ist auch bei Politikern der Fall. Eine meiner Hauptthesen ist, dass der gemeinsame Gegner dieser neuen Koalition aus Plattformen und libertären Populisten sowohl die "Altmedien" als auch die "Altparteien" sind - so lauten Kampfbegriffe aus der rechten Szene.
EU-Kommissar Thierry Breton hat Elon Musk vergangenen Sommer einen Brief im Namen der EU-Kommission geschickt, in dem er ihn vor den rechtlichen Folgen von Desinformation, von Verbreitung von Hass etc. warnt. Musk konterte mit einem Meme, in dem grobe sexuell konnotierte Schimpfworte fielen. Danach war das Thema beendet. Kein Zeichen von Stärke.
Grundsätzlich brauchen Gerichte oft Monate oder Jahre, um festzustellen, ob bestimmte Botschaften, die im Netz geteilt wurden, strafbar sind. Generell gilt aber, dass die Digitalgesetzgebung der EU eine Schönwetter-Gesetzgebung ist. Und hier zeigt sich auch wieder, dass es wahrscheinlich nicht klug ist, dabei keine klare Haftungsfrage definiert zu haben: Wer zulässt, dass schädliche Inhalte auf seinen Plattformen publiziert und zu Geld gemacht werden, muss dafür auch geradestehen.
In "Krieg der Medien" beschreibt der Medienwissenschafter und Digitalunternehmer Martin Andree, wie amerikanische Tech-Giganten Monopole bilden, die darauf abzielen, politische Prozesse an sich zu ziehen und die Demokratie und freie Marktschaft auszuhöhlen.
Martin Andree: "Krieg der Medien - Dark Tech und Populisten übernehmen die Macht", 256 Seiten, Campus Verlag, ISBN 9783593520988
Der europäische Markt ist groß und kaufkräftig ist. Elon Musks X.com etwa hat ein Drittel seiner User auf dem europäischen Kontinent. Plattformen wie seine können ja gar nicht darauf verzichten. Warum ist das kein stärkerer Hebel?
Natürlich ist das unter den aktuellen Bedingungen viel schwerer, wo wir noch die massiven anderen Abhängigkeiten von den USA sehen. Aber prinzipiell glaube ich schon, dass wir als Europa durchaus das Gewicht hätten, hier klare Kante zu zeigen. Mit dem Gewicht der EU könnte man sich durchaus Schritt für Schritt trauen, den Tech-Konzernen zu sagen: "Das sind halt die Regeln. Und wenn euch das nicht gefällt: Go back to the USA."
JD Vance hat bei seinem ersten Besuch in Europa als Vizepräsident angekündigt, die USA würden die NATO verlassen, wenn Europa die Tech-Konzerne in irgendeiner Form reguliert. Er warf den Europäern Zensur vor. Sind wir zu streng?
Im Gegenteil: Wenn Sie eine totale Verrohung des Diskurses zulassen, wie es tendenziell in den USA der Fall ist, dann führt es dazu, dass sich immer größere Teile der Bevölkerung vom politischen Diskurs verabschieden, weil sie Angst vor den Reaktionen haben, die sie im Netz bekommen. Das sind je nach Studie zwischen 20 bis zu 50 Prozent der Bevölkerung. Man nennt das "Silencing" – und es ist das genaue Gegenteil von Meinungsfreiheit.
Warum profitieren vor allem Rechtspopulisten so sehr von diesen Plattformen? Wenn es nur um Aggressivität ginge, blieben linke und rechte Extremisten einander wenig schuldig.
Grundsätzlich sind die Plattformen und ihre Algorithmen eine Black Box. Ich würde behaupten, dass auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums polarisierende Inhalte sichtbar sind. Man könnte aber noch ergänzen, dass es kein Wunder ist, dass die rechtslibertären Auffassungen der Plattform-Eigner ein gutes Biotop für rechtslibertäre Inhalte schaffen.
Die westlichen Eliten haben Donald Trump als dumm und primitiv abgekanzelt. An allen Vorurteilen vorbei ist ihm etwas gelungen, was keiner schaffte: Er ist erfolgreicher politischer Influencer, gilt als Meme und besitzt sogar eigene Plattform namens Truth Social. Muss Politik heutzutage so vermarktet werden?
Wir sehen es in Deutschland sehr klar am Beispiel Markus Söder, dem bayrischen Ministerpräsidenten. Er postet Fotos davon, wenn er Fastfood, Würstchen und dergleichen isst. Das ist gewollt trashig und kommt in dieser Meme-Kultur super rüber. Daran erkennen wir aber auch, was unter den Bedingungen der Plattform mit den politischen Inhalten passiert: Politiker tanzen wie Marionetten zum Taktstock der Algorithmen.

Food-Influencer: Markus Söder posierte auch mit Christian Stocker am Würstelstand in Wien.
Elon Musk scheint mehr Zeit mit X-Postings zu verbringen als in seinen Firmen. Er gilt als reichster Mensch der Welt. Das legt nahe, dass auch Manager mittlerweile Influencer sein müssen, oder?
Ich denke ja. Zumal es ja auch so ist, dass wir sehen, dass die Plattformen Personen stärker belohnen als Institutionen oder Unternehmen. Und deswegen haben wir auch mittlerweile diese sehr starken Front-Faces von Firmen, die mit unterschiedlichem Erfolg genau das probieren.
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