Madonna in Wien: Missverständnisse am Tanzboden

Madonna in Wien: Missverständnisse am Tanzboden
Madonna hat den Fans im Happel-Stadion nicht das geliefert, was diese erwartet haben. Schade drum. Die ausführliche Kritik von Georg Leyrer.

Die Karriere von Popstars läuft heutzutage ja schnurstracks auf nur eines hinaus: Am Ende, Jahrzehnte nach dem letzten Charterfolg, gibt es dann ein Musical, das glücklichen Fans alle Hits am Schnürchen serviert. Dann sind die betreffenden Stars bereits entweder zu tot oder zu reich zum Weiterarbeiten, und nichts steht mehr der ungebremsten Nostalgie im Wege. Man frage nach bei Queen, ABBA oder den Beatles.

 Madonna aber ist gerade an einem schwierigen Punkt angelangt. Sie hat zwar längst genug Stoff beisammen für das besagte Musical: Zeit wird’s zum Zurücklehnen. Aber fitnessgestählt beharrt sie darauf, weiter neue Musik unters Volk zu bringen. Und das gänzlich nostalgiefrei. Was dabei rauskommt, wenn man Retro-Erwartungen enttäuscht, sah man am Sonntagabend im Ernst-Happel-Stadion in Wien. Und es war gar nicht schön anzusehen.

Da hat man jahrelang darauf hingearbeitet: Partner gefunden, Kind gekriegt, genug Geld verdient, um sich ein teures Ticket leisten zu können. Jetzt wird’s Zeit für die Belohnung: Irgendwann hatte Madonna doch diese lieblichen Hits – "Papa Don’t Preach" und wie die hießen. Also auf, Madonna schauen.

Harte Kost

Und dann das: Blut spritzt, Pistolen werden begattet, Madonna wird am Altar geopfert. Tänzer kugeln sich kunstvoll die Gelenke aus. Und kaum eines dieser alten Lieder! Auf der MDNA-Tour ist kein Platz für Nostalgie. Hier wird harte, neue Kost serviert (vorwiegend vom gefloppten "MDNA"-Album), und das ganz ohne Lächeln. Beinhart und spaßbefreit wühlt sich Madonna in wechselnder Ober- und Unterbekleidung durch die Choreografie.

Da muss man dann dem Nachwuchs lang und breit erklären, dass wir in den 80ern ja doch gar nicht so schräg waren. Oder haben wir immer so böse geschaut, ohne es zu merken? Erst bei "Like A Prayer" – und damit bei der vorletzten Nummer – kam um Mitternacht im halb leeren Stadionrund Stimmung auf. Bereits davor hatten recht viele enttäuschte Fans die Flucht ergriffen.

"Wir lassen uns nicht den Spaß verderben", ruft Madonna noch, "verdammt nochmal!" Aber da war das Zerwürfnis schon einzementiert, das mit der kommentarlosen einstündigen Verspätung seinen Anfang genommen hatte.

 

Andersrum

Schade drum. Denn eigentlich hat Madonna einen hoch spannenden, mutigen, vor allem gigantischen Showzirkus nach Wien gebracht, der zwar unter dem ungeeigneten Stadion litt, aber absolut sehenswert war. Es ist eine beinharte Abrechnung mit Gewalt, Glamour und ihren Popkonkurrentinnen: Lady Gaga kriegt regelmäßig einen Rüffel dafür, dass "Born This Way" so klingt wie "Express Yourself". Dass beim schleppend verkauften Konzert keine Nostalgie-Show wartet, hätte nicht überraschen dürfen. Ebenso wenig, dass der Live-Gesang, nun ja, nicht zentrales Element des Konzerts ist. Was hier zählt, ist die Show. Und die hat jedes Versprechen auf beeindruckende Weise eingelöst.

Aber Madonna hat es auf der gesamten Tour schon nicht leicht mit den Fans. Eine "beschissene Einstellung" attestierte sie bei einer Ansprache all jenen, die sie kürzlich in Paris nach einer 45-Minuten-Show auspfiffen. Naja, sie muss sich keine Freunde mehr machen.

KURIER-Wertung: **** von *****

Kommentare