Nein, sagt der Medienpsychologe und Reality-TV-Fan Richard Lemke. Aber: „,Der 'Bachelor' hat sich auserzählt.“ Das Genre, das seine Ursprünge in den 1960er-Jahren hat ("The Dating Show"), hat sich zuletzt stark ausdifferenziert. Nackte, Bauern oder Betrunkene suchen heute im Fernsehen und auf Streamingportalen die Liebe. Allein die RTL-Gruppe bietet mehr als 30 Programme an, von Streamingdiensten ganz zu schweigen.
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"Der Bachelor war einmal die Kirsche auf der Torte"
Experten sprechen längst von einer „Reality-TV-Übersättigung“. Produzenten reagieren darauf mit Reizsteigerungen: mehr Paare, mehr Konflikte, mehr Tabubrüche. „,Der Bachelor’ war einmal die Kirsche auf der Torte. Da wurde immer auf Exklusivität und Eleganz gesetzt“, sagt die ehemalige Kandidatin Sabrina Wlk (27). Aber: „Das Publikum verlangt von Jahr zu Jahr wildere Inhalte. Da kann ein 20 Jahre altes Konzept nicht mehr mithalten.“ Heute an der Sendung teilzunehmen, lohne sich auch wegen der Reichweite in den sozialen Medien nicht mehr, so die Wienerin.
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Dabei ist eine große Online-Fangemeinde eines der Versprechen, mit denen Datingshows Kandidatinnen und Kandidaten locken - und die Aussicht, als C-Promi in zahlreichen Formaten teilnehmen zu können. Wlk, die zuletzt in der Show „Are You The One“ zu sehen war, arbeitet heute als Model und Influencerin. Sie nennt sich „TV Personality“.
Für die Sender sind die Formate doppelt lukrativ: günstig in der Produktion, attraktiv für Werbekunden - Stichwort Produktplatzierungen. Rund um die Shows hat sich eine ganze Industrie entwickelt. Podcasts und Youtube-Formate kommentieren das Geschehen. Die Comedyshow „Trash Paradise“ in Wien Anfang Jänner ist ausverkauft.
"Lustvoller Konsum von Datingshows"
Gerade bei der jungen, kaufkräftigen und tendenziell höher gebildeten Zielgruppe sind die Shows seit langem erfolgreich. Lemke: „Mein Eindruck ist, dass es inzwischen bis in intellektuelle Kreise hinein einen sehr lustvollen Konsum von Datingshows gibt.“
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Die Gründe sind psychologischer Natur: Eskapismus, Voyeurismus, die Lust an der Provokation werden bedient. „Datingshows zeigen uns wie unter einem Brennglas verdichtet ganz tiefe Kernfragen des menschlichen Zusammenlebens“, meint der Wissenschafter. „Im Reality-Dating kann der Zuschauer neue Situationen erleben, die in seinem Alltag so nicht vorkommen würden“, sagt die „Too Hot To Handle“-Teilnehmerin Anna Strigl (26).
Lust, Unsicherheit, Erregung, aber auch Kränkung und Scham werden stellvertretend durch andere erlebt. Aber: "Viele konsumieren Reality-Dating-Formate auch einfach, um sich über die Leute zu stellen, sich besser zu fühlen und zu sagen: 'Schau mal, wenigstens bin ich nicht so blöd wie die.’"
Die gebürtige Tirolerin, die durch die Netflix-Produktion über Nacht einem breiten Publikum bekannt wurde, stört sich vor allem an den Produktionsbedingungen vieler Formate. "Damit solche Sendung funktionieren, wird von den Teilnehmern viel abverlangt. Aus diesem Grund sind die Drehs sehr anstrengend für Körper und Psyche."“
Unrealistisches Bild von Beziehungen?
Und auch sonst stehen Datingshows wie kaum ein anderes Genre in der Kritik. Sie zementieren veraltete Rollenbilder, propagieren unerreichbare Körperbilder und vermitteln ein unrealistisches Bild von Beziehungen, so die Kritik. Auch wenn die Ansprüche an die Sendungen in Sachen Diversität über die Jahre gestiegen sind, folgen die meisten Sendungen keinem progressiven Verständnis von Partnerschaft, sondern bedienen konservative Vorstellungen, sagt auch der Medienpsychologe.
„Aber es ist gut, dass sie uns dazu auffordern, uns mit unseren eigenen Wertvorstellungen auseinanderzusetzen.“
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„Der Bachelor“ versucht bereits, sein angestaubtes Image aufzupolieren. In den USA wurde in diesem Jahr ein 71-jähriger „Golden Bachelor“ gekürt. In Deutschland werden 2024 erstmals zwei Junggesellen Rosen verteilen. Ob das Publikum sie annimmt, bleibt abzuwarten.
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