"Verbrechen sind nur noch Kavaliersdelikte"

Festwochen-Premiere: Martin Wuttke, 53, spielt im Akademietheater ab Donnerstag Ibsens „John Gabriel Borkmann“
Martin Wuttke über Ibsen, das Geld, Utopien, die Burg, Peymann, den "Tatort" und Tarantino.

Martin Wuttke probt derzeit Ibsens "John Gabriel Borkmann" in der Regie von Simon Stone. Premiere der Koproduktion von Festwochen und Burgtheater ist am Donnerstag in der Akademie.

Das Stück, in dem die Welt und das komplizierte Beziehungsgeflecht eines Bankers nach einem Finanzskandal zerfallen, wird gerne in Bezug zu aktuellen wirtschaftlichen Vorgängen gesetzt. Oder auch nicht ...

KURIER: Das Stück kann man ja auch als Kommentar zur Finanzkrise lesen ...

Martin Wuttke: Welcher Kommentar sollte das sein?

Kommentar ist vielleicht ein falsches Wort. Aber man könnte es in Bezug dazu setzen.

Das Stück spielt Ende des 19. Jahrhunderts. Und die ökonomischen Verhältnisse haben sich seither radikal geändert. Vielleicht kann man bestimmte Strukturen dahinter erkennen, ein bestimmtes Verhältnis zwischen der Akkumulation von Geld und den Tiefen und Untiefen des menschlichen Zusammenlebens. Ob uns das gelingt, wird die Arbeit zeigen.

"Verbrechen sind nur noch Kavaliersdelikte"
Fotoprobe im Akademietheater zum Theaterstück "John Gabriel Borkman" nach Henrik Ibsen bearbeitet von Simon Stone, der auch Regie führt. Wien, 26.05.2015
Vielleicht stört Sie an der Frage, dass heute grundsätzlich versucht wird, Stücke Richtung Gegenwart zu biegen.

Aber es ist ja auch etwas Richtiges dran – dass man versucht, ein Verhältnis herzustellen zu diesen alten Stoffen. Aber es wäre nicht gut, zu unterschlagen, dass die Stücke in einem anderen Zusammenhang entstanden sind. Man kann doch über eine Distanz auch etwas über sich selbst erfahren, über die Zeit, in der wir leben. Bei dieser Arbeit gibt es aber tatsächlich eine direktere Annäherung. Wir spielen ja nicht das Ibsen-Stück vom Blatt, sondern es gibt einen Überschreibungsprozess durch Regisseur Simon Stone. Insofern kann man vielleicht das Stück tatsächlich auf einen Zeitbezug überprüfen. Ja, es geht um einen Banker, der Bankrott gemacht hat – aber es geht nicht nur darum.

Gibt es diese Ehr- und Moralbegriffe im Geschäftsleben noch?

Wenn es um Ehre ginge, würde man solche Geschäfte gar nicht erst machen. Wenn es nur darum geht, möglichst viel zu erwirtschaften, wird die Art, wie das geschieht, gleichgültig. Die Verbrechen in diesem Zusammenhang werden dann nur noch Kavaliersdelikte.

Gibt das Stück Auskunft über die Funktion des Geldes?

Es handelt vielleicht mehr von der Idee des Geldes. Wir denken ja immer, das Geld ist das eine und wir sind etwas anderes. Das Stück kann darüber Auskunft geben, dass das ein Irrtum ist.

Heute wird ja oft die Frage gestellt: Können wir uns bestimmte Werte noch leisten – etwa, wenn es um den Umgang mit Flüchtlingen geht.

Das liegt daran, dass es in einer kapitalistisch bestimmten Welt keinen anderen Entwurf, kein anderes Denken mehr gibt. In meiner Jugend in den Sechziger- und Siebzigerjahren galt das Jahr 2000 als utopisches Ziel. Politiker, Lehrer, die ganze Gesellschaft hat sich erzählt, dass im Jahr 2000 die Menschen weltweit nicht mehr hungern werden und alle lesen und schreiben können. So was würde heute niemand mehr aussprechen. Es glaubt niemand mehr daran. Und wenn man diese Utopien aufgibt, heißt das, dass man sagt: Für alle reicht es nicht. Und das bedeutet: Man muss entscheiden, für wen darf es reichen und für wen nicht? Humanismus gibt es nur noch wohldosiert.

Auch das Theater war ein Gegenentwurf. Jetzt wird auch nur noch drüber diskutiert, was können wir uns noch leisten und wer hat ungerechtfertigt Geld bekommen.

Wenn man als Gesellschaft Theater für einen Teil des Lebens hält, dann leistet man sich diesen Teil einfach. Das Burgtheater ist weit von den Arbeitsbedingungen entfernt, die es noch vor zehn Jahren hatte. Und natürlich wirkt sich das aus, und das wird man auch sehen.

Wovon erzählt das Stück noch, abseits vom Thema Geld?

Es wird ja gerne gelesen als ein Stück über Erstarrung. Aber diese Menschen halten an ihren Utopien fest, die wollen etwas voneinander – sonst würden sie nicht aneinander kleben. Es ist nur tiefgekühlt. Dahinter steht eine große Leidenschaft.

Simon Stone überarbeitet die Texte ja immer wieder – eine Arbeitsweise, die Ihnen liegt?

Ja, das hat viel mit der Arbeitspraxis zu tun, die ich aus der Volksbühne kenne.

Wie fanden Sie Claus Peymanns wütenden Aufschrei in der "Zeit" gegen die Bestellung des Museumsexperten Claus Dercon zum nächsten Intendanten der Volksbühne? Peymann unterstellt der Politik, "Eventkultur" zu favorisieren.

Ich hab mich darüber amüsiert – und auch gefreut über diesen Aufschrei, weil er eine Diskussion in Gang gebracht hat, ganz egal, wie Peymanns persönliche Position dazu sein mag. Die Politiker mussten sich dann dazu verhalten. Und das ist erstmal gut. Mir selbst fällt es schwer, objektiv darüber zu sprechen.

Sie haben gerade als Leipziger "Tatort"-Ermittler Andreas Keppler Ihren letzten Fall gelöst. Fiel der Abschied leicht?

Ich war eigentlich erlöst. Denn das waren eher problematische Begegnungen mit dem Fernsehen. Es war sehr schwierig, bei dieser Arbeit zusammenzukommen.

Kein anderes "Tatort"-Team hat zuletzt so polarisiert wie das aus Leipzig.

Mir war es klar, dass es so sein würde – nur dem Produzenten nicht.

Sie spielten in "Inglorious Basterds" den Hitler. Wie war die Arbeit mit Quentin Tarantino?

Sehr angenehm, humorvoll, leidenschaftlich, engagiert. Es war so, wie ich auch Arbeit am Theater mag. Und ich hab selten so ein gutes Drehbuch gelesen.

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