Bachmann-Preis: "Bester Satz" und Konventionsfrage am ersten Tag

BACHMANN-PREIS: 1. LESETAG / ROBINET
Jayrôme C. Robinet sorgte zum Auftakt für hitzige Jury-Diskussionen über Trennung zwischen Werk und Autor. Andreas Stichmann spaltete Jury in der Frage, was Konvention bedeutet.

Bei strahlendem Sonnenschein hat der 1977 in Frankreich als Frau geborene, in Deutschland wohnende und seit 13 Jahren als Mann lebende Autor und Spoken-Word-Künstler Jayrôme C. Robinet am Donnerstagvormittag den Lesereigen der 47. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt eröffnet. Sein für den Bachmann-Preis eingereichter Roman-Auszug "Sonne in Scherben" handelt von einem Trans-Mann, dessen tragischer Familiengeschichte und einer aufsehenerregenden Schwangerschaft.

Der Autor, der 2019 mit seinen Memoiren "Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund" Aufsehen erregte, sorgte mit seinem von der heuer neu dazugestoßenen Jurorin Mithu Sanyal eingeladenen Text für erste heiße Jury-Diskussionen über die Frage der Trennung zwischen Text und Autor, zumal sowohl der Ich-Erzähler als auch der Autor trans sind.

Im Stehen und oft auswendig vorgetragene Sätze wie "Ich habe einen Vagina mit Variationshintergrund" sorgten im Publikum im Saal wie im Garten für Schmunzeln und am Ende für lang anhaltenden Applaus. Tränen gab es hingegen bei Jurorin Sanyal, die während des Vortrags noch stärker ergriffen war als beim Lesen, er sei ihr "direkt unter die Haut" gegangen.

"Dynamische Performance"

Als "überraschend konventionell" empfand Mara Delius den Text, der jedoch "unglaublich durch seine textverändernde, dynamische Performance gewonnen" habe. Allerdings fehlte ihr die "innere Veränderung" des Ich-Erzählers, der ihr nicht subversiv genug sei. Für Insa Wilke traut der Text den Lesern sehr viel zu, ihr gefiel vor allem das beständige Wiederaufnehmen von Motiven. Von "wunderbaren szenische Miniaturen, die eine Kindheit sofort plastisch machen", sprach Neo-Juror Thomas Sträßl, der es allerdings "bedauerlich" fand, dass der Text auch "didaktische Momente" aufweist.

BACHMANN-PREIS: 1. LESETAG / ROBINET

Brigitte Schwens-Harrant wiederum vermisste "über weite Stellen das Potenzial der Sprache" und kritisierte "viele sprachliche Brüche". Philipp Tingler lobte den Text dort, "wo er selbstironische Distanz entwickelt". Insgesamt sei er "in seiner Gedrängtheit auch ein bisschen überlastet". "Er weiß, was Literatur soll. Literatur soll verblüffen, in die Tiefe gehen und die Welt heilen", lobte Klaus Kastberger das "Gesamtpackage aus Video, Text und Vortrag", kritisierte aber ebenfalls die erzählerische Konventionalität, ihm "fetzt" der Text zu wenig, verfüge allerdings auch über den "vielleicht besten Satz dieses ganzen Wettbewerbs": "Himalaya, die Jury, pure Lawine!"

Ebenfalls Einblick in eine Familiengeschichte sowie die Gefühlswelt eines Ich-Erzählers gab im Anschluss der deutsche Autor Andreas Stichmann (40), der bereits 2012 beim Bachmann-Preis angetreten war, mit "Verwechslungen". In dem von Mara Delius eingeladenen Text hält sich ein älterer Mann aufgrund einer Nesselsucht in einer Klinik auf, wo er einen Pfleger kennenlernt, den er zunächst mit einem alten Bekannten aus Studientagen verwechselt und ihm schließlich aus seinem Leben erzählt. Damit brachte er die Jury zu einer intensiven Diskussion über die Definition von Konventionalität, die keine Einigung brachte.

BACHMANN-PREIS: 1. LESETAG / STICHMANN

Gespaltene Jury

Während Sträßle die "extrem kontrollierte Form des Erzählens" dieses "relativ additiven Textes" konstatierte, kritisierte Sanyal, dass sie bis zum Ende des Textes nicht genug über die Hauptfigur erfahren habe. Auch Wilke verwies auf die "sehr zurückhaltenden literarischen Mittel", mit denen der Text operiere und fühlte sich im Vortrag an Loriot oder Homer Simpson erinnert. "Das sind Männerfiguren, die die Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung nicht in Übereinstimmung bringen können", so Wilke. "Homer Simpson ist bei weitem lustiger als dieser Text", schoss Kastberger zurück, der den Text zwar "relativ gut gemacht" fand, er sei ihm aber "zu risikolos, zu glatt". Dieser Text hätte laut dem Literaturwissenschafter "genauso gut vor 30 Jahren hier gelesen werden können".

Auch Schwens-Harrant machte der Text zu wenige Abgründe auf, während Tingler den hermetischen Klinik-Kontext gelungen fand und die "sehr stringente" Komposition lobte. Mara Delius, die den Autor eingeladen hat, freute sich über den "auf eine subversive Art extrem unkonventionellen Text", Stichmann verfüge "absolut über seine literarischen Mittel", die er wohl dosiere. Somit zeigte sich die Jury gespaltener als zu Beginn des Lesereigens.

 

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