"Beschränkungen beim ORF-Digital-Angebot erforderlich"

Gerald Grünberger ist seit 15 Jahren Geschäftsführer des Verbandes Österreichischer Zeitungen
VÖZ-Geschäftsführer Grünberger über Wünsche des ORF an den Gesetzgeber, die medienpolitische Bilanz von Türkis-Grün und die ewige Reform der Presseförderung

Die neue Führung auf dem Küniglberg ist gekürt. Jetzt ruft wieder die Tiefebene der Medienpolitik. Ein Gespräch mit Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ).

KURIER: Die ORF-Wahlen sind geschlagen. Jetzt kehrt wieder die medienpolitische Realität zurück. Wie steht es um Gespräche des VÖZ mit dem ORF?

Gerald Grünberger: VÖZ und ORF haben sich immer wieder über medienpolitische Entwicklungen und Eckpfeiler der Gesetzgebung unterhalten. Der Medien-Standort Österreich steht seit einigen Jahren unter Druck, die gemeinsame Sorge um die Zukunft dieses Standortes verbindet uns. Richtig ist jedenfalls, dass es aktuell einige Wünsche des ORF an den Gesetzgeber gibt, und selbstverständlich haben wir unsere Sicht der Dinge, wenn es um die Zukunftssicherung geht.

Unter Hinweis auf internationale Giganten wird die „Lockerung der digitalen Fesseln“ des ORF gefordert, wie es im Konzept des desgnierten Generaldirektors, Roland Weißmann, heißt. Was dort folgt ist ein Forderungskatalog an den Gesetzgeber.

Der ist schon sehr umfassend. Da wird man sehr darauf Bedacht nehmen müssen, welche Maßnahmen wie ausgestaltet sind und wie sich diese gegebenenfalls auf den Markt der Nachrichtenportale auswirken. Denn hier herrscht ein direkter Wettbewerb zwischen dem ORF und den österreichischen Zeitungen und Magazinen. Der feine, aber nicht unbedeutende Unterschied sind aktuell 645 Millionen Euro an Programmentgelt-Einnahmen des ORF, die sich in naher Zukunft noch erhöhen werden, und seitens des ORF in diesem Wettbewerb eingesetzt werden. Deshalb sind auch weiterhin einige Beschränkungen beim Digitalangebot des ORF erforderlich. Eine zwingende Sendungsbegleitung ist hier etwa eine grundsätzliche Notwendigkeit. Denn der Kernzweck des ORF ist die Veranstaltung von Rundfunk und nicht die völlig losgelöste Bereitstellung einer Online-Zeitung.

Die Schlagworte im Konzept lauten etwa Online first und Online-only-Produktionen…

…es ist jedem einsichtig, dass es keinen Sinn macht, auf eine lineare Nachrichten-Sendung oder gedruckte Zeitung warten zu müssen, ehe man mit einer – hoffentlich überprüften - Information an die Öffentlichkeit geht. Digital first ist also unter gewissen Umständen vorstellbar, weil das Nachrichten- bzw. Informationsgeschäft heute unterschiedliche Funktionalitäten und Geschwindigkeiten hat. Andererseits – auch wenn in der digitalen Welt keine numerische Begrenzung von Kanälen besteht, wie es bei analogen Rundfunkfrequenzen der Fall war, würde ein unbegrenztes Bouquet an selbständigen, digitalen Angeboten des ORF eine starke Marktverzerrung bedeuten.

Kein Express-Dienst 

Weiters im Weißmann-Konzept genannt sind: Erhöhung der Bereitstellungsdauer von Beiträgen und Sendungen, Foren-Verbot kippen, Apps erlauben, Social Media-Aktivitäten ausweiten, stärkere Verschränkung der ORF-Medien und – Inhalte ermöglichen und schnellere Bewilligungsverfahren.

