"Man muss Technologien auch auf das Thema Schönheit hin abklopfen"

"KLimt's Magic Garden"
MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein erklärt, was man aus der Zeit von Gustav Klimt, Egon Schiele, Otto Wagner und Kolo Moser lernen kann, um die Digitalisierung zu bewältigen.

Von der Wiener Moderne zehrt die Stadt bis heute, im Selbstbild, im Stadtbild, in der Vermarktung. Es hat sich damals unglaublich viel getan in Wien, von Schiele, Klimt über Otto Wagner und Koloman Moser, von Freud bis Schönberg. Was waren denn die Eckpfeiler, die die Wiener Moderne möglich gemacht haben?

Christoph Thun-Hohenstein: Wir haben im Zuge der Industrialisierung eine enorme Dynamik gesehen. Und gleichzeitig waren die Menschen sehr stark in Traditionen verhaftet, wie man an der Ringstraßenarchitektur sieht. Aus dem heraus hat sich in den Künsten, aber auch in der Medizin, der Psychoanalyse die Einsicht ergeben: Wir sind angesichts dieser rasanten Industrialisierung veraltet, wir müssen zu einem ganz anderen Menschenbild kommen. In den Künsten hat man sich eingestanden: Was wir hier als Künste feiern, ist stark überholt und hat mit dieser modernen Zeit nichts zu tun. Das war die große Leistung: Diese industriell-technologischen und medizinischen Fortschritte auch in die Künste zu übersetzen. Um das zu tun, muss man sich mit allem auskennen – auch abseits der Kunst. Am wichtigsten war damals das Zusammenspiel der Sparten. In der Secession haben Grafik- design, Malerei, Kunstgewerbe, Architektur ganz natürliche Dialoge geführt. Das war eine große Leistung, von der wir uns jetzt wieder zu weit entfernt haben.

Auch das damalige Bewusstsein, dass Kunst und Kultur in Veränderungsprozessen – wie etwa der aktuellen Digitalisierung – eine große Rolle spielen, scheint heute völlig absent zu sein

Ja, und das müssen wir wiedererwecken! Wir werden die Künste dringend brauchen, um das, was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommt, zu bewältigen. Die Künste können natürlich nur Bestimmtes beitragen, aber sie haben damals sehr gut verstanden, die neuen Entwicklungen für die Menschen zu übersetzen. Und daraus Verbesserungen zu schaffen und neue Dynamiken anzustoßen. Heute geht es darum, dass wir Foren finden müssen, wo diese Zukunftsdiskussion stattfindet. Wir brauchen einen Wertekanon für unsere Zeit. Wie sollen wir uns aufstellen, um in dieser Zeit überleben zu können? Kreativität ist ein ganz, ganz wichtiger Teil davon. In den nächsten Jahren kommen gewaltige Fortschritte in der Flexibilisierung von künstlicher Intelligenz und im Erwachen von Intuition der künstlichen Intelligenz auf uns zu. Da ist es umso wichtiger zu definieren, was uns Menschen ausmacht.

In Wien um 1900 haben die Menschen profunde Kränkungen erlebt; Freud hat beispielsweise gezeigt, dass wir nicht Herr über uns sind, sondern vom Unterbewussten gesteuert werden. Wenn uns der Computer auch noch im Intuitiven den Platz streitig macht, klingt das fast wie eine neue, derart fundamentale Kränkung.

