„Ein Appell an den gesunden Menschenverstand“

Physiker, Astronom und Naturphilosoph Harald Lesch (li.) und Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens zeigen, was Wissenschaft ausmacht – und gehen Verschwörungstheorien auf den Grund
"Terra X" analysiert in "Ein Fall für Lesch & Steffens" (Sonntag, 19.30, ZDF) Verschwörungstheorien und testet sie in Experimenten ab

„Alternative Fakten“ haben Konjunktur. In der „Terra X“-Ausgabe „Ein Fall für Lesch & Steffens: Die Wahrheit über die Lüge“ (19.30, ZDF) gehen Physiker, Astronom und Naturphilosoph Harald Lesch und Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens Verschwörungstheorien und damit der Frage nach, warum die Wissenschaft auf der Strecke zu bleiben droht.

Herr Lesch, Sie haben sich für diese Sendung ein Thema ausgesucht, von dem Sie wissen müssen, dass Sie nach der Sendung keine Ruhe haben werden. Warum tun Sie sich das an?

(lacht)  … weil es ein wichtiges Thema ist, deshalb. Dirk Steffens und ich sind Verschwörungstheorien schon vor längerer Zeit angegangen. Erst heuer hat es geklappt, das als Sendung umzusetzen, und es ist jetzt aktueller denn je. Ich will nicht unsere Rolle als Wissenschaftskommunikatoren überhöhen, aber das Fernsehen ist nun mal die Möglichkeit, eine große Zahl an Menschen zu erreichen und deshalb machen wir das.

Ihre Sendung widmet sich einem breiten Spektrum und das reicht von der Pest und den Tempelrittern bis zu Flacherdlern und Klimaleugnern.

Der „Terra X“-Sendeplatz (19.30) eignet sich bestens dafür, sich diesem Thema einmal kulturgeschichtlich zu nähern. Es ist ja äußerst spannend zu sehen, wie das mit Verschwörungstheorien schon in der Historie war und wie es jetzt ist und was sich an den Mechanismen dahinter verändert hat oder auch nicht. Im Kern geht es darum, wie eine Gesellschaft mit Wissenschaft und ihren Erkenntnissen umgeht. Für mich ist das auch als Wissenschaftler eine ganz wesentliche Frage und eine, die sich immer mehr zuspitzt. Befremdlich für mich ist ja dabei: Viel von dem, was Wissenschaft etwa in Form von Technologie bringt, nutzen wir alle, ohne groß darüber nachzudenken. Die Methodik dahinter, die zu diesen geführt hat, wird hingegen immer lauter abgelehnt.

Ab September 2008 präsentierte Professor Harald Lesch des ZDF-Magazin "Abenteuer Forschung". Ab 2014 ist die Wissenschaftsreihe nach der Person benannt, der die Zuschauer die Antworten auf ihre Fragen zutrauen: Aus "Abenteuer Forschung" wurde "Leschs Kosmos".

Harald Lesch ist Physiker, Astronom, Naturphilosoph und Autor. Er ist ein Forscher, der gern über seine Arbeit spricht - "und zwar auf Deutsch und ohne Fachausdrücke", wie er selbst sagt. Deshalb ist der vielfach preisgekrönte Wissenschaftler nicht nur beim ZDF und in der Reihe "Terra X" gefragt, sondern auch im Netz.

Seit 2016 gibt es seinen You Tube-Kanal "Terra X Lesch & Co", wo er wöchentlich Spannendes aus der Wissenschaft präsentiert und dort nimmt er auch aktuelle Diskussionen zu wissenschaftlichen Themen in seinen Fokus.

Wenn er nicht im Fernsehen ist, lehrt er an der Ludwig-Maximilian-Universität in München im Bereich Astronomie und Astrophysik und er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Philosophie.

Die Wissenschaft hat in einigen, wenn auch kleinen Teilen der Gesellschaft derzeit einen schweren Stand. Dort geht es oft mehr ums Glauben als ums Wissen. Gibt es vielleicht ein breiteres Missverständnis darüber, was Wissenschaft ist und wissenschaftlich bedeutet?

