Madame Zeitlos und ihr Bildarchiv
„Es nützt überhaupt nichts, sich jünger zu machen, in meinem Alter“, sagt Lisl Steiner. Obwohl die Fotografin am gestrigen Samstag 89 Jahre alt wurde, begeht sie heute noch einmal einen „falschen“ 90. Geburtstag. „Das wird dann respektiert.“
Wenn Steiner heute erzählt, hört es sich an, als wäre all das ein großer Zufall gewesen. „Ja, ich hab’ wichtige Sachen gemacht, aber auch, weil das damals leicht war. Es gab nicht so viele Wachen wie heute, man konnte überall hin.“
Die Gesellschaft hätte heute die Angewohnheit, zu übertreiben und jede Persönlichkeit auf ein Podest zu stellen, sagt Steiner – man könne sich gar nicht dagegen wehren. „Das ist falsch und dumm. Die wichtigen Leute, die ich in meinem Leben kennengelernt habe – ein Furtwängler, ein Kleiber etwa – waren alle sehr bescheiden. Die haben immer gedacht, dass sie etwas noch besser machen könnten.“
Ungeschminkt
Vielleicht liegt es an dieser Einstellung, dass sich die Menschen in Steiners Bildern kaum in eitle Posen werfen. Die spontanen Situationen erzählen aber auch von der entwaffnenden Direktheit der Fotografin, die sich unvermindert erhalten hat.
Rückkehr nach Wien
1999 schenkte Steiner ihre Zeichnungen der Österreichischen Nationalbibliothek, 2004 überantwortete sie der Institution auch ihren fotografischen Vorlass. „Die ÖNB hat noch nicht alles bekommen, ich bin nicht so organisiert wie andere Fotografen“, sagt Steiner. „Aber im nächsten Frühjahr kommt noch der letzte Schubs. Da ich Wienerin bin, habe ich mir gedacht, es soll hier landen.“
Brief an Facebook
Heute liegt sowohl ein Smartphone und ein Tablet auf Steiners Kaffeetisch: Objekte, die sie faszinieren und zugleich abstoßen. „Einstein hat einmal gesagt, wenn die Technik perfektioniert wird, gibt es eine Generation von Idioten“, sagt sie.
Kürzlich, sagt Steiner, habe sie einen langen Brief an Facebook-Gründer Mark Zuckerberg geschrieben.
„Ich habe ihm erklärt, was Goethe im ,Zauberlehrling’ geschrieben hat – dass man die Geister, die man rief, nicht mehr los wird. Das ist es, was mit Facebook geschieht. Dort wollen Sie ja nur mein Freund sein, um zu wissen, wer sonst mein Freund ist, und das ist obszön. Freundschaft ist eine intime Angelegenheit, die nicht hunderttausende andere mit einschließt. Wenn man in einem Leben zehn Freunde hatte, ist das schon sehr viel.“
Ein ungewöhnlicher Youtube-Star
Vor einem Jahr erzählte Steiner dem Videoblog „StyleLikeYou“ intime Dinge. Sie zog sich bis auf die Unterhose aus und zeigte, dass ihr nach einer Krebsdiagnose beide Brüste entfernt werden mussten; sie sprach über ihren Mann, den Psychiater Michael Mayer Monchek, den sie nach einem Schlaganfall bis kurz zu seinem Tod im Gespräch filmte.
Die Stadt New York hat Steiner allerdings hinter sich gelassen, seit langem lebt sie rund 80 Kilometer von der Metropole entfernt. Besuche in der Oper, in Museen vermeidet sie eher: „In der Television (sic!) sieht man alles hervorragend. Und Youtube ist fantastisch, was es da alles gibt, unbeschreiblich.“
Mit der Übergabe ihres Archivs an die Nationalbibliothek hat Steiner ihr Werk dennoch nicht ad acta gelegt. Ein 1959 begonnenes Projekt, Kinder in Nord-, Mittel- und Südamerika zu fotografieren, will abgeschlossen werden. Die acht Stunden Film, die Steiner vor dem Tod ihres Mannes anfertigte, sollen vom ORF-Mann Alexander Rauscher auf Kurzfilm-Länge gebracht werden. „Vielleicht kratz’ ich ja vorher ab“, sagt Steiner, die betont, dass sie nicht „von blöden Ärzten umgeben“ dahinscheiden will, wobei sie im Zweifelsfall nachhelfen würde: „Wenn’s nicht mehr geht, soll’s aus sein. Aber derweil geht’s noch.“
INFO
Das Buch „Lisl Baby“, erschienen in der Edition Lammerhuber, bietet einen Querschnitt durch Steiners fotografisches und zeichnerisches Werk (99 €).
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