Margarethe Tiesel im Interview: "Hausmeisterin, Wirtin ... manchmal Mörderin"
Die österreichische Schauspielerin Margarethe Tiesel über ihre Hauptrolle im Roadmovie „80 Plus“, Altersdiskriminierung und die schwierige Kunst, einen Jaguar zu fahren
In dem Roadmovie „80 Plus“ (derzeit im Kino) unternehmen zwei ältere Damen eine Autofahrt nach Zürich. Dort will sich die 86-jährige, unheilbar kranke Helene (Christine Ostermayer) in eine Sterbeklinik einchecken. Begleitet wird sie von einer deutlich jüngeren Zufallsbekanntschaft namens Toni – gespielt von der famosen Margarethe Tiesel: Die 1959 in Wien geborene Schauspielerin, international bekannt geworden durch Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“, über späten Ruhm, Altersdiskriminierung und die Anstrengung, einen Jaguar zu fahren.
KURIER:Frau Tiesel, ältere Frauen wie in „80 Plus“ sieht man im Kino selten. War diese Rolle etwas Besonderes?
Margarethe Tiesel: Wenn man älter ist, hat man seltener die Chance, eine große Rolle zu spielen. Insofern war „80 Plus“ etwas Besonderes für mich. Außerdem werden im Kino meist Männerfreundschaften erzählt. Frauenfreundschaften sieht man selten. Es war eine sehr schöne, aber auch anstrengende Rolle für mich.
Anstrengend inwiefern?
Sehr anstrengend. Ich bin zwar eine geübte Autofahrerin, aber die alte Kiste (ein Jaguar XJ12, Anm.), in der wir herumgefahren sind, war ein Wahnsinn – unglaublich schwer zu fahren. Mein Mann war ganz hin und weg wegen der 290 PS … Aber in Wahrheit war das Auto sehr unbequem. Heiß war es natürlich auch und wir durften kein Fenster aufmachen. Keine Klimaanlage, Fenster zu und drehen. Das war schon zach. Und Christine Ostermayer war mit ihren 86 Jahren so diszipliniert – unglaublich.
„80 Plus“ ist ein Roadmovie, bei dem der Humor auch auf den Gegensätzen der beiden Hauptfiguren beruht.
Genau. Frau Ostermayer spielt die feine Dame und ich das komplette Gegenteil. Ich bin die Frau aus dem Volk mit dem Wiener Schmäh. Ich persönlich hätte beim Spielen dem Affen ja noch viel mehr Zucker gegeben, aber ich musste mich zurückhalten. Ich mag es gern, die kleinen Helden des Alltags zu spielen – und nicht jene aus den oberen Bildungsschichten. Tolle Typen – seien es Männer oder Frauen – stehen in den Filmen eh immer im Zentrum. Aber die ganz normalen Leut’, die es nicht leicht haben und die oft mehr Durchsetzungskraft brauchen als jemand, der alles in die Wiege gelegt gekriegt hat – für die schlägt mein Herz.
Wie haben Sie sich an die Figur der Toni herangetastet?
Man muss nur auf die Straße gehen und sofort sieht man jemanden wie die Toni. Sie ist mir zum Spielen nicht besonders schwergefallen.
Helene beschwert sich, dass man als ältere Schauspielerin nur noch Alte, Kranke und Sterbende spielt. Was für Rollen bekommen Sie meist angeboten?
Hausmeisterin, Wirtin … und manchmal darf ich jetzt sogar schon eine Mörderin spielen. Aber dieser Film ist der Beweis dafür, dass es mittlerweile doch mehr Rollen für ältere Frauen gibt. Man kann nur hoffen, dass es noch mehr wird.
Sie selbst hatten Ihren internationalen Durchbruch in Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“. Da waren Sie „schon“ über 50 …
Ich habe eine Alterskarriere gemacht. Ich finde das so herum viel besser. Dadurch bin ich demütiger und kann meine Karriere viel mehr als Geschenk annehmen. Ich denke mir nicht: „Früher habe ich ganz tolle Rollen gespielt und jetzt will mich keiner mehr.“ Ich habe das Glück, dass ich es jetzt genießen kann, wenn ich von Leuten gefragt werde, ob ich in ihren Filmen mitspielen mag.
„Paradies: Liebe“ war ein beruflicher Wendepunkt?
Absolut. Danach wurde ich auch am Theater mehr wahrgenommen. Das ist leider so, obwohl ich genau die Gleiche geblieben bin. Teilweise habe ich das als recht befremdlich empfunden. Zuerst wird man nicht gegrüßt und dann fallen einem die Leute um den Hals. Da merkt man dann, wer die wahren Freunde sind.
In „80 Plus“ fällt der Satz: „Man bereut nur das, was man nicht gemacht hat.“ Gibt es eine Rolle, wo Sie sich denken: Die hätte ich spielen müssen?