Wissenschaft ist im Grunde einfach. Es bedeutet, dass eine These überprüfbar sein muss. Es reicht also nicht aus, einfach eine Behauptung in den Raum stellen, sondern es muss Ergebnisse geben, die überprüfbar sind. Die schärfste Klinge dabei ist das Experiment. Deshalb machen wir in dieser Sendung mehrere Experimente, um diese Verschwörungstheorien überprüfen. Wir versuchen auch darzulegen, dass wissenschaftlich bedeutet, dass die Ergebnisse der Experimente unabhängig vom durchführenden Subjekt sein müssen – ob es nun an Gott glaubt oder nicht, Mann oder Frau, Kapitalist oder was auch immer ist, muss für das Ergebnis egal sein. Das werden wir, da bin ich ganz Pädagoge, so klar und widerspruchsfrei wie möglich darlegen. Und dann hoffen wir, dass wir möglichst viele von jenen erreichen, die an der Kante zu Verschwörungstheorien stehen. Jene, die die Realität schon verlassen haben, werden wir nicht mehr erreichen, jedenfalls nicht mit einer einzigen Sendung von „Terra X“.

Sie sind ja nicht nur im Fernsehen präsent, sondern sind auch auf Social-Media-Kanälen aktiv.

In einem YouTube-Video kann ich mich mit jeder einzelnen Verschwörungstheorie auseinandersetzen und sie zerlegen und das mache ich auch. Das geht bei „Terra X“ aufgrund der beschränkten Sendezeit nicht. Da muss das sehr pointiert geschehen. Es kann letztlich nur ein Appell an den gesunden Menschenverstand sein, genau diesen einzusetzen und nicht einfach zu glauben, was man  viral zugesendet bekommen hat, weil es jemand toll fand. Ob bei YouTube oder im Fernsehen, es geht stets um die Überprüfbarkeit - Meinungen, Hoffnungen und Visionen kann man irgendwann nicht mehr überprüfen und dann macht es auch keinen Sinn mehr, sich darüber zu streiten oder zu reden.  

An dem Punkt kommt dann der Vorwurf, die „Lügenpresse“ würde mit den jeweils Mächtigen Meinungen unterdrücken.

Der Begriff „Lügenpresse“ ist anmaßend. Jene, die ihn anwenden, geben damit vor, zu wissen, was die Wahrheit ist und das insbesondere gegenüber jenen, die dafür tagtäglich recherchieren. Wenn ich mir vor Augen führe, mit welch großem Aufwand gerade bei öffentlich-rechtlichen Sendern gearbeitet wird, um Fakten zu liefern - und dann kommt einer oder eine und sagt einfach: Nö, also, das glaub ich jetzt nicht. Absurderweise sollen sich dann die erklären, die die Fakten bereits geliefert haben. Ich meine, wer eine so scharfe Thesen aufstellt, sollte entsprechend harte Argumente haben. Der Dialog mit den Lieferanten von „alternativen Fakten“ wird da noch zu verständnisvoll geführt. Wenn sie satisfaktionsfähig mit den Wissenschaften sein wollen, dann müssen sich auch den Kriterien, was Wissenschaft ist, unterziehen. Das können sie nicht.

„Ein Appell an den gesunden Menschenverstand“

Harald Lesch lehrt an der Ludwig-Maximilian-Universität in München im Bereich Astronomie und Astrophysik und an der Hochschule für Philosophie

Bemerkenswert ist, dass es sich bei Anhängern von Verschwörungstheorien im Grunde keine Bildungsfrage stellt, auch keine von politisch links oder rechts. Man findet sich zu regelrechten Glaubensgemeinschaften zusammen, die Radikalisierung passiert zum Teil mit enormer Schnelligkeit. Wie ist das zu erklären?

