Markovics: "Man wird komplett verletzlich"
Karl Markovics hat als Kino-Regisseur debütiert. Mit großem Erfolg - und vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Als der Schauspieler in Cannes 2010 seinen Erstlingsfilm "Atmen" vorstellte, erhielt er einen Preis und viel internationales Lob. Am Dienstag präsentiert der KURIER die Österreich-Premiere (Kinostart: 30. 9.).
In "Atmen" erzählt Markovics poetisch und spartanisch von einem Wiener Jugendlichen in der Strafanstalt, der für seinen Freigängerjob ausgerechnet in einem Bestattungsunternehmen anheuert. Erst die Begegnung mit dem Tod reißt den Burschen aus seiner großen Lethargie.
In Markovics' kompaktem Schauspieler-Ensemble spielt der 18-jährige Thomas Schubert beeindruckend sensibel seine erste Rolle; an seiner Seite steht der immer formidable Georg Friedrich.
KURIER: Herr Markovics, haben Sie sich mit Ihrer Regiearbeit einen langjährigen Wunsch erfüllt?
Karl Markovics: Überspitzt ausgedrückt, war das Schauspielern eine Art Umweg zum Regieführen: Ich wollte immer Geschichten erzählen. Das war mein Impuls - und nicht unbedingt die damit verbundenen Qualen des Drehbuchschreibens. Neben dem Schauspielen habe ich immer Geschichten geschrieben, und diese war es dann, mit der ich mich heraus getraut habe.
Wenn man als Schauspieler Regisseur wird - was hat man da für Startvorteile?
Die Einfühlung. Wenn man nur Regisseur ist, dann weiß man nicht, wie es einem Schauspieler geht. Ich glaube, was wirklich hilft, ist, dass die Schauspieler wissen, dass ich weiß, wie es ihnen geht. Das ist der Punkt.
Wie kamen Sie auf das Thema Jugendstrafanstalt?
Zuerst habe ich immer nur ein Bild im Kopf. Und wenn dieses Bild stark genug ist, lässt es mich nicht mehr in Ruhe, und ich frage mich: Was ist vorher, was ist nachher passiert? Bei "Atmen" hatte ich das Bild von einer Altbauwohnung mit der Leiche einer alten Frau im Kopf, die erst nach Wochen von der Polizei gefunden wird. So hat esangefangen.
Von der toten alten Dame bis zum jugendlichen Sträfling ist es aber ein weiter Weg.
Die Idee mit dem 18-Jährigen ist erst danach aufgetaucht, und daraus hat sich das Kernthema entwickelt. Ich wollte von einem Menschen erzählen, der aufgrund verschiedener Umstände kein Gespür für die Welt hat. Und der - platt ausgedrückt - erst im Umgang mit dem Tod den Weg zurück ins Leben erlernt.
Apropos Tod: Sie zeigen die Arbeit im Bestattungsunternehmen sehr realistisch. Besonders die Leichen sehen ausgesprochen echt aus.
Das ist ein schönes Kompliment, aber die Leichen sind natürlich nicht echt (lacht) . Ich wurde auch gefragt, ob die Fieberblase auf der Lippe von Karin Lischka (Lischka spielt die Mutter des Jugendlichen, Anm.) echt ist. So etwas freut mich, weil mir solche Details sehr wichtig sind. Eine Fieberblase ist störend und zwingt einen, immer auf den Mund der Schauspielerin zu schauen. Das ist sehr passend für einen Film, der "Atmen" heißt. Aber um es zusammenzufassen: Es geht mir um Erlösung.
Erlösung wovon?
Nicht unbedingt wovon, sondern wonach. Man sucht nach Glück, Vollkommenheit, oft auch nach der Befreiung von einer Last, die man gar nicht definieren kann. Manche suchen Erlösung in der Spiritualität oder in einer extremen Art der Körperlichkeit - sei es Sexualität oder Leistungssport. Ich glaube, dass ist eine irrsinnig starke Triebfeder - dieses Streben nach Erlösung.
War der Film-Erfolg auch so eine Art Erlösung für Sie?
Ja, das kann man so sagen. Wenn man alles vom Nullpunkt an selbst entwickelt, hängt man mit jeder Faser drin. Man wird komplett verletzlich. Umso schöner ist es, wenn man positives Feedback bekommt.
Welche Rolle hätten Sie in "Atmen" gern selbst gespielt?
Ich habe nie daran gedacht mitzuspielen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass mir im Alter von 18 jemand so eine Rolle angeboten hätte. Das ist nicht passiert. Insofern kann ich mir jetzt, mit 48, diesen Traum auf andere Art verwirklichen. Ich habe die Rolle praktisch "nachgeholt" und mir vorgestellt, dass ich mir selbst begegne.
Sie haben letztes Jahr in Cannes "Atmen" gemeinsam mit Markus Schleinzers "Michael" präsentiert. Gibt es das viel beschworene "österreichische Filmwunder" ?
Ich glaube schon - mit der üblichen österreichischen Vorsicht - dass es so etwas wie eine breite Bewegung gibt. Und auch, wenn das jetzt blöd klingt: Ich bin stolz auf österreichische Filme - und dieses Gefühl kann man auch durchaus zulassen. Vorausgesetzt, es bleibt ein offener Reflex: nicht ein "Wir gegen die anderen", sondern ein "Wir sind auch da". Warum auch nicht? Das ist ja schön.
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