Ich konnte mir nie leisten, eine Rolle nicht zu spielen. Auch als das Angebot von Ulrich Seidl kam, habe ich mir gedacht: „Wenn ich das jetzt nicht mache, dann bereue ich das mein ganzes Leben lang.“ Ich kannte Ulrich Seidl vorher gar nicht. Wir blieben während der gesamten Dreharbeiten per Sie. Nach jeder Szene pflegte er zu sagen: „Alle gut, Tiesel schlecht.“ Das hat er mir zurückgegeben, weil ich selbst immer so an mir gezweifelt und ihn danach gefragt habe. Das war sehr clever von ihm. Dann habe ich nicht mehr gefragt.
Es hat sich seit damals in der Filmbranche sehr viel verändert – Stichwort: Intimitätscoach. Begrüßen Sie diese Veränderungen?
Oh ja, auf jeden Fall. Als ich etwas später mit Regisseur Fatih Akin den Film „Der goldene Handschuh“ (über den Frauenmörder Fritz Honka, Anm.) gedreht haben, befand sich wegen der brutalen Szenen eine Psychologin am Set. Man hatte bereits begonnen, darauf zu achten, wo man beim Drehen aufpassen muss. Da gibt es auf jeden Fall Fortschritte.
Der Film „80 Plus“ handelt von dem Recht auf Sterbehilfe, wie man sie in der Schweiz bekommen kann. Helene ist unheilbar krank und möchte den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen. Wie stehen Sie dazu?
Vor dieser Frage habe ich mich schon gefürchtet. Ich weiß es nicht. Ich finde, dass der Film die Chance bietet, über dieses Thema nachzudenken und darüber zu diskutieren. Ich weiß nicht, wie ich mich selbst in so einer Situation entscheiden würde. Und natürlich ist jeder Fall individuell verschieden. Ich habe nur manchmal Angst, dass Menschen, die einsam sind oder große Angst davor haben, anderen zur Last zu fallen, die Sterbehilfe vorziehen, was sie unter anderen Umständen vielleicht nicht tun würden. Das ist meine Angst. Das muss ich ehrlich sagen. Ich habe meine eigene Mutter auch sehr lange bis zu ihrem Tod begleitet. Und das war für uns beide auch irgendwie gut. Was den Film anbelangt, hat er ja ein offenes Ende. Christine und ich streiten immer darüber, wie es ausgeht – und ob sie tatsächlich am Ende in die Sterbeklinik geht. Sie sagt Ja, ich sage Nein (lacht).
Altersdiskriminierung ist ebenfalls ein großes Thema in dem Film, ganz besonders in einer Szene, wo der Tankwart meint, die beiden Damen seien zu alt zum Autofahren. Wie erleben Sie das persönlich?
Ich bin heute um sechs Uhr in der Früh mit dem Taxi zum ORF gefahren. Zuerst ist der Taxler gar nicht dahergekommen. Und als er schließlich doch aufgetaucht ist, hat er mich gefragt, warum ich überhaupt noch arbeite, wo ich doch schon zu alt zum Arbeiten sei (lacht).
Frechheit!
Ja, Frechheit, gell? Ich war so baff, dass ich gar nichts gesagt habe. Ich war einfach noch zu müde.
Apropos zu alt zum Arbeiten: Was haben Sie für Zukunftspläne?
Ich drehe das Drama „Vier minus drei“ mit Adrian Goiginger, „Schatten der Angst 2“ mit Umut Dag und „Arbeit muss sein - AMS“ mit Sebastian Brauneis. Am liebsten spiele ich Komödien. Komödien werden immer unterschätzt. Tragische Rollen spielen und leiden ist viel leichter. Aber richtig gut Komödien spielen, das ist die große Kunst! Das wird nicht wertgeschätzt, auch nicht am Theater. Finde ich schade. Ich habe ja auch die Komödie „Griechenland“ sehr gerne gespielt, auch wenn die Künstlerkollegen das nicht so mögen. Da ist dann für mich wieder sehr viel Spielfreude dabei.
Wie sieht es mit dem Theater aus?
Irgendwie habe ich mein Leben lang versucht, ein fixes Engagement zu bekommen. Ich habe damals in Graz am Schauspielhaus vorgesprochen – und sie haben meinen Mann engagiert. Er hat mit mir die Szene gespielt und sie haben ihn genommen. Dann bin ich in Graz gesessen. Ich hatte Kinder und war am Schauspielhaus der ständige Gast. Jetzt wollten sie mich fix engagieren, aber da habe ich gesagt: „Jetzt geht es sich nicht mehr aus. Ich muss so viel drehen. Leider.“ Eine späte Genugtuung. Aber ich hatte die Idee, dass man am Theater einen „Seniorenclub“ inszenieren könnte – angelehnt an die damalige Sendung im österreichischen Fernsehen. Themen dafür würden mir viele einfallen – etwa das Problem, dass sich ältere Leute nicht mehr am Computer auskennen oder dass man am Telefon nur noch mit Computerstimmen spricht, Inkontinenz, Erektionsstörungen und so weiter. Das Stück wäre aber auf jeden Fall als Komödie angelegt.
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