Das ist ein relativ neues Phänomen und hängt damit zusammen, wo das passiert, nämlich im Internet, auf Social-Media-Kanälen. Verschwörungstheorien gab es früher auch schon. Die wurden zunächst herumerzählt. Später wurden Bücher geschrieben – man erinnert sich an die 1960-iger oder 1970-iger Jahre, als über das Bermuda-Dreieck, Ufos und ähnliches berichtet und esoterische Geschichten verbreitet wurden. Das Publikum blieb überschaubar. Das ist heute mit den sozialen oder besser asozialen Netzwerken anders. Wir haben heute eine viel, viel schnellere und effizientere Verbreitung von Unsinn. Heute ist man mit Social Media weltweit vernetzt, man kennt einander und darin liegt der eigentliche Verstärker. Es hat sich nicht die Menge an Menschen vergrößert, die Verschwörungstheorien glauben, sondern die Geschwindigkeit, wie sich die Nachrichten dazu verteilen. Und dann kommt eine völlig normale Reaktion: Wenn mein Freund, dem ich immer vertrauen kann, jetzt auch damit kommt, dann kann das nicht ganz falsch sein.

Die Blase verstärkt den – falschen – Eindruck?

Es werden Zweifel gesät, die durch immer wiederkehrende und immer mehr ähnliche Nachrichten bestärkt und schließlich stabilisiert werden – das ist ein wirkliches Problem von Social Media. Das machen wir in dieser auch Sendung transparent. Wir zeigen, was passiert, wenn man in solche Kreise eintritt: Zunächst gibt es das sogenannte „Love-Bombing“ - man wird verbal geradezu umarmt, endlich sei man bei den Guten, bei jenen, die die Weisheit mit dem großen Löffel gefressen haben. Aber wehe dem, der kritisiert oder auch nur ein Jota dessen, was da ausgetauscht wird, hinterfragt. Denn dann kommt „Hate-Bombing“ und das reicht bis hin zu Drohungen. Dieses Verhalten ist zu vergleichen mit radikalen Religionsgemeinschaften.

Haben Sie eine Idee, warum das so gekommen ist?

Ich bin Naturwissenschaftler und kein Psychologe und kann dazu deshalb nur spekulieren. Ich meine, durch die rein ökonomisch bestimmte Lebensweise werden bestimmte wesentliche Teile des Menschseins nicht mehr befriedigt. Sinnstiftend ist die Ökonomie sicher nicht, da braucht es anderes. Es wäre wohl sinnvoller, wir würden mehr über Werte reden, wie wir zusammenleben wollen als über jene in Wachstumstabellen der Ökonomie.

Man könnte auch darüber reden, wie sich das Klima entwickelt und was gegen die Erderwärmung zu tun ist - ein nicht minder wichtiges Thema fürs Überleben der Menschheit und ein Spezialgebiet von Ihnen.

Was das Klima betrifft, werden wir in der Sendung ebenfalls mit Experimenten dazu arbeiten, wie weit CO₂ zur Erwärmung beiträgt. In diesem Zusammenhang ist zunächst aber auch spannend, wie lange es eigentlich gebraucht hat, bis die wegweisenden Erkenntnisse der Wissenschaft zum Thema Klima-Erwärmung in der Politik und bei Entscheidungsträgern angekommen sind. Daran sieht man, wie lange und nachhaltig zweckorientierte Lobbyverbände zuvor schon gearbeitet haben. Dieser Aspekt wird ja immer wieder in wachen Momenten thematisiert, denken Sie einmal an WireCard oder an die Geschichten mit ComEX-Geschäften. Natürlich macht das Menschen fassungslos und man fragt sich, da muss es doch eine Aufsicht gegeben haben, die das längst hätten merken müssen. Das vermittelt zunächst den Eindruck von Parallelwelten. Aber früher oder mitunter auch später greifen in demokratischen Gesellschaften entsprechende Kontrollinstanzen. .

Muss man über Unsinn ernsthaft reden?

Im Kabarett vielleicht, aber sonst gilt: Unsinn bleibt Unsinn. Man soll sie demonstrieren lassen, das ist ihr gutes Recht. Aber diesen skrupellosen Theorien muss man nicht noch mehr Platz geben, weil es für Quoten und Klicks gut ist. Es würde ja keiner darüber berichten, wenn sich 500 Menschen auf einen Platz stellen und schreien, die Sonne geht im Westen auf...   

 

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