Madame Zeitlos und ihr Bildarchiv

Interview mit der Fotografin Lisl Steiner am 15.11.2016 in Wien

„Es nützt überhaupt nichts, sich jünger zu machen, in meinem Alter“, sagt Lisl Steiner. Obwohl die Fotografin am gestrigen Samstag 89 Jahre alt wurde, begeht sie heute noch einmal einen „falschen“ 90. Geburtstag. „Das wird dann respektiert.“

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ÖNB LIsl Steiner
Lisl Steiner hat es allerdings nicht nötig, sich künstlich interessant zu machen – aufsehenerregend ist ihr Leben und ihre Persönlichkeit auch so. 1927 in Wien geboren und 1938 nach Argentinien emigriert, führte Steiners Weg zu entscheidenden Orten der Zeitgeschichte und auf Tuchfühlung mit Größen aus Politik und Kultur des 20. Jahrhunderts. Als Fotografin hatte sie Martin Luther King ebenso vor der Linse wie Louis Armstrong, Jackie Kennedy und Richard Nixon ebenso wie Fidel Castro; sie war dabei, als Oscar Niemeyer die brasilianische Hauptstadt Brasilia einweihte und als Henry Kissinger Franz Beckenbauer an der Badewanne besuchte.

Wenn Steiner heute erzählt, hört es sich an, als wäre all das ein großer Zufall gewesen. „Ja, ich hab’ wichtige Sachen gemacht, aber auch, weil das damals leicht war. Es gab nicht so viele Wachen wie heute, man konnte überall hin.“

Die Gesellschaft hätte heute die Angewohnheit, zu übertreiben und jede Persönlichkeit auf ein Podest zu stellen, sagt Steiner – man könne sich gar nicht dagegen wehren. „Das ist falsch und dumm. Die wichtigen Leute, die ich in meinem Leben kennengelernt habe – ein Furtwängler, ein Kleiber etwa – waren alle sehr bescheiden. Die haben immer gedacht, dass sie etwas noch besser machen könnten.“

Ungeschminkt

Vielleicht liegt es an dieser Einstellung, dass sich die Menschen in Steiners Bildern kaum in eitle Posen werfen. Die spontanen Situationen erzählen aber auch von der entwaffnenden Direktheit der Fotografin, die sich unvermindert erhalten hat.

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ÖNB LIsl Steiner
Nachdem Steiner sich Ende der 1950er Jahre als Bildjournalistin in Lateinamerika etabliert hatte, übersiedelte sie 1960 nach New York, wo sie u.a. Aufträge für Magazine wie Time und Life übernahm. Nebenbei zeichnete sie ständig – oftmals Dirigenten und Musiker.

Rückkehr nach Wien

1999 schenkte Steiner ihre Zeichnungen der Österreichischen Nationalbibliothek, 2004 überantwortete sie der Institution auch ihren fotografischen Vorlass. „Die ÖNB hat noch nicht alles bekommen, ich bin nicht so organisiert wie andere Fotografen“, sagt Steiner. „Aber im nächsten Frühjahr kommt noch der letzte Schubs. Da ich Wienerin bin, habe ich mir gedacht, es soll hier landen.“

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ÖNB LIsl Steiner
Dass Steiner Wienerin geblieben ist, zeigt sich an vielen kleinen Dingen – etwa an ihrer Sprechweise, die, wiewohl mit englischen Wendungen durchsetzt, das Wienerisch einer vergangenen Epoche atmet. Auch dass Steiner zum Gespräch in der blauen Bar des Hotel Sacher empfängt, ist bezeichnend: „Ich ging mit meinem Vater hierher, als ich drei Jahre alt war, zum zweiten Frühstück“, sagt sie. „Ich würde jedem Vater raten, mit dem Kind allein so etwas zu tun. Das bleibt einem ewig.“

Brief an Facebook

Heute liegt sowohl ein Smartphone und ein Tablet auf Steiners Kaffeetisch: Objekte, die sie faszinieren und zugleich abstoßen. „Einstein hat einmal gesagt, wenn die Technik perfektioniert wird, gibt es eine Generation von Idioten“, sagt sie.
Kürzlich, sagt Steiner, habe sie einen langen Brief an Facebook-Gründer Mark Zuckerberg geschrieben.

„Ich habe ihm erklärt, was Goethe im ,Zauberlehrling’ geschrieben hat – dass man die Geister, die man rief, nicht mehr los wird. Das ist es, was mit Facebook geschieht. Dort wollen Sie ja nur mein Freund sein, um zu wissen, wer sonst mein Freund ist, und das ist obszön. Freundschaft ist eine intime Angelegenheit, die nicht hunderttausende andere mit einschließt. Wenn man in einem Leben zehn Freunde hatte, ist das schon sehr viel.“

Ein ungewöhnlicher Youtube-Star

Vor einem Jahr erzählte Steiner dem Videoblog „StyleLikeYou“ intime Dinge. Sie zog sich bis auf die Unterhose aus und zeigte, dass ihr nach einer Krebsdiagnose beide Brüste entfernt werden mussten; sie sprach über ihren Mann, den Psychiater Michael Mayer Monchek, den sie nach einem Schlaganfall bis kurz zu seinem Tod im Gespräch filmte.

Die Stadt New York hat Steiner allerdings hinter sich gelassen, seit langem lebt sie rund 80 Kilometer von der Metropole entfernt. Besuche in der Oper, in Museen vermeidet sie eher: „In der Television (sic!) sieht man alles hervorragend. Und Youtube ist fantastisch, was es da alles gibt, unbeschreiblich.“

Mit der Übergabe ihres Archivs an die Nationalbibliothek hat Steiner ihr Werk dennoch nicht ad acta gelegt. Ein 1959 begonnenes Projekt, Kinder in Nord-, Mittel- und Südamerika zu fotografieren, will abgeschlossen werden. Die acht Stunden Film, die Steiner vor dem Tod ihres Mannes anfertigte, sollen vom ORF-Mann Alexander Rauscher auf Kurzfilm-Länge gebracht werden. „Vielleicht kratz’ ich ja vorher ab“, sagt Steiner, die betont, dass sie nicht „von blöden Ärzten umgeben“ dahinscheiden will, wobei sie im Zweifelsfall nachhelfen würde: „Wenn’s nicht mehr geht, soll’s aus sein. Aber derweil geht’s noch.“

INFO

Das Buch „Lisl Baby“, erschienen in der Edition Lammerhuber, bietet einen Querschnitt durch Steiners fotografisches und zeichnerisches Werk (99 €).

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