Marina Abramovic: "Ich bin eine Kämpferin"

Marina Abramovic: "Ich bin eine Kämpferin"
Mit dem Festival OPEN möchte sich die Angewandte verstärkt der Performance widmen und hat dazu die Künstlerin Marina Abramović ins MQ eingeladen.

Zu ihrem von der Universität für angewandte Kunst organisierten Vortrag Samstagabend im Wiener Museumsquartier erscheint Marina Abramović bestens gelaunt und mit dem ihr 2008 verliehenen Österreichischen Ehrenzeichen an der Brust. Zuvor sprach Sie mit dem KURIER über ihre Methode und möchte keinesfalls "Großmutter der Performancekunst" genannt werden.

KURIER: Wie hat sich die Kunstwelt in den letzten 20 Jahren verändert?
Marina Abramović:
Es gibt ein wunderbares Buch von Patti Smith mit dem Titel "Just Kids". Darin erzählt sie von ihrem Leben mit Robert Mapplethorpe und dem Leben in den 1970ern. Und als ich dieses Buch gelesen habe, bin ich so nostalgisch geworden, weil das Leben damals ganz anders war. Damals war Kunst keine Ware. Man ist nicht reich geworden von der Kunst. Da ging es ums nackte Überleben. Aber diese Menschen mussten Kunst machen, dieser Drang war stärker als alles andere. Wenn heute junge Künstler sagen, sie wollen bekannt und reich werden, dann macht mich das traurig. Denn das war nicht der Grund, warum wir damals Kunst machen wollten. Die Kunst wurde zur Ware und es geht um viel Geld. Das hat die Strukturen und den Grund, Kunst zu machen, schon verändert.

Wie könnte man die zeitgenössische Kunst beschreiben?
Zeitgenössische Kunst ist alles, was um uns herum passiert. Durch die Globalisierung sind die Grenzen verschwommen. Chinesische Kunst sieht heute aus wie amerikanische. Es ist nicht wichtig, was zeitgenössisch ist, sondern was gut und was schlecht ist.

Was ist gut, was schlecht?
Es ist sehr interessant, wie langlebig gute Ideen sind. Gestern bin ich nach Wien gekommen und habe mir die meiste Zeit Egon Schiele angesehen. Sein Werk ist schon relativ alt, aber immer noch unglaublich stark. Gute Kunst ist zeitlos. Du musst es einfach spüren, mit deinem eigenen Körper und deinem Bauch.

Wie sieht die Zukunft aus, was könnte der nächste Schritt sein?
Auf dieselbe Frage habe ich 1989 geantwortet: Ich glaube, die Kunst des 21. Jahrhunderts ist Kunst ohne Objekt zwischen Künstler und Publikum. Es ist pure Übertragung von Energie, pure Immaterialität. Und jetzt, 25 Jahre später, zeige ich mit meinen neuen Arbeiten in der Serpentine Gallery (in London, Anmerkung der Redaktion) genau das, was ich damals beweisen wollte. Und zwar, dass immaterielle Kunst berühren kann. Sie muss nichts kosten und es braucht kein Objekt zwischen Künstler und Publikum.

Sie arbeiten in letzter Zeit viel mit Wissenschaftlern zusammen. Warum?
Die Wissenschaftler waren einfach daran interessiert, was mit den Menschen in einer Performance wie "The Artist is Present" passiert und haben über ein Jahr lang Experimente gemacht. Das meiste fand im Labor statt. Es wurden Gehirnströme von mir und meinem Gegenüber gemessen, welche Impulse beispielsweise nur über den Blick ausgelöst werden. Die Daten werden noch ausgewertet. Es ist aber ein Riesenforschungsfeld, da das Gehirn bei non-verbaler Kommunikation extrem aktiv ist. Wissenschaft interessiert mich sehr.

Worauf legen Sie in ihrer Arbeit besonders wert?
Das Wichtigste für einen Künstler ist, sein Medium zu finden. Manche sind als Maler, andere als Bildhauer oder Musiker geboren. Und manche sind als Performer geboren. Man kann an Techniken feilen, aber mit diesem Charisma, das man braucht, wird man geboren. Und dann zählt das Konzept. Es geht nicht darum, die Gesellschaft von heute zu reflektieren, sondern wie kann man den Geist öffnen, das Bewusstsein erweitern. Kritisieren ist so unproduktiv.

Der Zeitfaktor hat einen wichtigen Einfluss auf ihre Arbeit…
Zeit ist sehr wichtig, weil wir keine Zeit haben. Und das ist das große Problem. Die Technik beansprucht all unsere Zeit. Darum müssen wir unsere Zeit einfordern. Deshalb habe ich auch mein Institut eröffnet (Marina Abramović Institute in New York, Anmerkung der Redaktion). Man verpflichtet sich, mindestens sechs Stunden dort zu verbringen und ich vermittle dort meine Methode. Man muss mir Zeit geben, um Erfahrung vermitteln zu können. Wir sind Konsumjunkies und sollten mal innehalten und uns selbst reflektieren.

Wie würden Sie die Abramović-Methode beschreiben?
Wenn ich dem Publikum meine Langzeit-Performances präsentiere, reicht es nicht, dass ich darauf vorbereitet bin, man muss auch die Zuschauer darauf vorbereiten. Die Frage ist, wie erreicht man diesen ruhigen Geisteszustand? Ich studiere dafür unterschiedliche Kulturen und entscheide mich für die effizientesten Übungen und möchte sie dem Publikum als eine Art Geschenk geben. Durch diese Erfahrung lernt man sich selbst besser kennen und sieht Kunst von einem anderen Blickwinkel.

Gerade habe ich den Spruch "Kunst ist intelligentes Entertainment" auf einer Postkarte gelesen. Was sagen Sie dazu?
Nichts. Das kann ich nicht kommentieren. Ich wäre niemals Künstlerin geworden, wenn ich das denken würde.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Bitte nicht Großmutter. Bitte verwenden Sie dieses Wort nicht. Ich bin eine Kämpferin und erkunde gerne neue Territorien.

Was würde Sie jungen Künstlern raten?
Erstmal sollte man rausfinden, ob man überhaupt ein Künstler ist. Möglicherweise möchte man nur Künstler sein. Du musst wissen, dass es das Einzige ist, was du tun kannst. Und dann muss man alles opfern und seiner Intuition folgen, und nicht irgendwelchen Trends.

Sie sind viel unterwegs. Was haben Sie immer bei sich?
Was ich immer bei mir habe ist ein sehr, sehr langer Kaschmirschal. Der fungiert als Decke, als Mantel… Wenn ich den dabei habe, dann fühle ich mich zu Hause.

Zur Person: Marina Abramović

Leben: Geboren 1946 in Belgrad. Ihre Eltern waren Partisanen. Von 1965 bis 1970 studierte sie in Belgrad Malerei und wirkte 1975 in einer Aufführung von Hermann Nitsch mit. Ab 1976 arbeitete sie mit der Liebe ihres Lebens, dem Performancekünstler Ulay, von dem sie sich nach einer gemeinsamen Performance auf der chinesischen Mauer trennte. 1997 erhielt sie den Goldenen Löwen in Venedig.

Aktuell: In der Londoner Serpentine Gallery ist ab 11. Juni ihre neueste Arbeit "512 Hours" zu sehen. Dort wird sie bis 25. August sechs Tage die Woche, acht Stunden täglich performen.

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