Bei der Bereitstellungsdauer haben wir schon öfters öffentlich signalisiert, dass wir uns dem nicht verschließen wollen. Die 7-Tage-Frist wurde vor zehn Jahren anlog zu den Regelungen am deutschen Markt, wo es inzwischen Änderungen gab, umgesetzt. Wie lange die Frist ausgedehnt werden soll, muss der ORF selbst vorschlagen, weil damit ja auch Kosten der Rechtefinanzierung verbunden sind. Das gesetzliche Foren-Verbot wird vom ORF – das muss man kritisch anmerken – durch das Angebot debatte.orf.at längst ausgehöhlt. Da stellt sich auch in Hinblick auf Hate Speech und Fake News die Frage, wieweit das überhaupt wünschenswert ist und es entsprechender Begleitmaßnahmen bedarf. Zu den Auftragsvorprüfungsverfahren ist zu sagen, dass es sich bei der KommAustria um eine unabhängige Behörde handelt, deren Fristenlauf sich nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahren orientiert. Einen Expressdienst auf ORF-Wunsch wird es wohl auf Grund der erforderlichen Rechtssicherheit nicht geben können.

Das Thema Social-Media wird vom ORF auch strategisch sehr hochgehängt. Man möchte da sehr gerne mitspielen.

Mag sein, allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob es die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, Verstärker für den Traffic und die Werbeumsätze der US-Giganten zu sein. Die Hoffnung auf diesen Plattformen junges Publikum zu erreichen, welches man gewissermaßen zu den eigenen Angeboten umleitet, ist nachvollziehbar aber nicht immer erkennbar. Eigenständige Angebote, die letztendlich nur die Attraktivität der großen Social Media-Plattformen stärken, machen keinen Sinn. Da ist beim Gesetzgeber Augenmaß gefragt.

Kernauftrag

Schon in der Vergangenheit waren orf.at, also die blaue Seite bzw. die Sport-Seite Streitpunkte. Nun gibt es dort verstärkt Bewegtbild, also eine direkte Aufwertung des Wortanteils auf den ORF-Seiten, ohne dass dieser geringer geworden wäre. Ist das für Sie noch relevant?

Das ist sehr wohl relevant. Kernauftrag des ORF ist die Veranstaltung von Rundfunk. Der ORF hat Ende der 1990er Jahre sehr geschickt mit der sogenannten blauen Seite eine digitale Zeitung ins Netz gestellt. Dank unbegrenzter Cross-Promotion-Möglichkeiten auf allen Kanälen ist man zur Nummer eins geworden. Wenn nun ein stärkerer Ausbau des Angebots orf.at in Richtung Video-Content stattfindet, so ist das grundsätzlich als Besinnung auf den Kernauftrag zu verstehen. Allein aus Gründen der Usability wird sich auch etwas an der textlichen Ausgestaltung ändern müssen. Dass die Top- Nachrichtenmeldungen für alle frei verfügbar sind, ist nachvollziehbar. Bestimmte Dienste oder Services sollten aber der Gebührenzahlerin, dem Gebührenzahler bzw. Haushaltsangehörigen zur Verfügung stehen, vor allem in Hinblick auf die geplante Schließung der sogenannten Streaming-Lücke. Das wäre nur logisch.

Bei der Online-Berichterstattung des ORF über die Bundesländer gibt es eine Meldungsobergrenze. Hat das etwas gebracht? Wäre das für orf.at oder sport.orf.at auch vorstellbar bzw. wünschenswert?

Ich will da den Verhandlungen oder einem möglichen Gesetzesentwurf nicht vorgreifen, denkbar ist in dem Zusammenhang einiges. Festhalten kann man, dass diese Maßnahme nach wie vor funktioniert, einen gewissen Lenkungseffekt erbracht hat, und die Wettbewerbssituation in den Bundesländern nicht negativ beeinflusst hat.

Verbandsbeschwerde

Am Laufen ist der Aufbau des ORF-Player, erste Module sind in Umsetzung, erste wurden aber auch schon wieder von der KommAustria kassiert. Funktioniert also die Regulierung?

Grundsätzlich ja, man könnte aber noch weitere Instrumente miteinbeziehen wie jenes der Verbandsbeschwerde. Das hieße, dass im Interesse von Marktteilnehmern auch Institutionen und Verbände bei der KommAustria aktiv werden könnten. Die Medienbehörde ist bekanntermaßen sehr schlank aufgestellt und dadurch in ihrer Arbeit auch auf Hinweise des Markts angewiesen, weil man sich sonst mit Stichproben bescheiden muss. Eine diesbezügliche Nachbesserung würde die Behörde auch im Sinne der Regulierungseffizienz stärken. Insgesamt macht die KommAustria eine sehr gute Arbeit, die von einem hohen Marktverständnis geprägt ist. Die Verzahnung mit der Wettbewerbsbehörde funktioniert ebenso.

Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde Türkis-Grün in die Regierungsverantwortung gewählt. Wie schaut die Bilanz im medienpolitischen Bereich aus VÖZ-Sicht aus?

Ein Gutteil dieser Zeit war von der Corona-Pandemie geprägt, und die ist ja leider nicht vorbei. Diesbezüglich kann man der Bundesregierung unterm Strich ein durchaus positives Zeugnis ausstellen. Die Maßnahmen vor allem in der ersten Phase, also beginnend mit März 2020 und in den Wochen danach, als es zu einem dramatischen Einbruch der Werbebuchungen gekommen war, haben gegriffen – die erhöhte Presseförderung, Einzel-Maßnahmen und Steuerstundungen, später die Reduktion der Mehrwertsteuer und nicht zuletzt die Kurzarbeit bis hin zu einer verstärkten Kampagnentätigkeit etwa zu Vorsichtsmaßnahmen und Impfungen. Im Vergleich zu anderen europäischen Märkten kann man festhalten: Dergleichen hat es anderswo in dieser Fokussierung nicht gegeben. Dadurch ist es vielen Medienunternehmen gelungen, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin zu beschäftigen, und damit den qualitativen Journalismus aufrecht zu erhalten. So wie einige andere Branchen auch, ist die Medienbranche halbwegs gut durch die Krise gekommen.

Nun könnte man doch neu Schwung holen? Vor kurzem und mit Verspätung gegenüber dem EU-Stichtag ging die Urheberrechtsnovelle in Begutachtung…

Da ist einiges liegen geblieben, das ist richtig, da wird man einen Zahn zulegen müssen – im besten Fall würde dies eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie bedeuten, ohne Gold-Plating.

Umsatzsteuer-Reduktion

Die kurzzeitige Senkung der Umsatzsteuer war eine Krisen-Maßnahme, aber die Krise ist ja nicht vorbei?

Die Corona-Pandemie ist eines, die strukturellen Herausforderungen bestehen ja seit längerem. Hinsichtlich der Umsatzsteuer würde das bedeuten, einen Blick auf andere europäische Länder vorzunehmen, in denen Zeitungen und Magazine mit lediglich fünf Prozent oder gar null Prozent belegt sind. Das ist ein Ansatz, mit dem man sehr einfach und elegant eine direkte Presseförderung gewähren könnte. Das Thema Reform der Presseförderung steht seit Jahren auf der Agenda und man findet dafür offenkundig kein Rezept, keine Regelung – trotz vieler Vorschläge des VÖZ. Eine Stärkung der Presseförderung durch diese Komponente wäre im Interesse der Medien- und Titelvielfalt, der Demokratiesicherung und einer Entkrampfung der Marktsituation. Die EU-Mehrwertsteuer-Richtlinie eröffnet diese Möglichkeit zwischenzeitlich.

Warum tun sich Regierungen und Regierungsparteien in Österreich mit Presseförderung so schwer? Print liefert neben der Nachrichten- und demokratie-politischen Komponente ja auch noch eine relevante Wertschöpfung von jenseits der Milliarde – Stand 2019 – ab.

Die aktuellen Regierungsparteien haben sich bei diesem Thema offenbar nicht verständigen können, weshalb es leider nicht Teil des Regierungsprogramms ist.

Die Diskussion darüber gibt es ja nicht erst seit jetzt, sondern schon seit mehr als zehn Jahren?