Die Superintelligenz ist nahe. Das rüttelt total an unserem Selbstverständnis. Umso mehr brauchen wir jetzt die smartesten und besten Leute der Welt, um genau diese Themen anzugehen. Aber wir brauchen auch die Bürgerinnen und Bürger. Citizen Science wird eine gewaltige Rolle spielen. Sehr ähnliche Entwicklungen gab es vor 100 Jahren: In der Secession war es die große Auseinandersetzung zwischen dem Weg über die Form – dass die moderne Zeit durch geometrische Formen repräsentiert wird – und dem Weg über den Inhalt, also die Suche nach dem neuen Menschen, wie Loos es wollte. Wenig verwunderlich: Die Wahrheit ist eine Verknüpfung von beidem. Die Formen spielen für eine neue Zeit immer eine Riesenrolle. Jetzt sind es unter anderem die Interfaces auf den Smartphones. Das erspart uns aber nicht die Suche nach dem neuen Menschen. Wir müssen uns eins werden: Welche Eigenschaften machen uns Menschen eigentlich unverwechselbar auch gegenüber intuitiven Maschinen? Und wie kann die Koexistenz mit diesen Maschinen möglichst konstruktiv erfolgen?

Unverwechselbar macht uns das Empfinden von Schönheit – etwas, das von der Kunst im 20. Jahrhundert wesentlich hinterfragt wurde. Muss man sich der Schönheit wieder öffnen?

Ja. Und wir beginnen diesen Weg schon. Die Wertschätzung für Schönheit ist deshalb besonders wichtig, weil Schönheit gerade auch in einer chaotischen Zeit, mit unglaublich rasanten Entwicklungen, Struktur und Kontinuität bringt. Da kann man sehr schnell die Brücke zu früher schlagen. Man kann etwas 2000 Jahre altes genauso schön finden wie das neueste iPhone

Unsere Lebensqualität wird vorherrschend von der Technologie bestimmt. Aus dem Smartphone kommen längst Kultur, Information, auch ein guter Teil des zwischenmenschlichen Kontakts. Muss man die Technologie näher an die Schönheit heranführen?

Man muss alle neuen Technologien auch auf das Thema Schönheit hin abklopfen. Es kann beides nebeneinander bestehen: Das Original und die virtuelle Arbeit zu diesem Original. Natürlich ist es auch Aufgabe der Museen, auszuloten, was hier möglich ist – und vielleicht auch neue Zugänge zu unserer Sammlung ermöglicht. Mixed Reality, die Überblendung von Realität mit Daten, wird da große Möglichkeiten bieten.

Über die derzeitigen digitalen Kanäle verbreiten sich aber Hass und negative Emotionen leichter als Schönes und Positives. Hat man da überhaupt eine Chance?

Ich glaube, man hat eine Chance. Genau diese Themen muss der Wertekanon angehen. Da gibt es eine große Bandbreite von Möglichkeiten: In China testet man derzeit das Kreditpunktesystem, in dem alles digitale Handeln sich auf einen gesellschaftlichen Score auswirkt. Man muss sich das vorstellen: Wenn ich Freunde habe, die ihre Rechnungen nicht pünktlich bezahlen, senkt das meinen Punktestand. Das sind sehr bedenkliche Entwicklungen. Auf der anderen Seite werden wir künstliche Intelligenz brauchen, um uns zu einem vorbildlicheren Leben zu drängen. Aber über andere Wege als die, die derzeit in China gefunden werden. Je mehr man auch in der Kunst mit Projekten das auch sehr positive Potenzial aufzeigen kann, umso stärker kann man mit Hilfe der Technologie positiven Wandel erreichen.

Da fehlt es aber unter anderem auch im Bildungssystem, um die Menschen zu rüsten.

Programmieren zu können wird sehr wichtig sein, keine Frage. Aber all diese Menschen brauchen auch soziale Skills. Und wir brauchen den Universalmenschen viel stärker, wie in der Renaissance. Gerade, weil alles so unübersichtlich ist, brauchen wir Menschen, die mit Kreativität und Einfallsreichtum auch den intuitivsten Maschinen immer einen Schritt voraus sind und die Entwicklungen in einem positiven Sinn mitgestalten können. Die Maschinen können alles andere sehr gut. Bei Kolo Moser sieht man, wie eine universelle Begabung reüssieren kann. Es wäre wunderbar, wenn das Gedankengut der Wiener Werkstätte sich in den nächsten Jahren auf eine breitere, demokratischere Weise umsetzen ließe, als das damals möglich war.

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