Auch wenn Sie nicht Prophetin sein wollen: Wie kann es mit Ägypten weitergehen? Ein Landstreifen, innen von der Muslimbruderschaft, außen von Konflikten bedroht.
Für Ägypten gilt wahrscheinlich, was man bei großen Banken sagt: Es ist „too big to fail“. Mit über 100 Millionen Einwohner ist es das größte arabische Land, hat im Nahen Osten immer eine Riesenrolle gespielt, auch wenn es oft gebeutelt war von ökonomischen Krisen. Die Repression gegen die Muslimbruderschaft hat diese aufgerieben. Das große Problem im Nahen Osten ist, dass es zunehmend eine Chaos-Region wird, was auch für Europa wegen der Flüchtlingswellen bedrohlich ist. Paradoxerweise sind dann auch zum Beispiel die afghanischen Taliban für einen Teil der Bevölkerung ein Faktor, der Ordnung bringt.
Wobei die afghanischen Frauen ihrer Rechte beraubt wurden. Wie geht das für sie weiter?
Die Kontrolle der Frauen ist möglich, aber gleichzeitig unmöglich, weil alle Internet haben und soziale Medien in Afghanistan funktionieren. Das ergibt wieder eine ganz andere Realität, und man kann natürlich auch daheim lernen.
Eine Art subtile Revolution, weil man ein Fenster in die Welt hat?
Die arabische Welt ist eine Region des Verhandelns. Frauen und Mädchen müssen nicht nur mit den Taliban, sondern mit ihrer ganzen Familie verhandeln. Da erlaubt der Vater den Besuch der Universität, aber dafür muss sie ein Kopftuch anziehen. Natürlich ist dahinter auch oft Unterdrückung und ökonomische Ungleichheit. Die junge Generation ist bereit zu verhandeln. Dafür muss sie Vorbilder haben und wissen, dass es irgendwo eine Frau gibt in Amerika, die es geschafft hat.
Sie waren in vielen Krisengebieten. Hatten Sie nie Angst vor Gewalt?
Ohne Angst hätte es nicht geklappt. Aber ich hatte nicht zu viel Angst. Man entwickelt ein Gefühl für Grenzen und wann man weg muss. Ich musste ja oft für eine ganze Gruppe mit entscheiden: Kameraleute, Übersetzer usw. Man entwickelt eine Technik der Kommunikation und vergisst die Ideologie, weil man ist ja als Journalist dort, um etwas zu erfahren.
Hatten Sie Vorbilder?
Ja, erinnern Sie sich an die italienische Journalistin Oriana Fallaci? 1968 in Mexiko bei den Olympischen Sommerspielen wurde geschossen. Sie stand dort mit Helm, einer kugelsicheren Weste und einem Notizblock in der Hand.
Sie bekommen Ende Mai den Hugo-Portisch-Preis. Kannten Sie ihn?
Ja, er war einer meiner ersten Chefs und ein sehr erfreulicher Lehrmeister im ORF: Ich musste mit ihm eine Dokumentation technisch fertigstellen und hatte keine Ahnung. Er hat alles gemacht, auch meine Arbeit, und war reizend. Ich habe mich entschuldigt, und er meinte: „Das werden Sie schon lernen.“ Zwei Figuren empfand ich als ermutigend: Hugo Portisch und Paul Lendvai. Sie hatten nicht wie andere eine Scheu, Frauen zu fördern.
Dennoch sind Sie vom ORF ins deutsche Privatfernsehen gegangen. Hatten Sie das Gefühl, an Grenzen zu stoßen?
Ja, es gab keine Nische für mich. Es gab alteingesessene, verdiente Korrespondenten, und es war schwierig, jedes Mal zu sagen: „Ich möchte das auch tun.“ Auch parteipolitisch habe ich nirgendwo reingepasst und hatte dann 1991 gleichzeitig ein Angebot von ZDF und ARD. Ich wollte es ausprobieren, hatte aber Ängste, als kleine Österreicherin in Deutschland. Aber auch hier habe ich viel gelernt.
Man hört, Sie waren nicht immer eine ganz bequeme Mitarbeiterin.
Stimmt, und ich habe auch andere Frauen aufgehetzt. Oft hörte ich: „Jetzt warte mal ab.“ Mal war ich zu jung, dann wieder zu alt. Und ich habe immer gesagt: „Aber das ist eine wichtige Geschichte, die möchte ich jetzt machen. Vertrauen Sie mir.“ Frauen riet ich: „Der Chef wird dir nichts schenken. Aber wenn du ihm genau sagst, was du willst, wird es vielleicht funktionieren.“
Wie bewahrt man bei so einem aufregenden Beruf ein Privatleben?
Ich habe viele männliche Kriegsreporter gesehen, die in Uniform herumliefen und zwischen Reportage und Teilnahme nicht mehr klar trennen konnten. Das passiert einer Frau kaum. Daher kann sie leichter in ein normales Leben zurückkehren.
Was ist Ihr Lebensmittelpunkt: Wien, Paris, Kairo?
Alle drei.
Wie sehen Sie Wien?
Eine Stadt mit mehr Kulturangebot, als irgendwo sonst. Wo alles unkompliziert ist. Und um die Lebensqualität hier werde ich beneidet. In Wien und in Paris träumen die Leute von der Vergangenheit. Gleichzeitig haben wir künstliche Intelligenz, ökologische Krisen, Katastrophen.
Wien ist wider Willen multikulturell. Wie kann das Zusammenleben gelingen?
In Paris gibt es ein Museum der Immigration. Es ist interessant, welche starken Vorurteile es in den Dreißigerjahren gegen Polen und Italiener gab. Sie werden jetzt sagen: „Das waren immer noch Christen.“ Aber dann muss man sich eben besonders bemühen oder auch Grenzen setzen.
Sind nicht Frauenrechte besonders bedroht bei einer Zuwanderung aus rückständigen Regionen?
Ich würde sie nicht als rückständig bezeichnen, sondern als anders. Geschichtlich hatte der Nahe Osten auch Höhepunkte. Hier wurden die Universitäten und die Medizin erfunden. Es ist ein Auf und Ab. Wenn man betrachtet, wie die jüngsten Wahlen in der Türkei ausgegangen sind, dann gibt es ja immer auch Hoffnung.
Sprechen Sie Arabisch?
Ich spreche so viel Arabisch, dass mich fast jeder versteht.
ZUR PERSON
Die gebürtige Kärntnerin Antonia Rados (70) berichtete 40 Jahre lang zuerst für den ORF und dann ab 1991 für RTL (mit einem kurzen Zwischenstopp im ZDF) aus aller Welt. Sie war bei der rumänischen Revolution dabei, im Kosovo, beim Irak-Krieg und zuletzt in der Ukraine. Sie erzählte über afghanische Frauen, die sich selbst verbrennen, machte eines der letzten Interviews mit Muammar al-Gaddafi
und recherchierte in einer somalischen Piratenhochburg. Rados schrieb Bücher und ist vielfach ausgezeichnet.
Portisch-Preis
Am 23. 5. wird Rados im Radiokulturhaus der Hugo-Portisch-Preis verliehen. Voriges Jahr erhielt ihn Peter Fritz (ORF).
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