Das ist richtig, die Diskussion rund ums Geld führt immer zu Kontroversen – denen möchte man sich ungern aussetzen. Dabei sind die Zukunftsszenarien ja absehbar – der Werbemarkt entwickelt sich in Richtung große US-Plattformen, die Vertriebserlöse sind gleichzeitig nicht beliebig steigerbar. Um das zu illustrieren: Im Jahr 2020 lagen die Werbeumsätze der gesamten klassischen Medien in Österreich bei 1,7 Milliarden, jene der US-Plattformen hier bei bereits 1,1 Milliarden. Diese Entwicklung wird sich verschärfen. Dabei trägt die Werbefinanzierung immer noch die Hälfte der Gesamtfinanzierung von Medienhäusern verlegerischer Herkunft in Österreich. Das heißt, es geht hier eine Lücke auf. Wenn man als Bürgerin und Bürger dieses Landes will, dass es künftighin noch unabhängige Medien gibt, die sich mit österreichischen Inhalten auseinandersetzen, wird die Politik handeln müssen - besser früher als später. Es geht dabei auch nicht um Unsummen. Nach unseren Berechnungen reden wir von einer Presseförderung im Ausmaß von 30 Millionen Euro – das müsste der Dienst an der Öffentlichkeit im Sinne eines public value schon wert sein. Zum Vergleich: in der Schweiz, ein vergleichbarer Markt, beläuft sich die Presseförderung auf 47 Millionen Euro.

Auf Eis gelegt

Immerhin dürfte der Digitalisierungsförderungsfonds tatsächlich etwas werden.

Diese Zuversicht besteht, jedenfalls eine positive Maßnahme der aktuellen Bundesregierung. Der Digitalisierungsförderungsfonds befindet sich derzeit in der Phase der Notifikation bei der EU-Wettbewerbskommission. So gesehen handelt es sich um eine ergänzende Maßnahme in Bezug auf die Presseförderung zur Bewältigung der digitalen Transformation. Das ist schon ein wichtiger Schritt, die Herausforderungen sind aber im Sinne des zuvor Erwähnten bedeutend größer.

Gibt es Neues hinsichtlich Informationsfreiheit und Amtsgeheimnis?

Die entsprechende Neuregelung liegt offenkundig auf Eis. Das Thema Informationsfreiheit ist leider eine unendliche Geschichte. In Österreich gibt es offenbar gewisse Ängste, dass man von Amts wegen zu viel an Information Preis geben muss. Darüber hinaus gibt es seitens Länder und Gemeinden die Sorge, dass es zu einer Anfrageflut kommen könnte, derer man nicht Herr wird. Das ist im digitalen Zeitalter nur schwer nachvollziehbar – als Verlegerverband sind wir weiterhin der Meinung, dass dieser Akt der Transparenz notwendig ist, um hier zu anderen westeuropäischen Ländern aufzuschließen. Jedoch als gelernter Österreicher und Realist befürchte ich, dass die unendliche Geschichte kein Happy End nimmt.

Gehen wir zum Ende hin nochmals zurück zum großen Ganzen und zur Herausforderung durch Tech-Giganten und Social-Media-Riesen – sehen Sie beim aktuellen Stand der Regulierung in Österreich aber auch auf europäischer Ebene das viel zitierte Level-playing-Field inzwischen gegeben?

Nein, leider nicht. Da gibt es noch viel zu tun.

Was fehlt, können Sie ein Beispiel nennen?

Etwa bei der bereits angesprochenen Urheberrechtsreform: Hier werden die Social-Media-Plattformen gesetzlich quasi ausgenommen, weil im aktuellen Entwurf – anders als in der Richtlinie - Bagatellgrenzen, sowohl was Textanteil, Bildgrößen als auch Bewegtbild-Längen betrifft, vorgesehen sind. Die Plattformen können sich so nicht nur der Regulierung, sondern auch noch der Vergütung entziehen. Positiv hervorheben möchte ich hingegen die Gesetzgebung zu „Hass im Netz“. Österreich hat hier eine europäische Entwicklung vorweggenommen und damit in Europa aufgezeigt. Den digitalen Raum betreffend gibt es weitere Themen, die mitunter gar nicht so sehr einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Vielmehr braucht es ein allgemeines Bewusstsein für die Problemstellungen wie Ad Fraud durch Bot-Traffic und die programmatische Ausspielung von Werbung auf Hass- und Extremisten-Seiten. In der analogen Welt wurde die Werbeschaltung auf Zielgruppe und Qualität hinterfragt und keiner hätte zwei Drittel seines Werbegeldes Betrügern überwiesen. Das hat sich wie aktuelle Studien zeigen dramatisch geändert. Diesbezüglich ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, um die Kontrolle über Werbekampagnen und  -gelder wieder zurück zu gewinnen.

Danke für das Gespräch.

 

 

 

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