Bachmann-Preis: Eröffnung mit Rede über die Angst vor der Sprache

Ingeborg Bachmannpreis 2018
Aus der Ukraine stammende Autorin Tanja Maljartschuk widmete sich dem Schrecken des Angriffskriegs und der Machtlosigkeit der Literatur.

Die in der Ukraine geborene und seit 2011 in Wien lebende Autorin Tanja Maljartschuk hat am Mittwochabend mit ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur die 47. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt eröffnet. Maljartschuk hatte 2018 mit dem Text "Frösche im Meer" das Wettlesen um den Bachmann-Preis gewonnen. In ihrer Rede unter dem Titel "Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf." widmete sie sich der Machtlosigkeit der Literatur in Zeiten des Krieges.

Sich selbst bezeichnete die 40-Jährige in ihrer emotionalen Rede als "eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und - schlimmer noch - in die Sprache verloren hat". Schließlich könne die Sprache, "die schönste Gedichte hervorbringt, auch dazu dienen, Befehle kundzutun, zum Abschuss von Raketen, die Zivilisten töten, oder zum Vorrücken von Panzern". Sie selbst, deren Romanprojekt über den Holocaust in der Ukraine im Februar 2022 "für immer unvollendet geblieben" sei, habe Angst vor einer Sprache bekommen, die Millionen von mehrheitlich friedlichen Bürgern "überzeugen kann, im Recht zu sein, andere zu ermorden."

In weiterer Folge berichtete sie von ihren für den Roman geplanten Recherchen zu einem Massaker an Juden im Heimatdorf ihrer Familie im Jahr 1942, das sie literarisch aufarbeiten wollte. Im Zuge dessen sei sie auf einen Bericht des einzigen Überlebenden gestoßen und habe feststellen müssen: "Man möchte glauben, dass ein Genozid immer woanders stattgefunden haben muss, und nicht in deinem Garten, nicht zwischen deinen Nachbarn." Als sie ihren Vater fragte, ob er irgendetwas mit den Namen der damaligen Täter anfangen können, habe dieser gesagt, sie sei verrückt und solle ihn in Ruhe lassen, 150.000 russische Soldaten stünden an der Grenze zur Ukraine. Und an diesem Tag endete Maljartschuks Romanprojekt.

In ihrer Rede nahm sie auch Bezug auf ein Zitat Ingeborg Bachmanns in einem ihrer letzten Interviews, in dem sich die Autorin selbst den Slawen zugerechnet hatte. Slawen seien "emotiver", habe Bachmann gesagt, was aber nicht bedeute, sie könnten weniger rational denken. "Denn es gehöre zusammen, und es müsse zusammen gehen: die höchste Vernünftigkeit und die Fähigkeit zu fühlen. Denn wer nur ein Hirn habe und kein Herz, sei niemand", zitierte Maljartschuk, um dann zu konstatieren: "In diesem großen slawischen Herz - genauer gesagt: in diesem meinem ukrainischen Herz - steckt leider auch viel Angst." Literatur böte zwar "die Rettung für einzelne, aber nie für alle zusammen", so die Autorin. "Und die Realität gewinnt jedes Mal, und die Literatur verliert ... Sie ist schön, aber hilflos wie ein Wald der blühenden Bäume."

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