Trotz Etappensieg: Die „Wiener Zeitung“ wackelt weiter
Das Kulturgut Tageszeitung hat in Wien-St. Marx eine besonders hohe Bedeutung: Dort ist die Redaktion der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt, die Wiener Zeitung, zu Hause. Ein 1703 gegründetes Qualitätsblatt in Republikseigentum, das zusätzlich die Funktion des offiziellen Amtsblatts erfüllt. Für Unternehmerinnen und Unternehmer, die Pflichtveröffentlichungen wie Firmengründungen oder Bilanzen dort publizieren, ist das ein lästiges Ärgernis, finanziert aber eine anerkannte und kompetente Redaktion.
Grüner Prozess
Diese droht nun endgültig wieder unter die Räder eines politischen Prozesses zu gelangen, der von grüner Seite gestartet wurde. Grundsätzlich hat sich die Regierung vorgenommen, die Pflichtveröffentlichungen auf moderne und digitale Beine zu stellen und neue Erlösmodelle für die Redaktion zu finden. Das lag coronabedingt auf dem To-do-Stapel für übermorgen. Anfang des Jahres rauschte eine EU-Richtlinie durchs grüne Justizministerium, die von heute auf morgen die Pflichtveröffentlichungen abgeschafft hätte.
60 Kündigungen drohten
Die Zeitung begann nervös zu werden. Zu Recht, wie sich zeigte. Anfang der Woche war plötzlich schon von 60 Kündigungen die Rede. Politisches Lobbying setzte ein und – siehe da: Das Justizministerium zog die Novelle zurück. Am Amtsblatt wird vorerst nicht gerüttelt. Man kann die EU-Richtlinie auch so umsetzen.
In der Wiener Zeitung freut man sich über den Etappensieg, blickt aber sorgenvoll in die Zukunft. Denn wenn das Amtsblatt digitalisiert wird, wie das die Regierung mittelfristig vorhat, steht die Redaktion erst recht vor dem Aus: Eine Querfinanzierung der Zeitungsredaktion durch eine neue digitale Plattform wäre nicht erlaubt.
Gedruckt aus Gründen der Rechtssicherheit
Wiener Zeitung-Chefredakteur Walter Hämmerle hofft auf eine Lösung, die sich am Europäischen Amtsblatt orientiert. Dieses wird nämlich aus Gründen der Rechtssicherheit auch gedruckt publiziert. Würden die Pflichtveröffentlichungen in Auszügen weiter gedruckt werden, hätte man die Möglichkeit, die Redaktion zu erhalten und auf moderne Beine zu stellen. „Die Digitalisierung des Amtsblatts ist richtig, auch die Redaktion arbeitet mit Hochdruck daran“, sagt Hämmerle. „Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Wiener Zeitung zumindest mittelfristig auch eine gedruckte Tageszeitung bleiben muss.“ Hierfür brauche es aber den Willen von Türkis und Grün: „Politik beginnt mit zwei Sätzen: ,Ich will ...‘ Oder: ,Ich will nicht ...‘“
Zahlreiche Prominente wie die Salzburger Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler wollen: Sie plädieren in einer PR-Kampagne für den Erhalt der Zeitung.
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